Afrika:Zug gegen Tier

Im Nairobi National Park haben die Arbeiten an einer Eisenbahnstrecke begonnen - trotz Protesten und eines richterlich verhängten Baustopps.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Als die Zugstrecke in Kenia das erste Mal gebaut wurde, da war es der Löwe, der die Menschen tötete: Bis zu zwanzig Arbeiter sollen gefressen worden sein, als die britische Kolonialmacht von 1896 bis 1901 die Zugstrecke von der Küste über Nairobi bis an den Viktoriasee baute. Und jetzt, so befürchten viele in Kenia, wird der Mensch den Löwen töten, wenn er die teilweise brachliegende Zugstrecke der Briten neu errichtet.

Es ist ein Konflikt, den es überall auf der Welt gibt, der sogenannte Fortschritt gegen die Natur. Nur ist in Kenia alles ein bisschen größer. Es geht nicht um ein paar Juchtenkäfer, die zum Beispiel den Bau eines neuen Bahnhofs in Stuttgart behindern - die neue Zugstrecke in Kenia soll durch den Nairobi National Park verlaufen, ein 117 Quadratkilometer großes Gebiet, nur wenige Kilometer von der Innenstadt entfernt, in dem Löwen, Giraffen und Büffel leben. Sie alle seien durch den neuen Zug gefährdet, sagt Akshay Vishwanath, der Vorsitzende der Vereins "Freunde des Nationalparkes". Die Linie durchschneide den Park und trenne die Tiere von ihrem Rückzugsraum.

"Lunatic Line" wurde die Zugstrecke der britischen Kolonialherren genannt, weil es so verrückt war, die 1340 Kilometer von Mombasa nach Kisumu zu bauen, durch ein Gebiet voller wilder Tiere und Malaria-Mücken. Später war es einfach verrückt, den Zug zu benutzen, der manchmal Tage zu spät kam.

Seit Mitte 2017 fährt auf dem Teilstück zwischen Mombasa und Nairobi bereits ein neuer Zug auf einer neuen Strecke, die Fahrzeit beträgt sechs Stunden, die Waggons sind komfortabel und immer gut besetzt. Nun will die kenianische Regierung die Linie in Richtung Viktoriasee verlängern - und durch den Nationalpark hindurch. Seit Jahren protestieren Naturschützer gegen das Vorhaben. Die chinesischen Baufirmen haben vor wenigen Tagen mit den Arbeiten begonnen, obwohl kenianische Gerichte einen Baustopp verhängt haben.

Richard Leakey, der Chef des Park-Betreibers Kenya Wildlife Service sagt, dass es im Nationalpark idealerweise gar keinen Verkehr geben sollte. Das Zugprojekt sei aber im nationalen Interesse und die Route eine "pragmatische" Entscheidung. Die Regierung verspricht sich von dem Projekt einen Wachstumsschub, es gibt bereits Pläne, das Zug-Netzwerk bis nach Ruanda, Uganda und in den Süd-Sudan zu verlängern. In Ost-Afrika würde so in wenigen Jahren das größte Infrastruktur-Projekt seit Jahrzehnten entstehen. Nur, zu welchem Preis?

Nach vielen Protesten beschloss die Regierung, die Strecke durch den Park zumindest zum großen Teil auf Stelzen zu bauen, die Schienen sollen auf 114 Trägern liegen, die zwischen sieben und 40 Metern hoch sind. Selbst Giraffen und Elefanten sollen so problemlos unter den Gleisen hindurchkommen. Die Organisation Save the Elephants berichtet aber von Erfahrungen aus anderen Parks, in denen die Tiere sich geweigert hätten, unter künstlichen Brücken hindurchzulaufen, dort hätten solche Bauwerke wie ein Riegel gewirkt.

Die Bauarbeiten der neuen Strecke kommen zu einem Zeitpunkt, da der Nationalpark in Nairobi von vielen Seiten unter Druck gerät. Unter ihm verläuft bereits einen Ölpipeline und überirdisch verschiedene Stromtrassen. Ein Teil wurde kürzlich zum Bau eines Highways abgetrennt. Im Süden, wo der Park wegen der saisonalen Migration vieler Tiere nach Tansania nicht umzäunt ist, kommt die Stadt immer näher. Dem Park droht, nur noch ein großer Zoo zu sein.

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