Amoklauf von Newtown:"Sie hat getan, was ihr Herz ihr sagte"

Wahrer Heldenmut im Moment größter Gefahr: 28 Menschen starben beim Amoklauf in einer Grundschule in Connecticut, aber die Zahl der Opfer ist um ein Vielfaches höher. Eltern, Geschwister und Freunde trauern um ihre Angehörigen. Fünf Geschichten.

Von Matthias Kohlmaier

27 Menschen hat Adam Lanza am vergangenen Freitag erschossen, danach tötete sich der 20-Jährige selbst. Hätten nicht einige Angestellte der Sandy-Hook-Grundschule mutig und selbstlos gehandelt, hätte der Amoklauf von Newtown möglicherweise noch deutlich mehr Opfer gefordert.

Robbie Parker, Vater eines getöteten Mädchens

Für einen Elternteil ist es wohl die schlimmste Erfahrung, den Tod des eigenen Kindes mitzuerleben. Robbie Parker muss genau das durchstehen: Seine sechsjährige Tochter Emilie ist eines der Opfer des Amoklaufs vom vergangenen Freitag. Umso bewundernswerter ist der Großmut, den Parker bei einer Rede vor Journalisten am Samstag gezeigt hat.

Denn Parker sprach nicht nur von seinem eigenen Schmerz und dem Schmerz anderer Eltern, die ihre Kinder verloren hatten. Er fand auch tröstende Worte für die Familie des Amokläufers. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schwierig dies alles für Sie ist, und ich möchte, dass Sie wissen, dass unsere Liebe und Unterstützung auch Sie mit einschließt. Es ist eine schreckliche Tragödie, und ich möchte, dass alle wissen, dass wir in unseren Herzen und Gebeten bei Ihnen sind."

Victoria Soto, Lehrerin

Sie soll während ihrer Unterrichtsstunden Kaugummi gekaut haben, was Lehrern eigentlich streng verboten ist - aber die Schüler liebten sie genau dafür. Sabeena Ali, deren Tochter Sotos Klasse besuchte, sagte dem People Magazine: "Jeden Tag mussten wir uns eine neue Miss-Soto-Geschichte anhören: 'Das hat sie heute gemacht, so wundervoll war sie heute wieder.'"

Doch nicht nur die Kleinen liebten "Vicki", auch die junge Lehrerin war ihren Schützlingen zugetan. "Sie hat sie nie Schüler genannt, sondern von ihren Kindern gesprochen", wird Sotos Schwester Carlee zitiert. Und auch im Moment größer Gefahr tat sie alles, um "ihre Kinder" zu beschützen.

Noch bevor Amokläufer Adam Lanza Sotos Klassenzimmer erreichte, wies sie alle Schüler an, sich in den Schränken zu verstecken. Als der bewaffnete Mann dann das Zimmer betrat, traf er nur die Lehrerin an - und die behauptete, ihre Schüler seien in der Turnhalle. Lanza eröffnete daraufhin das Feuer auf die 27-Jährige. Sie starb, aber keiner ihrer Schüler wurde verletzt. "Sie hat das getan, wofür sie geschult war, aber auch das, was ihr Herz ihr gesagt hat", erklärte Sotos Cousin Jim Wiltsie bei NY Daily News.

Peter Lanza, Vater des Amokläufers

Dass auch Amokläufer eine Familie haben, gerät über das Leid der Opfer und ihrer Angehörigen bisweilen in Vergessenheit. Doch der Schmerz, den Lanzas Verwandte und Freunde derzeit ertragen müssen, liegt wohl außerhalb des Nachvollziehbaren. Wie Robbie Parker erkannt hat: Auch Peter Lanza, Vater des Amokläufers, gehört zu den Opfern.

In einer kurzen Erklärung bei CNN hat Lanza versucht, seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen. "Worte können nicht beschreiben, wie unglücklich wir sind. Wir stehen völlig unter Schock und suchen nach Antworten. Auch wir stellen uns die Frage nach dem Warum", sagte Lanza. Die Familie habe bisher eng mit den Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet und werde das auch weiterhin tun.

Lanza ist bereits seit 2008 von Adams Mutter Nancy geschieden, die der Sohn bei seinem Amoklauf ebenfalls tötete. Dass Adam so viele Menschen umgebracht hatte, erfuhr Lanza am Freitag erst durch einen Reporter der Lokalzeitung Stamford Advocate.

Bibliothekarin verbarrikadiert sich in Lagerraum

Dawn Hochsprung, Schulrektorin

"Sie war genau die Art Mensch, den man sich als Lehrer für seine Kinder wünscht", sagt Tom Pruty im US-Fernsehen über Dawn Hochsprung. Die 47-Jährige war seit 2010 Rektorin der Sandy Hook Elementary School in Newtown - und in ihrer Position nicht nur von den Eltern geschätzt. "Die Kinder liebten sie", ergänzt Pruty. Er ist nicht nur ein Freund Hochsprungs, seine Nichte ist auch Schülerin an der Grundschule. Sie überlebte den Amoklauf unverletzt.

Am Tag des Massakers tat Hochsprung alles, um die Kinder ihrer Schule bestmöglich zu schützen. Sie saß in einer Besprechung, als die ersten Schüsse fielen. Und sie warnte nicht nur die gesamte Schule via Lautsprecher vor der drohenden Gefahr, sie lief sogar gemeinsam mit Schulpsychologin Mary Sherlach, 56, auf die Gänge. Vermutlich in der Hoffnung, mit Worten auf den Täter einwirken und ihn zur Aufgabe bewegen zu können. Doch Hochsprung und Sherlach wurden von Adam Lanza erschossen.

Die Rektorin selbst hatte noch vor Monaten - um genau so einem Fall vorzubeugen - ein neues Sicherheitssystem in der Schule einführen lassen. Nach Schließung der Schultüren um 9:30 Uhr musste jeder Besucher klingeln und sich im Zweifel ausweisen. Gegen den Amokläufer Lanza half das jedoch nichts, er soll sich den Zutritt zur Schule erzwungen haben.

Mary Ann Jacob, Bibliothekarin

Wie Schulrektorin Dawn Hochsprung und Lehrerin Victoria Soto hat sich auch Mary Ann Jacob, Bibliothekarin an der Sandy-Hook-Grundschule, selbstlos für die Schüler eingesetzt. Als sie die ersten Schüsse hörte, brachte sie alle Schüler in ihrem Aufsichtsbereich in einen Lagerraum und verbarrikadierte den Eingang.

Bis die Polizei kam, harrte Jacob mit den Schülern aus - und sogar noch etwas länger. "Ich habe die Polizisten erst nicht hereingelassen, also haben sie angefangen, gegen die Tür zu klopfen. Aber erst als sie einen Polizeiausweis unter der Tür durchgeschoben haben, haben wir die Kinder zu ihnen nach draußen gelassen", sagte Jacob zu Fox News.

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