Süddeutsche Zeitung

Alkoholkonsum in Russland:Dann mal Prost!

Weil Russen zum Jahreswechsel gerne zehn Tage lang durchzechen, sollen kürzere Winterferien Ernüchterung bringen. Das Gesundheitsministerium setzt auf betrunkene Eichhörnchen.

Frank Nienhuysen, Moskau

Wie hässlich Eichhörnchen doch sind, wenn sie einen in der Krone haben. Das Fell licht wie ein abgenadelter Tannenbaum, der Schwanz erbärmlich zerzaust, die Augen rot wie Weihnachtskugeln. Das Tierchen lallt auf Russisch, singt im Suff, schreit und spricht dabei doch die Menschen an. Zwei Millionen Klicks auf YouTube hat der 56 Sekunden lange Spot "Eichhörnchen aus der Hölle" des russischen Gesundheitsministeriums schon erreicht. Es ist ja auch irgendwie lustig, wie es sich besoffen in einem leeren weißen Raum auf dem Boden wälzt, gegen nackte Wände springt, auf der trostlosen Jagd nach imaginären Spinnen. Am Ende fragt es: "Trinkt Ihr gerade? Dann komme ich zu euch."

Russlands Regierung hat den Humor entdeckt, dabei geht es um ein ernstes Thema. 18 Liter purer Alkohol im Jahr, das ist viel für einen Menschen, und doch für einen Russen nur der Schnitt. Seit Ende November ist das warnende Filmchen im Umlauf, und so konnte es richtig Fahrt aufnehmen, bevor das neue Jahr beginnt. Denn für manche beginnt es eichhörnchenartig. Mit erstaunlichen gesellschaftlichen Folgen.

Das Forschungszentrum des Portals Superjob.ru fand in einer Umfrage heraus, dass immer mehr Menschen in Russland gegen die Ballung von Feiertagen nach Neujahr und rund um das orthodoxe Weihnachtsfest sind, die bis zum 10. Januar dauern. Das Feuerwerk zum Jahreswechsel, für Russland ist es nicht nur das Signal für ein anbrechendes Jahr, sondern erst einmal das Fanal für einen kleinen Winterschlaf. Fast zwei Wochen ohne frische Zeitungen, offene Ämter und knurrende Beamte. Das öffentliche Leben fällt in ein künstliches Koma, und nicht allen gefällt es gleichermaßen. Eislaufen mit den Kindern, Skifahren und Ausschlafen ist das eine.

Für andere ist die freie Zeit eher eine Last. Bereits 30 Prozent aller Befragten sind der Ansicht, es sei längst fällig, "diesen Unfug zu verkürzen". Im vergangenen Jahr lag die Zahl der Winterferiengegner noch bei 27, im Jahr davor bei erst 25 Prozent. "Für zehn Tage erstirbt das staatliche Leben. Und was machen die, denen das nicht gefällt?", heißt es in der Studie. Die Antwort vieler Befragten: Warten, bis die Feiertage vorbei sind. "Das ganze Geld geht für Alkohol drauf. Womit soll man sich auch sonst beschäftigen?"

Erhöhte Trennungsrate zu Jahresbeginn

Das russische Ministerium für Katastrophenschutz bittet die Bürger, nicht zu arg auf das neue Jahr zu trinken und vor allem vorsichtiger zu sein mit der Pyrotechnik. "Ausgerechnet in diesen Ferientagen beobachten wir eine wachsende Zahl von Bränden und von Menschen, die darin umkommen", sagt Gennadij Kirilow, der zuständige Inspektor in dem Ministerium. Und bis zu 95 Prozent dieser Leute waren betrunken. Russische Psychologen stellen wegen der familieninternen Spannungen auch eine deutlich erhöhte Trennungsrate in der Startzeit des neuen Jahres fest. Die Frage guter Vorsätze stellt sich für manche offenbar erst gar nicht.

Über Sinn und Unsinn des zehntägigen Dämmerschlafs wird in Russland schon seit langem debattiert. Warum stattdessen nicht lieber die Maifeiertage verlängern, fragen sich viele. Doch wenn die Rechnung stimmt, die die Consultingfirma FBK aufgestellt hat, kostet die hohe Zahl der Feiertage - und kaum ein Land hat mehr als Russland - ohnehin zu viel Geld, etwa zehn Milliarden Euro. "Ein Land, das beim Lebensstandard auf Platz 51 in der Welt steht, kann sich nicht erlauben, gleich den Anfang des Jahres mit hemmungslosem Feiern zu verbringen", zitiert die Internetseite newsru.com einen Mitarbeiter der Firma. Was die Kosten betrifft, hilft vielleicht eine Erhöhung der Verbrauchsteuer auf Alkohol, die pünktlich zum Jahresanfang in Kraft tritt.

Wenn jeder Erwachsene in den winterlichen Ferientagen zwei Halbliter-Flaschen Wodka schaffe, könnte dies dem Staatshaushalt etwa 240 Millionen Euro bringen, heißt es in dem Bericht. Aber vielleicht wird dann auch einfach weniger getrunken.

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Quelle:
SZ vom 27.12.2010/ehr
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