Afghanistan:Nach der Erschütterung droht die Kälte

Ein starkes Erdbeben macht die abgelegenen Regionen im Nordosten Afghanistans noch schwerer zugänglich und fordert viele Tote.

Von Arne Perras, Singapur

Die Welt ist durch und durch vernetzt. Oder doch nicht? Wenn sich eine Katastrophe in sehr unwegsamem Gelände ereignet, wie jetzt in den Bergen im Nordosten Afghanistans, dann zeigt sich, dass die Vernetzung doch nur für manche Regionen der Erde gilt. Es kann deshalb noch viele Tage dauern, bis sich die Experten in Südasien ein halbwegs vollständiges Bild von der Not und der Zerstörung verschafft haben werden, welche das jüngste Erbeben in Afghanistans Nordosten verursacht hat. Das Gebiet des Epizentrums nahe des Ortes Jurm ist dünn besiedelt und extrem abgelegen. Wie es dort nach dem Beben der Stärke 7,5 aussah, wusste in den ersten Stunden noch keiner der Helfer. Vielerorts gab es keinerlei Kommunikationsmöglichkeiten mehr.

Schlaglichter des Grauens - sie gab es aber schon sehr bald. So starben zwölf Mädchen in einer Schule, als sie in Panik versuchten, das wankende Gebäude zu verlassen. Sie wurden allerdings nicht unter Trümmern begraben, sondern offenbar in der Panik im Treppenhaus totgetrampelt. Ihre Schule blieb heil, und doch fanden sie den Tod.

Bis Mitternacht lokaler Zeit zählten die Behörden der Region mehr als 220 Tote - eine Zahl, die in den kommenden Tagen noch ansteigen dürfte. Zu spüren war das Beben, das neben Afghanistan auch Teile Pakistans traf, bis weit nach Indien, vielerorts strömten die Massen in Angst auf die Straßen. Erinnerungen wurden wach an ein ähnlich starkes Beben im Jahr 2005, das die Berge Kaschmirs erschütterte und Zehntausende Menschenleben forderte. Dieses Mal könnten die Überlebenschancen besser sein, weil das Beben vom Montag seinen Ausgang in besonders tieferen Regionen nahm. Seismologen registrierten es mehr als 200 Kilometer unter der Oberfläche. Die Schäden könnten deshalb nach ersten Einschätzungen geringer ausfallen als 2005, aber noch ist dies nicht mehr als eine vage Hoffnung.

Wie beim Erdbeben in Nepal im vergangenen April sind Erdrutsche nun eine große Gefahr. Der Karakorum-Highway, der Pakistan mit China verbindet, wurde teils von Geröll verschüttet, Tausende Menschen sind nun von der Fernroute abgeschnitten und kommen nicht mehr voran.

Wo die Funknetze nicht zusammenbrachen, posteten traumatisierte Überlebende ihre Erlebnisse in den sozialen Medien. Dort waren Kommentare wie der des Pakistaners Faisal Farooq aus Rawalpindi zu lesen. Er wankte im Haus hin und her wie auf einer Schaukel. "Meine Beine zittern noch immer", schrieb er, als er schon längst im Freien und in Sicherheit war.

Weil das Katastrophengebiet teils zerklüftet ist, kann es sein, dass viele Opfer vergeblich auf schnelle Hilfe von außen warten werden. Der Winter wird schon bald hereinbrechen, die Einsatzkräfte haben also nicht viel Zeit, um Decken, Zelte und warme Kleidung in die betroffenen Dörfer zu bringen. Die Kälte ist der größte Feind für alle, die das Beben zwar überlebten, aber jetzt nicht mehr aus ihren Tälern herauskommen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: