"Alkoholbeichte" von Jenny Elvers-Elbertzhagen:Eine von 370.000

Alkoholbeichte Jenny Elvers-Elbertzhagen RTL Frauke Ludowig

Jenny Elvers-Elbertzhagen hat Frauke Ludowig bei RTL ihren Alkoholismus "gebeichtet".

(Foto: dpa)

Penetrant und sensationslüstern war das Marketing vor der Ausstrahlung. Doch am Ende zeigt "Die Alkoholbeichte! Jenny Elvers - die ungeschminkte Wahrheit" bemerkenswert nüchtern die Situation einer Süchtigen.

Von Johanna Bruckner

Eine Flasche Wein, eine Flasche Sekt, eine Flasche Wodka. Das sei zum Schluss ihre tägliche Dosis gewesen, sagt Jenny Elvers-Elbertzhagen. Ob die Reihenfolge egal gewesen sei oder sie den Alkoholgehalt über den Tag gesteigert habe, fragt Frauke Ludowig. "Wodka ist abends", antwortet die 40-Jährige. Sie wirkt bei diesem Gespräch, das laut RTL bereits Anfang Dezember geführt wurde, nur wenig besser in Form als bei jenem TV-Auftritt Mitte September, der Auslöser für ihr (unfreiwilliges) Outing als Abhängige war. Der Alkohol ist noch ganz nah, so scheint es, das wird nicht nur in der Wortwahl deutlich ("ist" statt "war").

Nicht einmal drei Monate sind zu diesem Zeitpunkt vergangen, seit die Schauspielerin in der NDR-Sendung "DAS!" Werbung für ihre Schmuckkollektion machen sollte. Offensichtlich nicht Herrin ihrer eigenen Sinne, demontierte sie sich stattdessen selbst. In der Folge machte ihr Ehemann Götz Elbertzhagen, Künstlerberater, das Offensichtliche öffentlich: die Alkoholerkrankung seiner Frau. Liebe darf das, wird er später in einem Interview zur Rechtfertigung sagen. Das mag man glauben, oder fragwürdig finden - genauso wie Elvers-Elbertzhagens Rückkehr ins Fernsehen so kurz nach absolvierter Entzugstherapie.

"Der Mann will nur ihr Bestes!" konstatierte Spiegel-Online-Kolumnistin Silke Burmester spöttisch im Vorfeld der Sendung am Montagabend, die den marktschreierischen Titel "Die Alkoholbeichte! Jenny Elvers - die ungeschminkte Wahrheit" trägt. Über Wochen hatte sich Jenny Elvers-Elbertzhagen von dem Kölner Privatsender begleiten lassen. Hatte Frauke Ludowig - die sonst das Promi-Magazin "Exklusiv" moderiert - mehrmals Rede und Antwort gestanden zu ihrer Alkoholsucht.

So sieht man die beiden blonden Frauen, wie sie mit ernsten Gesichtern durch einen Park spazieren (mutmaßlich einer Betty-Ford-Klinik in Bayern). Die Schauspielerin betreibt vor der Kirche in ihrem Heimatort Amelinghausen in Niedersachsen Ursachenforschung, schwelgt in Erinnerungen, guten wie schlechten (hier hat sie ihren Mann geheiratet und wurde zur Heidekönigin gekrönt, ein mittlerweile von ihr ungeliebter Titel). Und die trockene Alkoholikerin lässt sich am Tresen einer Bar zu ihren Gefühlen befragen.

Öffentliches Ausschlachten eines Alkoholiker-Schicksals

Das alles hat RTL zu einer einstündigen Sendung zusammengeschnitten. Um auch dem letzten TV-Idealisten die Hoffnung zu nehmen, in diesen 60 Minuten könnte etwas anderes stattfinden als das öffentliche Ausschlachten eines prominenten Alkoholiker-Schicksals, bewarb der Sender sein Format vorab penetrant und sensationslüstern. Die Ärzte hätten ihr nur noch sechs bis acht Wochen zu leben gegeben, sagt Jenny Elvers-Elbertzhagen in einem Trailer.

Und doch ist "Die Alkoholbeichte!" am Ende nicht das erwartete Spektakel aus Tränen, Geständnissen und Besserungsversprechen. Zumindest nicht nur. Denn auch wenn über die Motive der Protagonisten (neben Elvers-Elbertzhagen kommt auch ihr Mann ausführlich zu Wort) sicher genauso trefflich gestritten werden kann wie über die des Senders, schafft es RTL, überraschend nüchtern die Situation einer Süchtigen nachzuzeichnen.

"Die Geschichte von Jenny Elvers-Elbertzhagen ist die Geschichte von circa zwei Millionen Menschen in Deutschland", sagt Ludowig zu Beginn der Sendung. Das stimmt so zwar nicht, schon allein zahlenmäßig. Der Drogenbeauftragten der Bundesregierung zufolge gelten hierzulande etwa 1,3 Millionen Menschen als alkoholabhängig, 9,5 Millionen "konsumieren Alkohol in gesundheitlich riskanter Form". Doch die TV-Beichte - unterbrochen von nur einer Werbepause - macht zur besten Sendezeit ein vermeintliches Randgruppenphänomen zum Thema: Alkoholismus bei Frauen.

Weiblicher Alkoholismus - ein Tabu?

Knapp einer Million alkoholabhängiger Männer stehen in Deutschland offiziell 370.000 süchtige Frauen gegenüber. Gefährdet sind Erhebungen zufolge vor allem junge Mädchen bis 20 Jahre und Frauen zwischen 40 und 59 Jahren. In die öffentliche Wahrnehmung dringen sie jedoch kaum. "Alkoholismus bei Frauen wird stärker diskriminiert als bei Männern", sagt Anne Maria Möller-Leimkühler im Gespräch mit Süddeutsche.de. Sie ist Professorin für Psychiatrische Soziologie an der LMU München und forscht zum Thema "Gender und psychische Störungen".

Während Alkoholkonsum bei Männern - auch in exzessivem Maße - in weiten Teilen der Gesellschaft akzeptiert sei, in sogenannten "wet societies" zum Männlichkeitsbild gehöre, sei übermäßiger Alkoholkonsum von Frauen durchgängig negativ belegt. Bei den Geschlechtern seien in der Folge unterschiedliche Trinkmuster festzustellen, so die Expertin. Männer trinken demnach häufiger in Gesellschaft, greifen auch aus Geselligkeit immer wieder zum Glas oder zur Flasche. Frauen hingegen trinken vor allem alleine, verheimlichen ihre Sucht.

Die Frage "Wo bekomme ich meinen Stoff her?" habe zuletzt ihren Alltag bestimmt, berichtet auch Jenny Elvers-Elbertzhagen. Um nicht aufzufallen, habe sie den "Stoff" in verschiedenen Supermärkten und an Tankstellen gekauft. Als "Kriminelle" sei sie sich manchmal vorgekommen. Wie viele Alkoholiker entwickelte sie Strategien, um ihren übermäßigen Alkoholkonsum zu vertuschen: Füllte zu Hause Wodkaflaschen mit Wasser und Whisky-Flaschen mit Tee auf. Bestellte allein im Hotel ein Sektfrühstück für zwei. Vor ihrem Mann konnte sie ihren Alkoholismus dennoch nicht komplett verbergen. "Aber", sagt Götz Elbertzhagen, "man ist gemeinsam auf der Suche nach Ausreden."

Der Gesichtsverlust, den die Betroffenen so dringend vermeiden wollen, ist für viele jedoch der einzige Auslöser, ihr Problem anzugehen. Wie sie rückblickend ihren Auftritt im NDR wahrnehme, wird die Schauspielerin von Ludowig gefragt. "Dass ich mich in der Öffentlichkeit extrem blamiert habe", sagt Elvers-Elbertzhagen. "Ich habe ein jämmerliches Bild abgegeben, aber auch ein sehr menschliches." Danach sei klar gewesen: "Das war's jetzt."

Im Entzug habe sie sich dann intensiv mit sich selbst auseinandergesetzt. Elvers-Elbertzhagens Therapeut nennt Depressionen als Auslöser ihrer Alkoholsucht. Die Schauspielerin selbst diagnostiziert bei sich eine Jahre zurückgehende, tiefliegende "Angst, nicht zu genügen". An dieser Stelle fährt RTL das obligatorische Bildmaterial auf: Jenny mit 18 als Heidekönigin, Jenny an der Seite von Schauspieler Heiner Lauterbach, Jenny schwanger von Big-Brother-Kandidat Alex Jolig. Ihr Freund, Designer Michael Michalsky, bringt den vermeintlichen Kern des Problems folgendermaßen auf den Punkt: "Ich glaube, sie wäre lieber mit etwas anderem bekannt geworden, nicht als 'Mutter aller Luder'."

Konflikte mit sich selbst und anderen

Rollenkonflikte und problematische soziale Beziehungen (zum Beispiel mit den eigenen Eltern, dem Partner etc.) liegen nach Aussage von Soziologin Möller-Leimkühler vielen Alkoholismus-Erkrankungen bei Frauen zugrunde. Demnach haben Frauen mit hohen Feminitätswerten, die an sich ein klassisches Frauenbild anlegen, ein höheres Suchtrisiko. Gleichzeitig sind in der Gruppe der Abhängigen besonders häufig Frauen mit einem höheren sozialen Status vertreten - dabei sowohl Frauen mit Familie als auch alleinlebende Frauen. "Bei diesen Frauen sind die Strategien zur Problembewältigung oft nicht sehr ausgeprägt", so die Expertin. "Sie trinken zur Stressbewältigung und zur emotionalen Entlastung."

Auf Verständnis für ihre Probleme können die Betroffenen - ob ihres sozialen Status? - nicht immer hoffen. Es falle ihm schwer, zu verstehen, wie man traurig sein könne, obwohl es einem doch gutgehe, sagt Götz Elbertzhagen in einem Einspieler. Ob die Ehe Elbertzhagen der Belastungsprobe durch Jennys Alkoholerkrankung standhält, lässt RTL offen - aus der TV-Doku lassen sich so noch viele Fortsetzungsberichte für die einschlägigen sendereigenen Magazine produzieren.

Bleiben am Ende zwei Fragen: Was hat diese Sendung Jenny Elvers-Elbertzhagen gebracht? Die Antwort gibt wiederum deren Mann, ob ganz vollständig sei dahingestellt: "Ich bin froh, dass Jenny prominent ist", sagt Götz Elbertzhagen, "wenn sie rückfällig wird, dann fällt es auf."

Die Frage, ob die TV-Beichte für andere Betroffene möglicherweise Anlass ist, mit dem Trinken aufzuhören, lässt sich auf Grundlage der Sucht-Forschung klar beantworten mit: nein. Aber zumindest, so sieht es Expertin Möller-Leimkühler, könnte die Sendung dazu beitragen, Alkoholismus bei Frauen zu "enttabuisieren".

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