Amoklauf in Lörrach:Sabine R., Mutter und Mörderin

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Zwei Tage nach dem Amoklauf von Lörrach ist klar: Die Täterin hat ihr Kind erstickt. Die Frage nach dem Motiv aber bleibt unbeantwortet, trotz der Hinweise auf Beziehungsprobleme. Was lief schief im bürgerlichen Leben der Anwältin Sabine R.?

Hannah Beitzer

Eine ganz normale Frau - so wird Sabine R. beschrieben, die 41-jährige Amokläuferin aus der baden-württembergischen Grenzstadt Lörrach. Freundlich und adrett gekleidet, sagen die Nachbarn. In letzter Zeit allerdings psychisch angespannt, häufig verbittert - sagen Kollegen und Bekannte der Badischen Zeitung.

Sie taucht nach jeder Gewalttat auf, die Frage nach dem Warum. Beantwortet wird sie nur selten. (Foto: REUTERS)

Aber auch das war ja eigentlich normal. Wie soll es anders sein angesichts ihrer Lebensumstände? Erst im Juni, also vor drei Monaten, hatte sich die Rechtsanwältin von ihrem Mann getrennt. Sie verließ das gemeinsame Einfamilienhäuschen im Schwarzwaldort Häg-Ehrsberg. Ihr Ehepartner hatte offenbar eine neue Freundin. Der gemeinsame Sohn blieb bei ihm. Die Mutter zog in das 30 Kilometer entfernte Lörrach.

Sabine R. hatte sich in ihrer Lörracher Rechtsanwaltskanzlei, die sie im Dezember bezogen hatte, notdürftig ein Zimmer eingerichtet. Privater Raum war einzig eine Matratze, beschreiben es Ermittler. Sie sprach mit einer Nachbarin über ihre kriselnde Ehe und verzweifelte innerlich an dem Verlust ihres Heims und ihrer Familie. In dem Büro hatte der Sohn die Mutter am Sonntag besucht.

Als ihr Noch-Mann den fünfjährigen Sohn Roman am Sonntagabend abholen wollte, kam es zur Bluttat. Sabine R., die Sportschützin, erschoss ihren Mann in Kopf und Hals und tötete anschließend ihren Sohn - allerdings nicht mit einer Handfeuerwaffe. Sie schlug den Jungen bewusstlos und erstickte ihn anschließend mit einer Plastiktüte, wie es im Obduktionsbericht heißt. Die Leichen wurden nebeneinander liegend auf dem Bett gefunden.

Die aus Ludwigshafen stammende Frau hatte sich bis 1996 im nordbadischen Mosbach in einem Schützenverein engagiert. Zuletzt hatte sie die Berechtigung für vier Waffen. Eine davon war die Tatwaffe. Ob sie auch nach ihrem Umzug in den Schwarzwald in einem Schützenverein aktiv war, ist unklar.

Eine Mutter, die ihr Kind erstickt, anschließend die eigene Wohnung anzündet und dann auf die Straße rennt, wahllos auf Passanten schießt, danach in ein Krankenhaus stürmt, auf Türen feuert, um schließlich einen ihr - nach allen bisherigen Erkenntnissen - unbekannten Pfleger mit Schüssen und Messerstichen so zu verletzen, dass er stirbt? Das widerspricht allem, was man sonst von Amokläufen zu wissen glaubt.

Zahlreiche Experten betonen, wie untypisch die Tat von Lörrach sei. Amokläufer seien zumeist männlich, zudem sozial isoliert, häufig noch jung. Sabine R. ist die erste weibliche Amokläuferin in Deutschland, deren Tat tatsächlich Menschenleben forderte. Nach ihren Gründen kann man sie nicht mehr fragen - die Kugeln der Polizeibeamten trafen sie 17 Mal.

Die Frau sei von den Beamten zunächst aufgefordert worden, ihre Waffe niederzulegen, sagte ein Polizeisprecher. Als sie dem nicht nachkam, hätten mehrere Polizisten auf die Täterin gefeuert - dies erkläre die hohe Zahl von Schüssen auf Sabine R.: "Bei Amoklagen muss der Täter so schnell wie möglich gestoppt werden." Amokläufer wollten nicht verhandeln, sondern sterben und mit ihrem Tod ein Fanal setzen.

Das Frauen derartige Gewalttaten begehen, komme in Einzelfällen vor, sagen Aggressionsforscher. Normalerweise könnten sie allerdings besser mit Aggressionen umgehen, ist die einhellige Meinung, sie würden ihre Wut seltener als Männer nach außen richten. Lediglich der Amokforscher Christian Lüdke sagte dem Boulvardblatt tz: "Wenn Frauen solche Gewalttaten begehen, sind sie oft erbarmungsloser."

Doch was muss dann passieren, damit eine Rechtsanwältin ihre gesamte Familie auslöscht und dann auf wildfremde Menschen losgeht? "Wir haben bisher keine Erkenntnisse, dass die Frau psychiatrisch erkrankt war", sagt Oberstaatsanwalt Dieter Inhofer. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen von einer "Beziehungstat" aus.

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Die Rechtsanwältin habe die Trennung von Mann und Sohn wohl nicht verkraftet, das ist der Stand der Erkenntnis. Ein Sorgerechtsstreit sei zwar nicht anhängig. Dazu wäre die Trennung ohnehin noch zu frisch. Freunde berichteten jedoch von Unstimmigkeiten zwischen den langjährigen Partnern. Ein Sorgerechststreit stand wohl kurz bevor.

Sabine R.s Welt war zusammengebrochen. Nach der Geburt Romans hat sie offenbar sogar einen Qualifikationskurs für Tagesmütter des Kinderschutzbundes besucht. Es ging um Grundkurse in Psychologie, Pädagogik und "Erste Hilfe am Kind".

Sabine R. wollte eine gute Mutter sein. Am Ende wurde sie zur Mörderin.

Warum die Rechtsanwältin nach dem Mord an ihrer Familie ins gegenüberliegende Elisabethen-Krankenhaus rannte und dort in der gynäkologischen Abteilung um sich schoss und schließlich einen Pfleger tötete, ist noch unklar. 2004 hatte die Frau dort eine Fehlgeburt erlitten. Einmal hat sich Sabine R. sehr kritisch über das Krankenhaus geäußert. Womöglich hat sie die Fehlgeburt als Angriff auf ihr privates Glück empfunden.

Der Chefarzt der Lörracher Klinik, der Gynäkologe Kurt Bischofberger, erklärt, die Fehlgeburt habe sich in der 16. Schwangerschaftswoche ereignet: "Das Kind war nicht zu retten." Die Frau sei damals nur eine Nacht im Krankenhaus gewesen. "Wie schwer kann ein solches Erlebnis einen Mensch traumatisieren?", fragt Spiegel Online. "So sehr, dass er sich irgendwann rächen will?"

Ein Augenzeuge beschreibt das Auftreten von Sabine R. während der Amoktat in der Badischen Zeitung als ruhig und kontrolliert - unheimlich ruhig: "Sie rennt nicht, sie geht nur. Modisch gekleidet, so hat er sie in Erinnerung, rote Jacke, schwarze Hose, die Handtasche über der linken Schulter, die rechte Hand hängt herab, es ist die Hand mit der Waffe."

Kriminalpsychologe Christian Lüdke sagte der Welt, dass Amokläufe selten eine Affekthandlung seien - dazu passt das kontrollierte Auftreten. "Das Ganze wurde von den Tätern in der Fantasie schon viele Hunderte Male durchgespielt."

Die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention will überdies nicht ausschließen, dass Sabine R. von dem Prozess gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden zu der Tat motiviert wurde. Über die Verhandlung wird seit Donnerstag berichtet. Die sensationelle Berichterstattung über Amokereignisse könnte "die gleiche Denkweise und gleiches Verhalten in Personen auslösen, die sich in einem ähnlichen Stimmungszustand befinden".

Viele Indizien, viele Vermutungen, viele Annahmen. Und letztlich schaut man doch ratlos, hilflos auf die Bilder vom Heiligabend 2009, die Bild zeigt. Zu sehen ist eine attraktive, sportliche Frau mit Kurzhaarfrisur, T-Shirt und Jeans. Neben dem Weihnachtsbaum in Lametta, den kleinen Roman im Arm.

Eine ganz normale Frau mit ihrer Familie. Fast.

© sueddeutsche.de/dpa/afp/ddp/reuters - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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