Es klingt, als würde einer dieser fortschrittlichen Theologen über die Familiensynode 2014 im Vatikan schreiben, wo die Bischöfe der katholischen Welt gerade noch gestritten haben, ob und zu welchen Bedingungen Geschiedene, die wieder heiraten, zu den Sakramenten zugelassen werden können.
Ja, die Ehe bleibe grundsätzlich unauflöslich, schreibt der Theologe. Wenn aber "eine zweite Ehe über eine längere Zeit hin" sich "als sittliche Größe bewährt" habe und "im Geist des Glaubens gelebt" worden sei, wenn es in der neuen Beziehung "moralische Verpflichtungen" gegenüber Kindern und Ehefrau gebe, dann scheine "die Eröffnung der Kommuniongemeinschaft nach einer Zeit der Bewährung nicht weniger als gerecht und voll auf der Linie der kirchlichen Überlieferung zu sein". Ganz schön mutig, dieser Joseph Ratzinger aus Regensburg. 1972 jedenfalls, als er diesen Aufsatz schrieb.
Papst Benedikt hat den Schluss überarbeitet
Jetzt kann man den Beitrag wieder lesen. Gerade ist Band vier der gesammelten Werke jenes Professors erschienen, der Erzbischof, Präfekt der Glaubenskongregation und schließlich Papst Benedikt XVI. wurde. Der Aufsatz beginnt auf Seite 600 - und ist völlig anders als 1972. Der emeritierte Papst hat den Schluss überarbeitet, er hat ihn ins Gegenteil verkehrt, obwohl die Argumente zuvor die gleichen geblieben sind.
Der Satz über den Kommunionempfang von Geschiedenen, die wieder heiraten, fehlt. Stattdessen empfiehlt Benedikt, dass die Kirche das Ehenichtigkeitsverfahren ausbaut - das könnte feststellen, dass eine Ehe wegen psychischer Unreife von Anfang an ungültig war, einer zweiten Heirat stünde dann nichts im Weg. Auch ohne dieses Verfahren sollten Geschiedene in kirchlichen Gremien aktiv und Pate werden können.
Warum die Äußerung Benedikt hochpolitisch ist
Nun ist Joseph Ratzinger längst nicht der einzige Mensch, der Dinge heute anders sieht als vor mehr als 40 Jahren, und warum sollte er das dann nicht sagen? Im Fall des emeritierten Papstes aber ist die Sache hochpolitisch: Benedikt XVI. greift in den aktuellen Streit über die Frage ein, wie die katholische Kirche mit den Scheidungen ihrer Gläubigen umgehen soll. Denn was er 1972 geschrieben hat, klingt fast so wie das, was im Frühjahr 2014 der Kurienkardinal Walter Kasper auf Einladung von Papst Franziskus den Kardinälen vorgetragen hat: In Einzelfällen und nach einer Bußzeit sollen Katholiken, die in zweiter Ehe leben, zu den Sakramenten zugelassen werden. Die Änderung liest sich nun wie eine Antwort auf seinen Mitbruder und Konkurrenten Walter Kasper.
Der Papa emeritus hätte damit sein Versprechen gebrochen, sich nicht mehr in die Kirchenpolitik einzumischen. Um Papst Franziskus eine Grenze zu zeigen? Für den Freiburger Theologen Eberhard Schockenhoff, der für die neueste Ausgabe der Fachzeitschrift Herder-Korrespondenz die Änderungen analysiert, macht Benedikt eher einen Kompromissvorschlag: Die fallweise Zulassung wieder verheirateter Geschiedener zu den Sakramenten stehe für ihn "nicht im Widerspruch zur Grundnorm der Kirche", er komme nur zu anderen Schlüssen, wenn es um die Seelsorge gehe. Dies "entdramatisiere" die gegenwärtige Debatte.
So oder so: Benedikt ist aus dem Schweigen getreten. Mit welchen Folgen wird sich zeigen.