Angebliche Atomforschung der Nazis in Österreich:Probebohrungen in eine radioaktive NS-Vergangenheit

Haben die Nazis in einem bislang unentdeckten Stollen in Österreich Atomforschung betrieben? Die Behörden gehen dem Verdacht nach und geben Entwarnung - die Skepsis in der Bevölkerung bleibt aber.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Es kommt wahrscheinlich nicht häufig vor, dass ein Dokumentarfilmer, der an einer Geschichte aus dem Reich der Mythen der NS-Zeit arbeitet, von Politikern und Forschern wirklich ernst genommen wird. Im Fall des oberösterreichischen Filmproduzenten Andreas Sulzer haben Land und Bund in Österreich aber einige Messungen in Auftrag gegeben, eine Bohrung veranlasst (die zweite steht noch aus) und für das Projekt bisher etwa 10.000 Euro ausgegeben.

Sulzer, der seit mehr als zwei Jahren an seinem Projekt arbeitet, glaubt beweisen zu können, dass sich unter dem kilometerlangen Stollensystem des Konzentrationslagers Gusen bei St. Georgen (Oberösterreich), einem Nebenlager von Mauthausen, ein größeres Tunnelsystem befindet. In Gusen hatten einst Zehntausende Häftlinge an Rüstungsprojekten gearbeitet, unter anderem waren dort Messerschmitt-Flugzeuge gebaut worden. Mehr als 40.000 Zwangsarbeiter waren unter grauenhaften Bedingungen ums Leben gekommen. Bis zu 24 Kilometer lang könnte das zusätzliche Stollensystem sein, vermutet Andreas Sulzer.

Noch dazu hätten Nazis dort kurz vor Ende des Krieges Atomforschung betrieben; er habe dafür in Archiven in Moskau, den USA und Deutschland Dokumente und Baupläne sowie Zeugenaussagen und andere Beweise gefunden, sagt Sulzer. Ein Indiz für "Implosions"-Versuche der Nazis mit Uran seien außergewöhnlich hohe Strahlungswerte, die er selbst gemessen habe.

Boulevard-Zeitungen schlagen Alarm

Sulzer hat nach eigenen Angaben internationale Partner, die sein Projekt finanzieren - wer das ist, mag er vorerst nicht verraten. Außerdem würden international renommierte Wissenschaftler die gleiche These untersuchen. Die österreichischen Boulevard-Zeitungen schlagen bereits Alarm, Berichte über Forschungen zu "Hitlers Atomwaffe" machen ebenso die Runde wie "Hitlers Atom-Schergen", die durch "Geheim-Akten" entlarvt worden seien.

So weit, so üblich. Geschichten über geheime Atom- oder sonstige Wunderwaffen, die Forscher und Häftlinge unter anderem in der riesigen Anlage mit dem Namen "B8 Bergkristall" einige Kilometer entfernt von Mauthausen gefertigt haben könnten, gibt es, seit das "Dritte Reich" untergegangen ist. Weniger gewöhnlich ist, was in St. Georgen in den vergangenen Tagen geschah. Weil man sich "ergebnisoffen" geben will, weil die Gerüchte nicht verstummten - und weil geoelektrische Messungen und Bodenradar tatsächlich auf einen Hohlraum an bisher unbekannter Stelle hatten schließen lassen, wurde gebohrt. Harald Wimmer, Geologe beim Amt der Landesregierung Oberösterreich, sagt, Andreas Sulzer habe "seine Wirklichkeit auf den Tisch gelegt", terrestrische Erkundungen hätten weitere Indizien geliefert - und an genau einem Punkt hätten Wissenschaft und Sulzer übereingestimmt. Nur: Da war nichts. Die Bohrung erbrachte Stein, Sediment und, weiter unten, Grundwasser. Keinen Hohlraum, keinen Tunnel.

Nun soll an anderer Stelle noch einmal gebohrt werden. Sollte sich wieder nichts finden, will es die Bundesimmobiliengesellschaft BIG gut sein lassen. Ihr gehört der Stollen, sie hatte in den vergangenen Jahren bereits viele Millionen ausgegeben, um das bestehende System zu erhalten und zu stabilisieren.

Forscher haben nur einen Verdacht

Auch den Gerüchten über eine erhöhte radioaktive Strahlung ist man nachgegangen, weil, wie Geologe Wimmer sagt, die Unruhe in der Bevölkerung doch groß sei. Aber da sei wieder nichts gewesen. Lediglich natürliche Strahlung, wie sie in der Region und in solchem Gestein vorkomme. Auch der grüne Umwelt-Landesrat von Oberösterreich, Rudi Anschober, beruhigt seine Landsleute: Sowohl die Messungen, die ein - von der BIG beauftragter - Geologe in den Bergstollen vorgenommen hat, als auch Messungen in nahegelegenen Brunnen hätten keine Hinweise auf "künstliche Radionuklide" ergeben. Anschober ist sich, genau wie Wimmer, sicher: Aufgrund der Messungen könnten kerntechnische Versuche in den Anlage ausgeschlossen werden.

Aber da sind noch die internationalen Forscher, auf die sich Filmemacher Andreas Sulzer beruft; darunter zum Beispiel Stefan Karner, renommierter Historiker an der Universität Graz und Leiter des Ludwig-Bolzmacher-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung. Karner referiert kundig und geduldig über einige Forschungs- und Produktionsstätten, wo in der NS-Zeit an Uran-Projekten gearbeitet worden sei, über Firmen in Berlin, Frankfurt und Kärnten und über Wissenschaftler wie Manfred von Ardenne oder Werner Heisenberg. Über mögliche Versuche, in Gusen Kettenreaktionen zuwege zu bringen, mag Karner wenig sagen; er forsche selbst in diese Richtung. Und ja, es gebe den Verdacht, dass es in diesem KZ Anlagen und Maschinen gegeben haben könne, die "mit solchen Versuchen in Zusammenhang gestanden haben könnten." Der Historiker setzt auf eigene Quellen. Mit Andreas Sulzer, sagt Karner, habe er nie gesprochen.

In St. Georgen an der Gusen haben sich die Gemüter nach der ersten Bohrung und den Erklärungen des Landes zur "Kernwaffen-Information" ein wenig beruhigt. Gemeindeamtsleiter Roland Voggenberger sagt, es sei gut, dass so sorgfältig vorgegangen werde. "Aber die Skepsis, dass man da noch was findet, die wächst."

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