Amoklauf von Aurora:Das Kino ist Opfer seines eigenen Schreckens

Müssen Filmemacher sich verantwortlich fühlen, wenn ihre Werke schreckliche Reaktionen auslösen? "Batman"-Regisseur Christopher Nolan ist nicht der erste, den diese Frage quält. Ob Stanley Kubrick, Oliver Stone oder Lars von Trier - sie alle waren mit dem Vorwurf konfrontiert, ihre Filme hätten Mörder und Amokläufer erst angestachelt.

Fritz Göttler

"Das Filmtheater ist mein Heim", hat der Filmemacher Christopher Nolan in einem Statement gesagt, das er in Reaktion auf die Morde von Aurora veröffentlichen ließ, "und die Vorstellung, dass jemand diesen unschuldigen und hoffnungsfrohen Ort auf so unerträglich brutale Weise verletzen kann, finde ich verheerend."

Gunman Kills 12 At Screening of The Dark Knight Rises

Zwölf Menschen hat James Holmes getötet - maskiert als Comicfigur "Joker". Hat die explizite Gewaltdarstellung in der Batman-Trilogie ihn möglicherweise angestachelt (Im Bild: ein Werbeplakat für den Film)?

(Foto: AFP)

Nolans neuer Film "The Dark Knight Rises", der letzte Film seiner Batman-Trilogie, ist in der Nacht zum vorigen Freitag auf eine Weise mit der amerikanischen Wirklichkeit konfrontiert worden, wie es noch keinem anderen Film widerfahren ist. Das Kino selber wurde Opfer jenes Schreckens, den es so intensiv beschwor.

Schon der vorige Film der Trilogie, "The Dark Knight", hatte eine unerwartete Todeserfahrung zu bewältigen gehabt - sein junger Star Heath Ledger, der den Joker verkörperte, das Prinzip des Bösen, war unerwartet im Januar 2008 gestorben. Sein Tod hatte dem Film und der ganzen Reihe eine düstere Aura verliehen, die nun von den Morden in Aurora weiter gesteigert wird und weltweit Auswirkungen haben wird, auch bei uns, wo der Film an diesem Donnerstag anläuft. Fürs Erste hatte die Verleihfirma Warner Bros. PR-Aktionen reduziert und darauf verzichtet, weitere Einspielergebnisse des Films am Wochenende zu veröffentlichen.

Killer haben immer Kontakt zu gewalttätigem Kino gehabt

Der Titel suggeriert es, der Film spielt mit dunkler Materie, mit den aggressiven, mörderischen Teilen der menschlichen Psyche und der Gesellschaft. Mit dem Gegeneinander von Ordnung und Chaos, der Lust an der Zerstörung. Mit dem Bösen in all seiner Willkürlichkeit. Der Brite Christopher Nolan freilich ist ein kultivierter, passionierter Filmemacher. In seinem Statement klingen Ratlosigkeit und Verzweiflung an, die Frage der moralischen Verantwortung eines Künstlers, eines Filmemachers.

Zuletzt hat der dänische Filmemacher Lars von Trier dieses Dilemma erleben müssen - nachdem der norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik als einen seiner Lieblingsfilme auch den Trier-Film "Dogville" auflistete, eine moralische Parabel, die mit einem schaurigen Blutbad endet. "Wenn es sich erweisen sollte, dass der Film diese Tat inspiriert hat", erklärte Lars von Trier, "dann bereue ich, dass ich ihn gemacht habe."

1971 hatte Stanley Kubrick in seinem "Clockwork Orange" exzessive Gewalt britischer Jugendlicher gezeigt und war der Gewaltverherrlichung bezichtigt worden - selbst Susan Sontag unterstellte dem Film faschistisches Potenzial. Kubrick selbst zog den Film in England aus dem Verleih, er konnte jahrzehntelang nicht mehr gezeigt werden.

Killer haben immer Kontakt zu gewalttätigem Kino gehabt. Copycat-Morde werden diese Taten in den USA genannt, weil die Täter Leinwandmörder in ihren Taten und Posen imitieren. 1994 wurde Oliver Stone heftig und exemplarisch attackiert wegen seines Films "Natural Born Killers", einer surrealen Phantasie über ein mörderisches Pärchen, Woody Harrelson und Juliette Lewis - diverse Morde sollten durch diesen Film inspiriert worden sein. Auch Eric Harris and Dylan Klebold, die jugendlichen Mörder beim Massaker im April 1999 an der Columbine Highschool, haben sich auf NBK berufen und "the holy April morning of NBK" beschworen. In mehreren Prozessen musste Oliver Stone sich gegen den Vorwurf wehren, sein Film habe direkt die Morde verursacht. Auch John Grisham, der Erfolgsautor, war unter denen, die sich durch eine Verurteilung ein Ende der Gewaltexzesse aus Hollywood erhofften: "Ein Urteil, und die Party ist vorüber."

Verstörend genau analysiert

Es hat dieses Urteil im Fall von Oliver Stone nicht gegeben, und es wird es auch weiterhin nicht geben. Bisher sind die Motive des Aurora-Täters James Holmes unbekannt, ob es einen direkten Zusammenhang mit der Batman-Mythologie und ihren Schreckensfiguren gibt, dem Joker. Und nicht eindeutig geklärt ist, weder statistisch noch psychologisch oder soziologisch, die Wirkung von Gewalt im Kino oder in Videospielen. Weil es sich hier um millionenschwere Industrien handelt, gilt das Argument der kathartischen Wirkung, zu der imaginäre Gewalt seit der Antike fähig ist, hier als fadenscheinig.

Christopher Nolan hat - und vor ihm Stanley Kubrick und Oliver Stone - Gewalt als Element der modernen Gesellschaft verstörend genau analysiert. Es ist eine neue Gewalt, die im dritten Film auf Gotham trifft, das New York des Batman-Universums. Der Film ist ein amerikanisches Purgatorium, ein existenzielles Fegefeuer für den Helden wie für die Gesellschaft. In die Philosophie des Bösen, die der infame Bane durch eine Gasmaske hindurch seinen Gegnern ins Gesicht röchelt, sind Elemente aus dem fernöstlichen Zen eingewoben wie aus der europäischen Revolutionsgeschichte. Es gibt einen Überfall auf die Börse, einen Aufruf zu Anarchie und Revolution, aber auch die Trostlosigkeit und Einsamkeit einer Gesellschaft, die ihren Menschen keine sinnvolle Zukunft mehr bieten kann. In der sinnlose Gewalt zur herostratischen Pose wird.

Ja, das Kino übt Gewalt aus auf seine Zuschauer, es zieht sie in Bann, stimuliert sie. Lässt sie teilhaben an unheimlichen Phantasien, erfüllt Wunschvorstellungen, von denen sie nichts ahnten und die gesellschaftlich verpönt sind. Die Zuschauer von Aurora, dies mag Christopher Nolan besonders schockieren, sind für diese Erfüllung brutal bestraft worden.

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