Süddeutsche Zeitung

Amokfahrt in Nordrhein-Westfalen:Der Täter von Münster hinterlässt Lebensbeichte

  • Die Ermittler gehen davon aus, dass es sich bei der Amokfahrt in Münster um eine Einzeltat ohne politisches Motiv handelte.
  • Der 48 Jahre alte Industriedesigner hat nach Informationen von SZ, WDR und NDR eine Art Lebensbeichte und einen fünfseitigen Brief an Bekannte verschickt.
  • Bundesinnenminister Seehofer besuchte am Sonntag den Ort, wo neben dem Täter zwei Menschen starben, und sagte: "Dieses feige und brutale Verbrechen hat uns alle sehr betroffen gemacht."

Von Hans Leyendecker und Georg Mascolo

Nach der Amokfahrt mit drei Toten in Münster suchen die Ermittler weiter nach einem Motiv des Täters. Nach bisherigen Erkenntnissen handelt es sich um die Einzeltat eines womöglich psychisch labilen Mannes aus Münster. Der 48 Jahre alte Jens R. hatte demnach kein politisches Motiv und auch keinen islamistischen Hintergrund. Bereits am 29. März hatte der Industriedesigner nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR eine Art Lebensbeichte und auch einen fünfseitigen Brief per Mail an Bekannte verschickt. In dem umfangreichen Konvolut geht es vor allem darum, was in seinem Leben alles schiefgelaufen ist und dass viele andere Menschen daran schuld seien.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sprachen am Sonntag den Opfern und Angehörigen ihr Mitgefühl aus. Seehofer sagte: "Dieses feige und brutale Verbrechen hat uns alle sehr betroffen gemacht." Am Samstag um 15.27 Uhr hatte der Mann einen silberfarbenen Campingbus im Zentrum Münsters in eine Menschengruppe vor einer beliebten Gaststätte gefahren. Dabei starben eine 51-jährige Frau aus dem Kreis Lüneburg und ein 65-jähriger Mann aus dem Kreis Borken, mehr als 20 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Derzeit werden noch vier Schwerstverletzte behandelt. Der Fahrer des Campingbusses erschoss sich unmittelbar danach.

Jens R. stammt aus dem Hochsauerlandkreis. Er galt als vermögend. Seine drei Wohnungen - eine in Münster, zwei in Ostdeutschland - wurden durchsucht. Nirgends fand sich ein Hinweis auf ein politisches Motiv. In einer Wohnung in Pirna entdeckte die Polizei ein bereits etwas älteres 18-seitiges Dokument, das in Ermittlerkreisen im Nachhinein als klassische Ankündigung eines Suizids gelesen wird. So berichtet R. darin von gravierenden Problemen mit seinen Eltern, von Schuldkomplexen, nervlicher Zerrüttung und regelmäßigen Zusammenbrüchen. Auch von "Aggressionsausbrüchen" und Verhaltensstörungen ist die Rede. Eine besondere Rolle spielt in dem Schreiben eine womöglich verpfuschte Operation. Dem Sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt war er schon länger bekannt. Nach Informationen von SZ, WDR und NDR war R. bereits bei Polizeieinsätzen als nervenkrank aufgefallen.

In Münster habe es in den Jahren 2015 und 2016 vier und bei der Staatsanwaltschaft Arnsberg ein Verfahren gegen ihn gegeben, sagte die Leitende Oberstaatsanwältin von Münster, Elke Adomeit, am Sonntag. Dabei sei es um eine Bedrohung, eine Sachbeschädigung, eine Unfallflucht sowie um einen Betrug gegangen. "Alle Verfahren sind eingestellt worden", betonte Adomeit.

Innenminister Seehofer und Ministerpräsident Laschet dankten der Polizei und den Rettungskräften für ihre Arbeit. Diese hätten "schnell und sehr besonnen auf die Situation reagiert". Er hätte sich gewünscht, dass diese Besonnenheit "auch alle die erreicht hätte, die ganz schnell bei Twitter und anderswo wieder das Hetzen begonnen haben", fügte Laschet hinzu.

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Quelle:
SZ vom 09.04.2018
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