Süddeutsche Zeitung

Afghanistan:"Als ob niemand je den Namen einer Frau gehört hätte"

Lesezeit: 3 min

In Afghanistan ist es Tradition, dass Frauen nicht beim Namen genannt werden, sie werden nur als "Mutter von", oder "mein Haushalt" bezeichnet. Eine Kampagne soll das ändern.

Von Johanna Dürrholz

Als der afghanische Präsident Aschraf Ghani bei einer Rede den Namen seiner Frau nennt, bricht ein Sturm der Empörung los. Nicht, weil Bibi Gul zuvor in Ungnade gefallen war. Sondern weil das Nennen eines weiblichen Namens in Afghanistan Anstoß erregt. "So als ob niemand je den Namen einer Frau gehört hätte", schreibt Somaia Ramish.

Ramish ist Lokalpolitikerin in Herat und hat kürzlich einen Essay mit dem Titel "Call me by my name" geschrieben. Tatsächlich, schreibt sie, werden Frauen in Afghanistan in der Regel beim Namen ihres Vaters genannt, bei dem des Sohnes oder des Ehemanns - nie aber bei ihrem eigenen. Vor allem nicht in der Öffentlichkeit, doch auch zu Hause würden Frauen lieber als "Tante", als "Mutter meines Kindes", "Meine schwache Hälfte" oder "Mein Haushalt" bezeichnet.

Nahid Ehsani hat diesbezüglich großes Glück, wie sie findet. Ihr Vater hat sie immer "Nahid" gerufen. Seit fünf Jahren lebt die 17-jährige Schülerin mit ihrer Familie in Mülheim an der Ruhr. Die Ehsanis mussten fliehen, weil der Vater in der Heimat als Frauenrechtler aktiv war und bedroht wurde. Die Tochter weiß, dass es zu gefährlich ist, nach Afghanistan zurückzukehren. Etwas für ihr Land tun will sie trotzdem. Vor allem für die Frauen. "Gewalt an Frauen ist in Afghanistan an der Tagesordnung", sagt Ehsani. "Sie werden körperlich und psychisch missbraucht, haben kaum Rechte und oft noch nicht einmal eine Identität."

Ehsani hat sich deshalb der Kampagne "Where is my name?" angeschlossen, die von der afghanischen Menschenrechlerin Laleh Osmany gemeinsam mit mehreren anderen Aktivistinnen gestartet wurde. Unter dem gleichnamigen Hashtag setzen die Frauen in den sozialen Medien Posts ab, die ihr Anliegen deutlich machen. Sie rufen afghanische Männer dazu auf, ihre Frauen beim Namen zu nennen. In Kabul gab es außerdem eine Veranstaltung für Interessierte und Unterstützer. Ehsani unterstützt von Deutschland aus, so gut sie kann.

Vor dem Gesetz sind in Afghanistan Frauen und Männer gleichgestellt. Seit die Taliban nicht mehr weite Teile des Landes beherrschen, hat sich die Lage der Afghaninnen verbessert. Dennoch ist ihre Situation äußerst prekär. Nach Angaben der UN werden 70 bis 80 Prozent aller Ehen unter Zwang geschlossen, viele Frauen sind zum Zeitpunkt der Heirat noch nicht einmal 16 Jahre alt. Auch werden immer wieder Frauen inhaftiert, weil sie sogenannte moralische Verbrechen begangen haben: Opfer von Missbrauch, Vergewaltigung oder Zwangsprostitution werden häufig wegen Ehebruchs verurteilt.

Nicht beim eigenen Namen genannt zu werden, erscheint da fast nebensächlich. Das weiß auch Ehsani. Ihre Aktion sei nur ein kleiner Schritt - aber es sei ein Schritt in die richtige Richtung. Weil sich die Frauen durch den eigenen Namen auch eher der eigenen Identität bewusst werden, sich als selbstständige Person verstehen.

Seit Laleh Osmany und ihre Mitstreiterinnen ihre Kampagne gestartet haben, häufen sich Twitter-Mitteilungen von afghanischen Unterstützern, zumeist handelt es sich um Frauen. Und es gibt sogar prominenten Beistand: Der populäre afghanische Musiker Farhad Darya setzte unter dem Hashtag der Kampagne einen langen Facebookpost ab. Er versucht stets, die Namen seiner Frau und seiner Mutter in der Öffentlichkeit zu nennen. Wenn er bei einem Konzert die Namen seiner Mutter oder seiner Frau erwähne, dann könne er sehen, wie "Männer die Stirn runzeln." Sie schauten ihn an, "als wüsste er nichts von 'afghanischer Ehre und Tradition'".

Viele afghanische Männer führen religiöse Gründe an, wenn sie gefragt werden, warum weibliche Namen nicht genannt werden sollen, sagt Nahid Ehsani. "Dabei gibt es im Koran keine Stelle, die besagen würde, dass man Frauen nicht mit ihrem Namen ansprechen soll." Viele Imame würden auf der Tradition beharren. "In Afghanistan steht der Tod über der Geburt, die Beerdigung ist besonders wichtig für Afghanen", erklärt Ehsani. Trotzdem stehe auf den Grabsteinen immer nur "Mutter von" oder "Tochter von". Sie habe selbst erlebt, wie Imame es verhinderten, dass der Name der Verstorbenen auf dem Grabstein erscheint.

Dementsprechend ist auch das Engagement von Nahid Ehsani in manchen afghanischen Kreisen nicht gern gesehen. Sie erhält zahlreiche Hasskommentare auf Facebook, vorwiegend von Männern, manchmal aber auch von Frauen. "Die Männer beschimpfen mich meist als Schlampe," erzählt Ehsani. "Die Frauen sagen, ich würde die afghanische Kultur nicht ehren." Besonders trifft Ehsani jedoch, dass die afghanische Community in Deutschland ihr wenig Rückhalt gibt. Von vielen Männern, die mittlerweile in Deutschland leben, erhalte sie Morddrohungen. Für die Aktivistinnen, die in Afghanistan leben, sei die Gefahr noch ungleich größer.

"Einen Namen zu haben, ist das zivile Recht eines jeden Menschen", schreibt Somaia Ramish. "Die Namen der Frauen wurden in der Geschichte systematisch eliminiert." Die Kampagne "Where is my name" soll noch bis Ende September in den sozialen Netzwerken laufen. Danach wollen die Aktivistinnen sich dem nächsten Thema widmen. "Einige Imame haben uns versprochen, dass sie unsere Kampagne unterstützen", erzählt Ehsani stolz. "Sie rufen dazu auf, Frauennamen zu benutzen." Und Ehsani kämpft weiter. Dafür, dass es irgendwann auch in Afghanistan normal ist, dass Frauen einen eigenen Namen haben. Einen Namen, der nur ihnen gehört.

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