Süddeutsche Zeitung

Filme:Rolle rückwärts in die 80er- und 90er-Jahre

Ob es eine gute Idee ist, die alten Lieblingsfilme wie "Indiana Jones" oder "Ein Fisch namens Wanda" noch mal anzuschauen? Eine bisweilen schmerzhafte Reise in die Vergangenheit.

Von Moritz Geier, Mareen Linnartz, Alexander Menden und Martin Zips

Vollkommen nachvollziehbar, wenn man in diesen langen Wochen eine Sehnsucht hat nach Zeiten, in denen vielleicht nicht alles in bester Ordnung war, aber wenigstens kein scheußliches Virus wütete. Nach gefühlt 300 Spazierrunden, 200 Netflix-Serien und 100 neu nachgekochten Rezepten also die Überlegung: Warum nicht noch einmal die Lieblingsfilme der eigenen Kindheit, Jugend, des frühen Erwachsenseins anschauen? Gute Gefühle auf Wiedervorlage? Ein paar Filmminuten später dann die Erkenntnis: War eher eine mittelgute Idee.

Denn neben Moden und Menschenhaut altern auch Lieblingsfilme bisweilen nur so mittelgut. Ein merkwürdiges Frauenbild, schale Witze, rassistische Untertöne. Bei älteren Kinderfilmen wie "Dumbo" "Aristocats" oder "Peter Pan" gibt es auf der Streaming-Plattform Disney Plus seit Kurzem einen Warnhinweis, es seien darin "negative Darstellungen und/oder eine nicht korrekte Behandlung von Menschen und Kulturen" enthalten, und überhaupt: Diese "Stereotype" seien damals schon falsch gewesen und seien es "noch heute". Ein Fingerzeig, der auch ein paar Filmen im eigenen Wohnzimmer-Kino gut getan hätte. Eine Auswahl.

Dauerstotternder Lach-Generator: "Ein Fisch namens Wanda"

Angekündigt wurde den Teenagern ein Schmankerl aus der eigenen Jugend, man habe Tränen in den Augen gehabt vor Lachen, damals, hach, lange her, dazu servierte man noch einen echten elterlichen Schlaumeiersatz: "Da haben welche von Monty Python mitgemacht." Hatten sie natürlich noch nie gehört, klar, aber wir wussten bestens Bescheid! Mit jeder Minute kamen neue Fragen aus verschiedenen Ecken des Wohnzimmers: "Wann wird der lustig?" "Warum stottert der so stark?" Und schließlich: "Ich würd dann mal ins Bett gehen."

"Ein Fisch namens Wanda" (1988) einschläfernd zu finden, das ist vielleicht zu viel des Guten, und doch, bei manchen Szenen musste man fast so lachen wie damals: Wie der kernige Otto mit Speisekarten-Italienisch versucht, die selbstbewusste Wanda zu betören, oder auch, als der eben stotternde Ken aus Versehen einen Hund tötet. Aber je länger man genau diesem Ken mit seinem Handicap zuschaute beziehungsweise zuhörte, desto mehr stellte sich ein leicht flaues Gefühl ein. Denn eigentlich hätte einem auch damals schon auffallen können, dass es ganz schön dürftig ist, dieses Gebrechen über mehr als hundert Minuten als beständigen Lach-Generator einzusetzen. Mareen Linnartz

Hysterisch kreischen: "Indiana Jones und der Tempel des Todes"

Abgesehen davon, dass der Satz "Das sind riesige Vampirfledermäuse!" angesichts der im Bild gezeigten Flughunde in die Irre führt, ist "Indiana Jones und der Tempel des Todes" aus dem Jahr 1984 in zweierlei Hinsicht problematisch. Erstens: Inder essen - anders als in diesem wunderbaren Film vermittelt - weder Affenhirn auf Eis, noch Suppe, in der Augen schwimmen. Das ist ebenso rassistisch, wie ihnen Kulte zu unterstellen, in denen Menschen das Herz aus dem Leib gerissen wird.

Mindestens so verheerend aus heutiger Sicht: das Frauenbild, welches die Sängerin Willie (dargestellt von Kate Capshaw) an der Seite von Harrison Ford vermittelt. Solche Frauen, die permanent hysterisch schreien und sich ausschließlich für Schmuck und Kleider interessieren, die gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Dass Steven Spielberg die Darstellerin Capshaw zudem nach den Dreharbeiten heiratete, wirft ein weiteres schlechtes Licht auf den Film. Hat der Regisseur womöglich ein Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt? Großartig bleibt der zweite Indiana Jones dennoch. Spielberg und Capshaw sind seit mittlerweile 30 Jahren miteinander verheiratet. In Indien allerdings, wo der Film mal verboten war, dürften sie bis heute nicht gern gesehen sein. Martin Zips

Sex mit einem Kürbis: "Night on Earth"

Ein toskanischer Taxifahrer, der um vier Uhr morgens seinem Fahrgast in Rom, einem einsamen Priester, seine Lebensbeichte aufdrängt, das ist schon allerhand. Wie konnte man diesen Auftritt Roberto Benignis in Jim Jarmuschs Episodenfilm "Night on Earth" (1991) jemals lustig finden? In seiner Rolle des Gino schwadroniert Benigni im Fiat darüber, wie er als Zwölfjähriger mit einem Kürbis Sex hatte ("warm, schön, weich, feucht"), sich anschließend über das Schaf Lola hermachte ("lieb, schön, hübsch"), um später ("Diese Lust!") es heimlich mit seiner Schwägerin Monica zu treiben.

Während er, Sonnenbrille tragend und Zigarette rauchend, mit dem Priester durch die Stadt rast, treiben es römische Pärchen am nächtlichen Straßenrand. Auch Transvestiten warten dort, Gino scheint sie gut zu kennen. Am Ende der Fahrt ist der Priester tot, Herzinfarkt. Gino setzt die Leiche auf eine Parkbank und verschwindet. Wir möchten die unzähligen Gründe, warum das alles heute nun wirklich nicht mehr geht, gar nicht aufzählen. Gelacht haben wir trotzdem. Martin Zips

Raubtierkapitalist als Märchenprinz: "Pretty Woman"

"Pretty Woman" kam 1990 heraus und gilt bis heute als romantisches Aschenputtel-Update für das späte 20. Jahrhundert. Die Prostituierte Vivian, mit nach wie vor entwaffnendem Charme gespielt von Julia Roberts, vergleicht sich selbst mit noch einer weiteren Märchenfigur: Wie Rapunzel träumt sie davon, von einem Prinzen "gerettet" zu werden. Nicht nur, dass Roberts in dieser Ur-Rom-Com eines der ältesten Melodrama-Klischees bedient, nämlich das der "Hure mit dem goldenen Herzen", befremdet einen heute - sondern noch mehr, dass ihr Prinz ausgerechnet in Form des zynischen Raubtierkapitalisten Edward Lewis (gespielt von Richard Gere) daherkommt. Das riecht extrem nach den gerade erst zu Ende gegangenen, geldverherrlichenden Eighties.

Edward behandelt Vivian ungeheuer herablassend - er bestellt für sie im Restaurant, er rollt im Fahrstuhl die Augen und erklärt dem Hotelbediensteten: "Das ist ihr erstes Mal in einem Lift." Und als er mit Vivian Kleider shoppen geht, gibt er dem Verkäufer die Direktive mit: "Ich möchte bei Ihnen auf nette Art ein Vermögen loswerden. Dafür erwarte ich aber auch, dass man uns außergewöhnlich gut behandelt." Und ja, nicht nur aus heutiger Sicht: Dieses Szenen sind wirklich noch nie märchenhaft gewesen. Alexander Menden

Den Kaffee bitte schwarz: "Otto - Der Film"

Als Kind in den Neunzigern hat man mit und über Otto Waalkes immer gern gelacht und "Otto - Der Film" von 1985 zählt bis heute zu den erfolgreichsten deutschen Kinoproduktionen. Kurze Skizze einer Szene, die Filmkritiker damals überhaupt nicht thematisierten, deren Humor man aber heute ungefähr so entspannt genießen kann wie das Geräusch von Fingernägeln, die über eine Tafel kratzen: Otto trifft auf der Straße einen afroamerikanischen Soldaten. "Du Neger?", fragt er ihn, und als dieser nichts versteht, fügt er an: "Neger: schwarzer Kopf, schwarzer Bauch, schwarze Füß." "Schwarze Füß?", fragt der GI, worauf Otto die Socken auszieht und seine schwarz verdreckten Füße zeigt. "Ah", sagt der GI. "Du: Neger." Gemeinsam mit dem GI zieht Otto dann einen Trickbetrug durch, er verkauft den Soldaten unter dem Namen "Herr Bimbo" einer älteren Dame als Sklaven.

Auch wenn das, was Otto hier macht, ein bisschen an Sacha Baron Cohens Kunstfigur Borat erinnern mag, mit welcher der britische Komiker rechten Amerikanern den Spiegel vorhält - für eine Diskussion, was Satire darf oder nicht, eignet sich die Szene sicher nicht: Zu daneben sind die Gags. "Wie trinken sie denn als Sklave so ihren Kaffee?", fragt die Frau den GI. "Schwarz", antwortet der. "Ach ja", sagt die Frau, "hätte ich mir ja denken können".

Die Produktionsfirma Rialto Film scheint bis heute keinerlei Bedenken zu haben, nennt die Szene sogar "möglicherweise ein sehr frühes Beispiel für anti-rassistische Komik" - dabei hat auch der Verein Initiative Schwarze Menschen in Deutschland die Szene längst als "offenkundig rassistisch" beanstandet. Moritz Geier

Blitzeschleudernde Riesenchinesen: "Big Trouble in Little China"

Schon als "Big Trouble in Little China" 1986 in die Kinos kam, fanden manche Kritiker, die hier ausgebreiteten Klischees seien ein Rückfall in die Ethno-Stereotypen eines Charlie Chan oder Fu Manchu: karatekämpfende Straßengangs, Dragon-Ladys in Opiumhöhlen und blitzeschleudernde Riesenchinesen, die wie die potenzierte Inkarnation der "Gelben Gefahr" wirkten.

Wenn man sich heute die Geschichte über Jack Burton, einen weißen, muskulösen Lastwagenfahrer mit Fönfrisur, und seinen chinesischen Kumpel ansieht, die in San Francisco zwei Frauen aus den Klauen eines unsterblichen Dämonenmeisters und seiner Armee von Schlägern befreien, dann muss man schon mal schlucken. Die weiße Retterfigur ist ebenso aus dem Figurenrepertoire Hollywoods verbannt wie die Art übler Sprüche, mit denen es Kurt Russell gelingt, Kim Cattrall zu bezirzen, um sie dann am Ende eiskalt stehen zu lassen.

Dass der Film bis heute ein Kultklassiker ist, liegt zum einen an den für damalige Verhältnisse guten Effekten und herrlichen Gummimonstern (eine vieläugige fliegende Fleischkugel ragt hier heraus). Zum anderen ist Russels Burton dann doch nicht der Held, sondern ein Macho-Idiot. Er geht k. o., weil er in die Decke schießt und von fallendem Putz getroffen wird. Das wiederum ist doch recht zeitgemäß. Alexander Menden

Kleinwüchsige im Kostüm: "E.T. - Der Außerirdische"

"Im Kino gewesen. Geweint." Diesen viel strapazierten Tagebucheintrag von Franz Kafka könnte man noch steigern, hätte man damals als Kind Tagebuch geführt: Im Kino gewesen, E.T. gesehen, zum ersten Mal dort geweint. 1982 war das, unglaublich, fast 40 Jahre her. Ist der Film immer noch so gut? Rührt er einen zu Tränen? Die eigenen Kinder? Sie sitzen da, gebannt. Wundern sich über manches, zum Beispiel die lustigen Fahrräder, mit denen Kinder damals unterwegs waren, und überhaupt: Was will dieser Außerirdische die ganze Zeit unbedingt telefonieren? Man erzählt gut gelaunt ein bisschen Trivia dazu, zum Beispiel, dass die Stimme von E.T. unter anderem von einer älteren, kettenrauchenden Dame gesprochen worden sein soll und in einzelnen Szenen angeblich eine Kleinwüchsige im E.T.-Kostüm gesteckt habe. Entsetzte Blicke: Das hat man damals gemacht? Das ist dann der Moment, in dem man sich einfach recht alt fühlt. Mareen Linnartz

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