Anklage an das Wetter:Wie ein nasser Sack

Lieber Sommer! Willst du nicht gleich in den Winter übergehen und dich auch so nennen? Wir frieren, haben die Lieblingspullover an und dicke Socken im festen Schuhwerk. Radeln jeden Morgen durch Schauerwände. Es bleibt nur: Schreien. Und dann kommt auch noch Jörg Kachelmann.

Bernd Graff

Das habe ich heute Morgen auf Facebook gepostet: "Lieber Sommer! Willst du nicht gleich in den Winter übergehen und dich auch so nennen? Und wenn jetzt einer was von 'Sonne im Herzen' faselt oder sonst wie grundlos gute Laune zeigt, schreie ich." Eine Stunde später: 19 Kommentare meiner nichtsnutzigen Freunde, die entweder aus demselben Grund schon angefangen haben zu schreien oder nichtsnutzige 'Sonne-im-Herzen'-Witzchen machen. Erwartbar: Das eine wie das andere. Und ich schreie.

Regenwetter in Starnberg

Regen im Hochhaus, Regen auf der Straße und auch über des Münchners liebstem Naherholungsgebiet: dem Starnberger See.

(Foto: dpa)

Was dem nassen Sachverhalt aber keinen Millimeter Boden nimmt: Dieser Sommer, man möchte das Wort ja schon gar nicht mehr benutzen, ist keiner. War keiner, wird keiner mehr werden.

Die Kollegin Lena, die eine gute ist, hat mir die Fron abgenommen, beim Deutschen Wetterdienst anzurufen. Dazu hatte ich schon keine Kraft mehr. Dort hat sie Christian Herold erreicht, der auch ein guter ist, ein Meteorologe. Diese Fachkraft sagt, und jetzt bitte festhalten und Taschentuch raus: "Die Aussichten sehen nicht so toll aus. Nächste Woche bleibt das wechselhafte Wetter erhalten, die Temperaturen liegen bei maximal 20 Grad. Sommerliches Wetter sieht anders aus. Ein stabiles Hochdruckgebiet, wie wir es bräuchten, ist zumindest bis Anfang August nicht in Sicht. Im August müssen wir auf eine grundlegende Änderung der Großwetterlage hoffen." Das klingt, Herr Herold, mit Verlaub so, wie Bruno Ganz im Untergang sagt: "Mit dem Angriff Steiners wird das alles in Ordnung kommen."

Denn nichts, Herr Herold, liebe Wetter-Trauergemeinde, kommt jemals wieder in Ordnung. Sommer war gestern. Aber selbst das stimmt nicht. O-Ton Herold: "Die Sommer der letzten Jahre waren auch schon sehr wechselhaft, im vergangenen Jahr war der Juli deutlich zu nass. Allerdings war es nicht so kühl. Wir haben einen der kältesten Sommer der letzten zehn Jahre." Ich kann gerade nicht weiterschreiben. Ich weine. Ich schreie. Ich heule. Ich zerreiße meine Kleider, wälze mich im Staub des Büros eines Münchner Verlagshauses, aus dem man dem Regen von oben zuschauen kann, wie er fällt. Herab auf alles, was einst gedieh und jetzt versumpft. Und bedenken Sie, meine Damen und Herren Majestäten: Wenn es dann einmal nicht regnet, dann heißt das nicht, dass es aufhört. Es könnte genauso gut weiterregnen. Immer weiter. Regnen. Rauschen. Tropfen. Wo kommt eigentlich all das Wasser her? Apropos: Wo kommt eigentlich Kachelmann jetzt schon wieder her, der seit gestern lustige Wettervorhersagevideos postet?

Ach, ist auch schon egal. Und das jedenfalls, in seiner gesamten nasssackartigen Fülle nennen wir jedenfalls Sommer in Teutonien. Die Sommer hierzulande unterscheiden sich von den anderen Jahreszeiten ja nur darin, dass der Regen dann etwas wärmer ist, wenngleich zu kühl selbst für diesen Sommer. Ich weineschreiewälze schon wieder. Und es regnet, rauscht und düstert immer weiter und manchmal blitzt und donnert es. Und man friert, hat die Lieblingspullover an und dicke Socken im festen Schuhwerk. Hilft alles nicht, weiß jedes Kind, gegen Regen und Kälte. Ich friere!

Jeden Tag fahre ich mit dem Rad durch Wasserwände, habe Hände voller Regenschirme, Warmgetränke und Schals. Ich bin nass. Ich werde amphibisch. Mir wachsen Schwimmhäute. Die sehe ich kaum unter den Tränen. Ich spüre es nur. Wie sie wachsen. Mein Blut ist kalt. Darum esse ich so wenig. Quak. Nein Quark. War ein Scherz. Ein letzter. Ich dusche nicht mehr. Wozu auch? Bin eh nass und trüb und alles ist egal und tut weh. Ich nehme übel. Dem Wetter nehme ich sein Wettersein übel, so weit ist es schon gekommen. Wenigstens ist das Gras schön grün und saftig und es glänzt. Das ist aber auch schon alles. Jetzt sind Sie, liebe Leser-Nutzer, dran. Sagen Sie was! Tun Sie was!

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