Algen in der Bretagne:Der grüne Tod

Seit Jahren kämpft man an den Stränden der Bretagne gegen eine Algenpest, nun steht fest: Ihre Gase können töten. Mehrere Strände sollen für Touristen gesperrt werden.

Michael Kläsgen

Frankreichs Premierminister François Fillon hat seinen Urlaub in der Toskana abgebrochen und ist am Donnerstag in die Bretagne gefahren. Auch der westliche Zipfel seines Heimatlandes gilt als Ferienregion. Doch Fillon kam nicht, um Urlaub zu machen, sondern weil sich dort an vielen Stränden eine Algenschicht ausgebreitet hat, die für den Menschen durchaus tödlich sein kann. Über manche Küstenabschnitte zieht sich die stinkend glibberige grüne Masse über Kilometer.

Algen in der Bretagne: Ihre Gase können töten: Algen an einem Strand der Bretagne.

Ihre Gase können töten: Algen an einem Strand der Bretagne.

(Foto: Foto: dpa)

Wegen ihrer Ausdünstungen wäre Ende Juli beinahe ein 27-jähriger Reiter ums Leben gekommen. Die Giftgase, die der Algenteppich ausströmt, raubten ihm die Luft. Er verlor das Bewusstsein. In der Notaufnahme des nahe gelegenen Krankenhauses von Lannion konnten die Ärzte sein Leben in letzter Minute retten. Sein Pferd aber versackte im Schlamm und erstickte schließlich an einer Überdosis Schwefelwasserstoff.

Die Dämpfe über dem Algenteppich weisen bisweilen eine Konzentration des Gases auf, die das in der Industrie erlaubte Limit um das 200-fache überschreitet. Ein Mensch, der einer Schwefelwasserstoff-Konzentration von 1700 ppm (parts per million) ausgesetzt ist, hat eine Überlebenschance von einer Minute. Dort, wo der Reiter verunglückte, im Ort Saint-Michel-en-Grève, lag der Wert bei 1000 ppm. An fast gleicher Stelle hatte man vor 20 Jahren einen Jogger leblos aufgefunden, seinen Tod aber nicht in Verbindung mit der damals schon herrschenden Algenpest gebracht.

Nach dem Beinahe-Tod des Reiters beauftragte die neue Staatssekretärin für Umwelt, Chantal Jouanno, das Institut für Umweltrisiken Ineris, Luftproben an der Küste zu nehmen. Am Mittwochabend räumte das Institut schließlich ein, die Algen könnten durchaus tödlich für den Menschen sein, wenn er die Giftgase mehrere Minuten lang einatmet. Dies war der Grund für Fillon, sich mit drei weiteren Ministern an die Côtes d'Armor zu begeben.

Im Winter bessert sich die Lage von allein

Nicolas Sarkozy hält seine Minister von Südfrankreich aus per Telefon auf Trab. Für "grüne Themen" ist der Staatspräsident besonders sensibel, seit die Grünen bei der Europawahl überraschend ein Rekordergebnis einfuhren. Vom Strand aus kündigte Fillon nun einen "Aktionsplan" und eine "interministerielle Kommission" an. In drei Monaten solle sie Vorschläge dazu liefern, wie der Plage endlich zu begegnen sei. Im Frühjahr dürfte dann mit den ersten, hoffentlich positiven Ergebnissen zu rechnen sein, so sagte der Premier.

Die Algen wuchern allerdings vor allem in den Monaten von Mai bis Oktober, weil dann der Austausch von Süß- und Salzwasser geringer ist. Die Lage wird sich also im Winter von allein bessern. Es ist vor allem das von der Schweinezucht und der Agrarwirtschaft mit Nitraten und Pestiziden verseuchte Grundwasser, das an die Küste sickert und die Algen sprießen lässt. Im Sand, der wie ein Gewächshaus wirkt, gedeihen sie besonders gut.

Warnmessgeräte für freiwillige Helfer

Das Umweltinstitut empfahl nach dem Befund, bestimmte Strände für Badegäste zu sperren. Die mitunter freiwilligen Helfer, die regelmäßig damit beschäftigt sind, den Algenteppich zu beseitigen, sollen Warnmessgeräte tragen, damit sie Risiken umgehen können. In jedem Jahr tragen sie 70 000 Kubikmeter abgestorbene Algen zusammen und werden der Plage dennoch nicht Herr. Manche Küstenabschnitte sind unzugänglich, andere zu morastig, um sich auf der Oberfläche zu bewegen; außerdem wachsen die Algen viel zu schnell.

Laut der Vereinigung Eau et Rivières de Bretagne, die seit 40 Jahren für sauberes Wasser kämpft, verseuchen die Algen jedes Jahr hundert Strände. "Die Indifferenz des Staates ist aber bisher die schlimmste Seuche gewesen", klagt die Vorsitzende Camille Rigaud. Dabei hatte die Regierung auf einem Umweltgipfel vor knapp zwei Jahren noch beschlossen, den Nitrat- und Phosphatausstoß in der Landwirtschaft bis 2014 um 40 Prozent zu senken.

Mist vor der Haustür

Doch danach sei nichts geschehen, bemängelt Rigaud. Denn die Bauern wollen das nicht mit sich machen lassen und verteidigen ihre Interessen mit den üblichen radikalen Mitteln. Der Sprecher einer Umweltinitiative in der Bretagne erhielt vor kurzem per Post eine Todesanzeige. Außerdem luden Bauern eine Fuhre Mist vor seiner Haustür ab.

Die Bretagne werde sich langfristig zwischen Tourismus oder Landwirtschaft entscheiden müssen, meint Rigaud. Oder geht am Ende doch beides? Die Umweltschützer sehen es mit (schwarzem) Humor. Auf ihrer Internetseite ist zu sehen, wie auf einer fiktiven Postkarte aus dem Jahr 2050 statt Menschen Schweine am Strand der schönen Bretagne liegen.

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