Amstetten-Berichte:Auf dem Markt der Neugier

Vor dem Prozess gegen Josef Fritzl zitieren österreichische Boulevardzeitungen ausführlich die Gutachten. Der Fall wühlt die Österreicher so auf, dass jede Zeile gelesen wird.

Cathrin Kahlweit

"Dieser Text ist nichts für schwache Nerven", warnt die Zeitung Österreich, die in den vergangenen Tagen ihre Leserschaft mit schwer Verdaulichem in Aufregung versetzte. Bis in die dunkelsten Ecken der Psyche von Josef Fritzl sei Gutachterin Adelheid Kastner, Chefärztin der forensischen Abteilung an der Landesnervenklinik Linz, vorgedrungen, heißt es in dem Boulevard-Blatt; dann folgen süffige Details über Sex ohne Blickkontakt, hungernde Kinder, eine brutale Mutter und die Zerrissenheit eines Mannes, der von sich selbst sagt, er sei "zur Vergewaltigung geboren".

Amstetten-Berichte: Lebensbeichte, ausgebreitet in allen Details: Josef Fritzl.

Lebensbeichte, ausgebreitet in allen Details: Josef Fritzl.

(Foto: Foto: ddp)

Fritzl hatte 24 Jahre lang seine Tochter und später auch sechs gemeinsame Kinder in einem Verlies in der österreichischen Kleinstadt Amstetten festgehalten; Ende des Jahres soll der Prozess gegen den 73jährigen beginnen. Das Gutachten, das die seelischen Untiefen des Vergewaltigers auslotete, war Mitte Oktober eingereicht worden, es war das letzte Dokument gewesen, das dem Gericht noch gefehlt hatte.

Wo ist das Informationsleck?

Nicht nur Österreich ist im Besitz des psychiatrischen Gutachtens, sondern ebenso die Kronen-Zeitung. Beide Blätter druckten in dieser Woche lange Textpassagen ab. Eine Lebensbeichte seien die Gespräche des Täters mit der Psychiaterin geworden, heißt es; das Urteil der Gutachterin: schuldfähig. Fritzl, der an einer schweren Persönlichkeitsstörung leide, müsse in einer "Anstalt für zurechnungsfähige abnorme Rechtsbrecher" untergebracht werden. Andernfalls drohe seiner traumatisierten Familie neue Qual, da damit gerechnet werden müsse, dass Fritzl weiterhin "Taten mit schweren Folgen" begehen würde.

Wie die Unterlagen in die Öffentlichkeit gelangten, die doch eigentlich nur dem Richter, der Staatsanwaltschaft und den Anwälten vorliegen sollten? "Das wüssten wir auch gern", sagt Gerhard Sedlacek, Sprecher der Staatsanwaltschaft in St. Pölten. Am 15. Oktober sei das Gutachten eingegangen, zwei Tage vorher hätten schon erste Zeitungen daraus zitiert - "nur wir selbst haben uns auferlegt, keine weiteren Details zu veröffentlichen".

Gleichwohl habe er mit massiven Indiskretionen gerechnet, "das war zu erwarten". Schließlich habe der Verteidiger von Fritzl, Rudolf Mayer, ja auch schon kurz nach dessen Verhaftung das Geständnis des Täters samt unschöner Details an die Medien gegeben. Wo das Leck ist? "Wir waren es jedenfalls nicht." Verteidiger Mayer lässt übrigens wissen, man solle beim Anwalt der Opfer nachfragen, wenn man Reaktionen auf das Gutachten haben wolle.

Der Konkurrenzkampf zwischen den vielen österreichischen Boulevard-Blättern belebt offenbar das Geschäft. Eine Zeitung konnte im Sommer mit Unterlagen über eine alte Strafe gegen Fritzl wegen Vergewaltigung aufwarten, eine andere wusste genau, wann die Inaugenscheinnahme des Verlieses durch die Polizei stattfinden würde. Wochenlang stellten Fotoreporter der Familie nach, die noch immer abgeschottet in einer Wohnung auf dem Gelände des Klinikums Amstetten lebt.

Der Fall wühlt die Österreicher so auf, dass jede Zeile gelesen wird. Der Gerichtsreporter der Kronen-Zeitung, Peter Grotter, findet außerdem, sein Blatt unterlaufe mit der Veröffentlichung des Gutachtens keine Persönlichkeitsrechte, solange es die Opfer schütze. "Wir haben bei der Veröffentlichung peinlich darauf geachtet, dass die Rechte der Opfer nicht berührt werden".

Eine Reporterin von Österreich lässt wissen, man habe keinen Cent für das Papier bezahlt, und das Echo der Leser sei überwältigend. Nur, leider, sei es ja nach wie vor so, dass man nicht vermitteln könne, warum gegen jemanden wie Fritzl nicht die Todesstrafe verhängt werden dürfe. Die Blogs sind tatsächlich voll von "Rübe-ab"-Forderungen. "Bevor die Todesstrafe vollzogen wird", ist zu lesen, "gehört der Typ ein Jahr lang gequält".

Nur die Verfasserin des Gutachtens selbst bleibt wortkarg. Was Adelheid Kastner über Fritzl zu sagen hatte, habe sie auf 130 Seiten aufgeschrieben, sagt sie der Süddeutschen Zeitung. Gutachten wie das ihre, das wisse sie sehr wohl, würden auf dem Markt der Neugier hoch gehandelt, und wer daran verdiene, der führe sein Honorar wohl nicht der Caritas zu. Mit der Vorabveröffentlichung "habe ich gerechnet".

Die "Primaria", wie eine Chefärztin in Österreich heißt, hatte vor einer Weile in einem Interview betont, so sehr sie einzelne Delikte verabscheue, so wenig glaube sie, dass ein Mensch von Grund auf böse sei. Es falle ihr aber schwer, sich bei Straftaten, bei denen jemand sadistisch gequält wurde, emotional zu distanzieren. Ihr Gutachten über Fritzl, für das sie stundenlang mit ihm geredet hatte, befasst sich mit dessen Kindheit und Jugend, mit seiner Haltung gegenüber der Tochter, die er als Eigentum betrachtete, mit seinem Sexualverhalten und seinen Plänen.

Offenbar hofft Fritzl, den Lebensabend im Kreise seiner Familie verbringen zu können. Das hält sowohl die Gutachterin als auch die Staatsanwaltschaft St. Pölten für unrealistisch. Deren Sprecher, Gerhard Sedlacek, bestätigt, man gehe davon aus, dass Josef Fritzl seine Strafe für den Rest seines Lebens in einer geschlossenen Anstalt absitzen werde.

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