Süddeutsche Zeitung

Protestaktion:Alle nicht ganz dicht?

50 Prominente verbreiten unter dem Hashtag #allesdichtmachen Häme über die Corona-Politik der Bundesregierung. Die Narrative: Alles Panikmache, die Maßnahmen sind übertrieben, die Medien gleichgeschaltet. Die AfD klatscht Beifall, andere Prominente sind entsetzt.

Von Nadeschda Scharfenberg

Das Video von Richy Müller zum Beispiel: Der Schauspieler, bekannt vor allem aus dem Stuttgarter "Tatort", atmet abwechselnd in einen blauen und in einen gelben Müllsack und sagt: "Auf diese Weise komme ich nicht mit der Raumluft in Kontakt und atme auch nicht in die Raumluft aus. Wenn jeder die Zwei-Tüten-Atmung benutzen würde, hätten wir schon längst keinen Lockdown mehr."

Oder sein Kollege Ulrich Tukur, der in seinem Clip mit versteinerter Miene erst ein Gedicht über den Tod vorträgt ("Der Tod ist groß, wir sind die Seinen") und dann "unsere erhabene Regierung" auffordert: "Schließen Sie ausnahmslos jede menschliche Wirkungsstätte und jeden Handelsplatz - nicht nur Theater, Cafés, Schulen, Fabriken, Buchhandlungen, Knopfläden, nein, auch alle Lebensmittelläden, Wochenmärkte und vor allem auch all die Supermärkte." Quintessenz: Wenn wir alle verhungert und mausetot seien, stürbe auch das Virus mit all seinen lästigen Mutanten.

Und noch ein Beispiel, Jan Josef Liefers, der Gerichtsmediziner aus dem Münster-"Tatort", mit einem sarkastischen Film, dessen Duktus einem irgendwoher bekannt vorkommt: Er bedankt sich "bei allen Medien unseres Landes, die seit über einem Jahr unermüdlich verantwortungsvoll und mit klarer Haltung dafür sorgen, dass der Alarm genau da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz, ganz oben". Das Narrativ von den angeblich "gleichgeschalteten" Medien also.

Etwa 50 prominente deutsche Film- und Fernsehschauspieler und -schauspielerinnen, unter ihnen auch Meret Becker, Ulrike Folkerts, Volker Bruch oder Heike Makatsch, kippten unter dem Hashtag #allesdichtmachen auf Instagram und Youtube Häme über die Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der Corona-Pandemie aus, am Donnerstagabend luden sie nahezu gleichzeitig ihre Filmbeiträge mit persönlichen Statements hoch. Die Hashtags #allesdichtmachen, #niewiederaufmachen und #lockdownfürimmer wurden am Abend binnen kurzer Zeit zu den am meisten verwendeten bei Twitter in Deutschland.

Die Filme folgen demselben Strickmuster: Es klingt kurz so, als unterstützten die Prominenten die Maßnahmen, doch dann driften sie ab in absurde Vorschläge und Szenarien, die die Politik der Regierung karikieren. Erzählstränge, die immer wieder in den Videos auftauchen: Die Maßnahmen sind übertrieben, alles Panikmache, und die Medien berichten nur das, was die Regierenden ihnen vorgeben. Wirkliches Mitleid mit den 80 000 Covid-Toten in Deutschland ist dagegen nicht zu finden.

Der Initiator: ein bekannter Corona-Verharmloser

Hinter der Aktion steckt laut dem Impressum der zugehörigen Internetseite die Münchner Firma Wunder Am Werk GmbH, der Spiegel zitiert Geschäftsführer Bernd K. Wunder mit dem Satz: "Das ist Kunst." Wunder ist von Beginn der Pandemie an als Corona-Verharmloser in Erscheinung getreten, auf seinem Instagram-Account ist zum Beispiel ein Beitrag aus dem vergangenen Mai zu finden, in dem er sich einen zotteligen Hund vors Gesicht hält und sich so über selbst genähte Masken lustig macht. Corona sei nicht schlimmer als eine Grippe.

Die Videos riefen geteilte Reaktionen in den sozialen Netzwerken hervor, wobei vor allem viele andere bekannte Schauspielkolleginnen und -kollegen und weitere Prominente entsetzt reagierten, während Beifall unter anderem von der AfD kam. "Die Schauspieler*innen von #allesdichtmachen können sich ihre Ironie gerne mal tief ins Beatmungsgerät schieben", twitterte Moderator Tobias Schlegl, der auch Notfallsanitäter ist. Medienjournalist Stefan Niggemeier vom Onlinemagazin uebermedien.de schrieb von "ekliger Ironie" und einem "Dammbruch", der zugleich der "größte Erfolg der Querdenkerzene bisher" sei.

Dialogangebot von Jens Spahn

Der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt kritisierte, er finde die Aktion schlecht und "sehe sie als Ausdruck einer zunehmenden Resignation von eigentlich Vernünftigen". Schauspieler Christian Ulmen fühlte sich sogar an den rechten Verschwörungserzähler Ken Jebsen erinnert: Dieser "hätte es nicht schöner sagen können". Nora Tschirner warf den Machern der Clips Handeln aus Langeweile und Zynismus vor. Satiriker Jan Böhmermann hielt der Aktion bei Twitter entgegen, das einzige Video, das man sich ansehen solle, "wenn man Probleme mit Corona-Eindämmungsmaßnahmen hat", sei die ARD-Doku aus der Berliner Charité mit den Titel "Station 43 - Sterben". Dazu stellte er den Hashtag #allenichtganzdicht und einen weinenden Smiley.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gab sich ausgleichend und äußerte Verständnis dafür, dass Künstler auf Härten der Krise aufmerksam machten, er könne gut verstehen, dass es wehtue, den Beruf über Monate nicht ausüben zu können, sagte er in Berlin. Er habe sich noch nicht selbst alle Videos anschauen können, fände es aber schade, "wenn der Eindruck da wäre, dass es nicht auch kontroverse, abwägende Diskussionen gibt". Dies habe im Bundestag stattgefunden. Er könne sich gut vorstellen, das Gespräch miteinander zu führen.

Beifall für die Aktion der Schauspielerinnen und Schauspieler gab es dagegen vom früheren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, der die Aktion auf Twitter "großartig" nannte. Der umstrittene Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit, der die Theorie einer gezielten Durchseuchung der Bevölkerung verficht, sprach von einem "Meisterwerk", das "uns sehr nachdenklich machen" sollte. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar twitterte: "Das ist intelligenter Protest." Sie feiere Jan Josef Liefers. Die Kunst- und Kulturszene leidet seit mehr als einem Jahr schwer unter den Corona-Maßnahmen.

Wo ist Heike Makatschs Video?

Liefers reagierte auf Twitter auf das AfD-Lob: "Eine da hineinorakelte, aufkeimende Nähe zu Querdenkern u. ä. weise ich glasklar zurück", schrieb er. "Es gibt im aktuellen Spektrum des Bundestages auch keine Partei, der ich ferner stehe als der AfD. Weil wir gerade dabei sind, das gilt auch für Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker, Corona-Ignoranten und Aluhüte. Punkt."

Ob er vor sich selbst erschrocken ist? Und wie ist das bei Heike Makatsch? Sie hatte in ihrem Video geätzt, dass man in der Pandemie nicht mal mehr Paketboten und Pizzalieferanten die Tür öffnen sollte, was Blödsinn ist, eine Maske und ein bisschen Abstand genügen und der Pizza im Pappkarton steht nichts im Wege. Ihr Video jedenfalls war am Freitag im Internet nicht mehr aufzufinden. Die Schauspielerin schrieb auf Instagram, sie bereue es zutiefst, wenn sie "rechten Demagogen in die Hände gespielt" habe. In ihrem Post benutzte sie den Hashtag #womöglichgescheitert.

Die Internetseite der Aktion war am Freitag ebenfalls nicht mehr zu erreichen: Error.

Mit Material der dpa

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