Süddeutsche Zeitung

Ägypten:Verschollen im großen Sandmeer

In Ägypten sind 15 ausländische Touristen verschleppt worden, darunter fünf Deutsche und fünf Italiener. Man verhandele bereits über Lösegeld. Die Entführer seien keine Terroristen, sondern "gewöhnliche Kriminelle".

Mit Geländewagen fahren die Touristen durch die flirrende Hitze. Plötzlich stellen sich ihnen vermummte bewaffnete Männer in den Weg. Weder die Fahrer der vier Autos noch der von den Sicherheitskräften abgestellte bewaffnete "Begleiter", der während der Wüstentour durch Oberägypten für die Sicherheit der Ausländer sorgen sollte, können irgendetwas ausrichten.

In Ägypten sind fünf Deutsche gemeinsam mit zehn weiteren ausländischen Touristen und Ägyptern entführt worden. Die Gruppe werde seit Freitag vermisst, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes am Montag in Berlin. "Wir müssen von einer Verschleppung der Deutschen ausgehen."

Im Auswärtigen Amt sei ein Krisenstab zusammengetreten, der sich intensiv um eine schnelle Lösung bemühe. Die Verhandlungen mit den Entführern laufen nach Angaben der staatlichen ägyptischen Nachrichtenagentur MENA bereits. Die Entführer, die den Urlaubern während einer Wüstentour im äußersten Süden des Landes auflauerten, sollen nach unbestätigten Berichten aus Sicherheitskreisen in Kairo sechs Millionen ägyptische Pfund (783.000 Euro) Lösegeld gefordert haben. In anderen Berichten war von 15 Millionen US-Dollar die Rede.

Die Entführer lauern ihren Opfern in einer der einsamsten Regionen Ägyptens auf. Nur wenige Touristen verirren sich in den Südwestzipfel des Landes, wo es weder Pyramiden noch Pharaonengräber zu besichtigen gibt. Im Süden liegt die sudanesische Grenze, im Westen Libyen, und rundherum ist nur Sand. Abgesehen von ein paar Felszeichnungen kann man hier nur die Schönheit der Natur bestaunen.

Die ägyptischen Sicherheitskräfte trifft diese Entführung völlig unvorbereitet. Denn ihre Strategie zielte bisher darauf ab, Terroranschläge von Al-Qaida-Sympathisanten auf Touristenhotels am Roten Meer und an den großen Sehenswürdigkeiten in Kairo zu verhindern. Auch auf militante Islamisten, die entlang des Nils auf Touristen schießen oder auf dem Sinai israelische Urlauber entführen könnten, waren sie vorbereitet. "Hier stehen doch überall Polizisten, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es hier jemand wagen kann, Ausländer zu kidnappen", wundert sich ein mexikanischer Tourist in der oberägyptischen Stadt Assuan, nachdem er die Nachricht von der Entführung gehört hat.

Nach Angaben des ägyptischen Tourismusministeriums gehörten der Gruppe neben den Deutschen fünf Italiener, ein Rumäne und vier Ägypter an. Sie seien in der Nähe der Grenze zum Sudan entführt worden. Über ein Lösegeld werde verhandelt. Das Auswärtige Amt äußerte sich dazu nicht.

Eine Bande maskierter Männer habe die Urlauber verschleppt, sagte Tourismusminister Soheir Garrana. Es sei möglich, dass die Gruppe in den Sudan gebracht worden sei, hieß es zudem in ägyptischen Sicherheitskreisen.

Dass Kriminelle es wagen würden, mitten in der Wüste Urlauber zu verschleppen, um dann anschließend Lösegeldforderungen zu stellen, damit hatte die ägyptische Polizei nicht gerechnet. Denn in Oberägypten wird jeder Reisebus und jeder Geländewagen mit Ausländern an den zahlreichen Straßensperren kontrolliert und registriert. Wer als Ausländer mit seinem Privatfahrzeug unterwegs ist, bekommt meistens, ob er will oder nicht, einen Wagen mit bewaffneten Polizisten als Begleitung zugeteilt. In anderen nordafrikanischen Staaten hatte es schon mehrfach Entführungsfälle gegeben - sowohl von Extremisten als auch von Lösegelderpressern.

In Ägypten, dessen Tourismussektor erst unter den Islamisten-Attacken der neunziger Jahre und dann unter den Folgen des Bombenterrors auf dem Sinai zu leiden hatte, ist es jedoch das erste Mal, dass jemand Ausländer in der Wüste verschleppt. Das dürfte wohl auch der Grund dafür sein, dass Tourismusminister Soheir Garrana und die Sicherheitskräfte nach Bekanntwerden des Falles sofort klarstellen: "Die Entführer sind keine Terroristen, sondern gewöhnliche Kriminelle." Sie wollen verhindern, dass Touristen möglicherweise ihre Reise stornieren, weil sie denken, der islamistische Terror sei in Ägypten noch nicht gebannt.

Die Entführung ist die erste ausländischer Touristen in Ägypten seit Jahrzehnten; allerdings haben militante Islamisten in den vergangenen Jahren wiederholt Bombenanschläge verübt und der Tourismusindustrie erheblichen Schaden zugefügt.

In den meisten Gebieten Oberägyptens dürfen Touristen nur in Begleitung der Polizei mit dem Auto oder mit dem Bus reisen. Diese Sicherheitsbestimmungen gelten seit den Anschlägen islamistischer Terroristen in den neunziger Jahren.

Zwischen Luxor, Assuan, dem Roten Meer und Abu Simbel verkehren täglich Touristenkonvois, die von Polizeifahrzeugen eskortiert werden. Für Wüstensafaris in entlegenen Gebieten ist oft eine Sondergenehmigung notwendig.

Keine Israelis unter den Opfern

Erste Berichte, wonach unter den Entführten auch Urlauber aus Israel sein sollten, wurden von den Behörden dementiert. Keine Bestätigung gab es auch für Spekulationen, wonach die Entführungsopfer in den Sudan gebracht worden sein sollen.

Israel hatte seine Bürger am vergangenen Montag vor Reisen nach Ägypten gewarnt. Der Stab zur Terrorbekämpfung hatte alle Israelis, die sich im Nachbarland aufhielten, wegen "konkreter Warnungen" vor geplanten Entführungen zur umgehenden Heimkehr aufgefordert.

Es war gemutmaßt worden, man könne versuchen, Israelis auf der Sinai- Halbinsel zu verschleppen und in den von der radikalislamischen Hamas kontrollierten Gazastreifen zu bringen.

Für Spekulationen, die am Montag gekidnappten Touristen könnten von Assuan aus über die südliche Grenze in den Sudan gebracht worden sein, gab es keine Bestätigung. Zunächst bekannte sich niemand zu der Entführung.

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