Anarchische Weltordnung:Der Papst nutzt seine Macht besser als Obama

U.S. President Barack Obama greets Pope Francis during the pope's visit to the White House in Washington

Shakehands zwischen zwei Männern, die ihre Macht sehr unterschiedlich ausüben: US-Präsident Barack Obama und Papst Franziskus.

(Foto: REUTERS)

Der US-Präsident zeigt international nur noch wenig Gestaltungswillen, die Welt scheint ihn anzuöden. Franziskus zeigt, wie es besser geht: Er liest den USA die Leviten und fordert Führung.

Von Stefan Kornelius

"Und wie viele Divisionen hat der Papst ?", wollte Josef Stalin wissen, als 1945 in Jalta diskutiert wurde, ob die katholische Kirche über die Ordnung nach dem Zweiten Weltkriegs mitverhandeln sollte. Die Frage war rhetorisch gemeint und zynisch formuliert. Stalin wollte die Kirche nicht am Tisch haben. Heute würde die Frage keiner mehr stellen. Die Macht des Papstes bemisst sich natürlich nicht in Gewehrläufen. Die Stärke eines amerikanischen Präsidenten lässt sich ja auch nicht nur an seinem Charisma ablesen. Und der Einfluss eines chinesischen Staatsführers steigt und fällt nicht nur mit dem Renminbi-Wechselkurs.

Wenn an diesem Wochenende der Diplomatie-Kalender die wichtigsten Staatenlenker auf eine Bühne zwingt, dann ergibt sich ein faszinierendes Panoptikum von der Machtverteilung auf dem Planeten, von rivalisierenden Vorstellungen über Führung und Interessen.

Die Globalisierung hat bei allen nationalstaatlichen Eigenarten eine gemeinsame Agenda geschaffen und damit die Frage aufgezwungen: Wer gibt eigentlich den Ton an, wer verfügt über die größte Autorität? Der Reigen der Großen liefert Antworten. Treffen sich der chinesische Präsident, der amerikanische Präsident und der Papst . . . - in ruhigen Zeiten wäre die Zeile als Witzanfang gut durchgegangen. Heute liefert sie Anlass zur Klage über eine Welt ohne Führung, eine anarchische und haltlose Welt.

Franziskus liest den USA die Leviten: Seid endlich Vorbild!

Der amerikanische Präsident trägt eine nicht geringe Schuld an dieser Haltlosigkeit. Die USA haben es nicht geschafft, den Moment der unangefochtenen Führung in der Weltpolitik umzusetzen in frisches politisches Kapital. Barack Obama, dem nach dem Niedergangspräsidenten George W. Bush geradezu messianische Fähigkeiten zugesprochen wurden, zeigt nur noch wenig Gestaltungswillen. Die Welt scheint den Präsidenten anzuöden, Amerikas Anspruch ist auf ein Minimum geschrumpft.

In Europa haben die USA Deutschland das Feld überlassen, und schlimmer noch: die Beziehungen zu den engsten Verbündeten dank NSA & Co. schweren Belastungen ausgesetzt. Im Nahen Osten muss der Präsident seine schwersten strategischen Fehler verbuchen. Sein Wankelmut gegenüber dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad, der absurde Machtkampf mit dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu, der Rückzug aus einem Irak ohne politisches Fundament - die Liste der Irrtümer und Fehlleistungen ist lang. Wer aber nur abträgt und nicht aufbaut, der erzeugt ein Vakuum. Das wird nun gefüllt von IS-Extremisten oder Wladimir Putin, der wie ein Springteufel aus der Nahost-Kiste emporschnellt.

Misstrauen und kleine Fortschritte

Obamas Begegnung mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping sollte nach so vielen Jahren im Amt Anlass für die Supermachtbilanz der Gegenwart sein, aber auch hier: Frustration und ein Gestaltungsvakuum auf beiden Seiten. Obamas pazifisches Versprechen halten die Anrainer nach wenigen Jahren für gebrochen, sie fühlen sich von China bedroht und von den USA nicht beschützt. Die direkten Beziehungen zwischen Peking und Washington sind gezeichnet von Misstrauen und kleinen Fortschritten. Aber auch die chinesische Seite pflegt ihre Form des Isolationismus, baut Mauern um die Gesellschaft und das Netz, blickt panisch auf die Wachstumsraten, die über die Ruhe in den eigenen Reihen entscheiden.

Hier die verzagte Weltmacht, dort der Aufsteiger nach dem ersten Schwächeanfall, dazwischen ein kaum berechenbarer Autokrat, der seinen Platz am Tisch mit gezückter Waffe einfordert. Und schließlich: der Papst ohne Divisionen, der immer präziser die Übel der Menschheit benennt. Natürlich ist Franziskus ein Idealist, natürlich ist er im besten Sinne weltfremd. Er ist der Papst. Aber er liest dem amerikanischen Kongress die Leviten, er packt ein ganzes Land an seiner demokratischen Ehre, er fordert Führung durch Vorbild und Verantwortung.

USA müssen wieder Vorbild sein

Spannungen, Konflikte, Hass entstehen nicht aus einer Laune heraus. Sie entstehen durch einen Mangel - dem Mangel an Lebensnotwendigem, dem Mangel an demokratischer Teilhabe, dem Mangel an Sicherheit, dem Mangel an Führung und Vorbild. Nun wirft der Papst dem amerikanischen Volk einen Mangel an Selbstachtung vor. Es fehlt ihm an der Achtung der eigenen Werte, der Demokratie, der Vorbildhaftigkeit. Das ist ein harter, aber ein wohlüberlegter Vorwurf.

Für das Treffen der Mächtigen hat der Mann ohne Divisionen den richtigen Maßstab gesetzt: Die Welt kann sich dieses Vakuum nicht länger leisten. Die USA haben eine Rolle zu erfüllen. Sie müssen wieder Vorbild sein und sich an ihre Werte erinnern. Der Papst macht es vor, wie man ohne Truppen Macht ausübt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: