Am Steuer in Indien:Rausch und Braus

Volltrunken mit dem Auto zu fahren, ist in Indien ein Massenphänomen. Fast die Hälfte der Autofahrer setzt sich angeheitert ans Steuer. Wer erwischt wird, erhält ungewöhnliche Strafen.

Tobias Matern

Eigentlich scheint der Fall klar zu sein. Ein schwarzer BMW rast durch Delhi, kommt von der Straße ab, tötet zwei Passanten und drei Polizisten. Die Ölspur führt die Ermittler zu dem völlig verbeulten Wagen. Die Polizei findet Blut an den Reifen. Und erwischt Hausangestellte, die es abwaschen.

Neu Delhi, AP

Verkehr in Neu Delhi: Wer volltrunken am Steuer erwischt wird, muss in Indien den Verkehr regeln - eine echte Herkulesaufgabe.

(Foto: Foto: AP)

Sanjeev Nanda, Sohn einer schwerreichen indischen Industriellenfamilie, soll den Wagen gesteuert haben - so sagt es zunächst ein Zeuge aus, der sich später aber widerspricht. Nanda gibt zu, in jener Nacht Alkohol getrunken zu haben.

Sein Anwalt legt sich für die Verhandlung eine simple Strategie zurecht. Nur weil jemand mit 100 Kilometern pro Stunde durch die Stadt rase, wolle er doch niemanden umbringen. Damit kommt er durch. Auch mehr als neun Jahre später verhandelt ein Gericht, ob Nanda schuldig ist.

Längst ist der Fall eine Posse. Immer wieder ist in den indischen Medien von gekauften Zeugen die Rede. Auch der Jeep von Bollywoodschauspieler Salman Khan gerät nach einer Zechtour in Mumbai ins Schlingern. Er überfährt vier Obdachlose, die vor einer Bäckerei schlafen. Ein Mann stirbt, die anderen überleben schwer verletzt. Die Polizei ist sich sicher, dass Khan den Wagen gefahren hat, der Star weist das zurück. Er verbringt ein paar Tage im Gefängnis, wird dann aber gegen Kaution freigelassen.

"Immerhin trinke ich nur Bier"

Das Thema Trunkenheit am Steuer offenbart die ganze Schwäche des indischen Rechtsstaats, schreibt das Nachrichtenmagazin India Today: "Die Wohlhabenden kaufen sich aus ihren Problemen heraus, und die Armen zahlen dafür mit dem Leben."

Aber es sind nicht nur die Reichen und Schönen, die im Vollrausch aufs Gaspedal drücken. Angeheitert mit dem Auto zu fahren, ist in Indien ein Massenphänomen. Nach Einschätzung einer Gesundheitsbehörde in Delhi setzt sich fast die Hälfte der Autofahrer noch ans Steuer, obwohl sie vorher Alkohol getrunken hat.

"Ich trinke immerhin nur Bier, wenn ich im Einsatz bin", sagt ein Taxifahrer in der Hauptstadt. "Meine Kollegen schütten noch ganz andere Sachen in sich hinein." Täglich sterben auf indischen Straßen im Durchschnitt 270 Menschen - viele von ihnen werden Opfer betrunkener Fahrer.

Die Gesetzeslage ist bislang lax. Zahlreiche Unfälle werden gar nicht verfolgt. Die höchste Geldstrafe für Trunkenheit am Steuer liegt bei umgerechnet 30 Euro. Aber nun soll alles anders werden.

Aus dem indischen Justizministerium kommt ein Gesetzesvorschlag, endlich härter gegen Verkehrssünder vorzugehen. Gefängnisstrafen für betrunkene Autofahrer sollen von bisher maximal zwei auf zehn Jahre erhöht werden, der Führerschein soll den Sündern entzogen werden.

Nie wieder!

Bis die härteren Maßnahmen endlich umgesetzt sind, behelfen sich die Behörden mit ungewöhnlichen Methoden. Ein 25-Jähriger, der mit seinem Wagen nach reichlich Champagner und Whisky eine Überführung rammte, musste zehn Tage an einer befahrenen Kreuzung in Delhi den Verkehr regeln.

Das ist in Indiens Hauptstadt eine Herkulesaufgabe. Tuk-Tuks, Taxis, Busse und Pkw kämpfen mit der Hupe um ihr Recht. Nach seinem Außendienst gab sich der junge Mann geläutert. "Ich werde nie wieder trinken und dann fahren. Das sollte niemand tun", sagte er.

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