Seit 25 Jahren hat sie die Wohnung nicht mehr verlassen, nicht einmal ihr Bett: Seit einem Vierteljahrhundert ist Eman Ahmed Abdelaty nicht mehr aufgestanden. Ihr Körper hindert sie daran, denn die 36-jährige Ägypterin wiegt, so schätzt es ihre Familie, rund 500 Kilogramm. Damit ist sie die derzeit wohl schwerste Frau der Welt. Und an diesem Zustand soll sich nun endlich etwas ändern.
Seit sie elf Jahre alt ist, ist Abdelaty komplett auf die Hilfe ihrer Familie angewiesen. Sie kann sich nicht waschen und nicht umdrehen, nicht einmal alleine essen. Mutter und Schwester kümmern sich in ihrem Haus in Alexandria um die 36-Jährige, die aus Achtung der Privatsphäre in der SZ nicht im Foto zu sehen ist. Die Ärzte in Ägypten sagten, sie könnten nichts für Eman Abdelaty tun. Deren Schwester wandte sich in ihrer Verzweiflung sogar an Staatspräsident Abdelfattah al-Sisi. Nun kann die Familie auf Rettung hoffen.
Ein spezialisierter Chirurg in Indien hat sich bereit erklärt, die Frau zu operieren. Meine erste Reaktion war: "Wie kann es sein, dass sie überhaupt noch lebt?", zitieren Medien Doktor Muffazal Lakdawala. Er sei entschlossen zu helfen, auch wenn die Operation ein Risiko berge. Der Arzt verhalf Abdelaty sogar zu einem Visum, nachdem die indische Botschaft in Kairo ihren Antrag abgelehnt hatte, weil sie nicht wie vorgeschrieben persönlich erscheinen konnte. Lakdawala wandte sich an Indiens Außenministerin Sushma Swaraj. Er hat beste Verbindungen, mehrere Minister haben sich bei ihm schon Operationen zur Gewichtsreduktion unterzogen. Und so erhielt Abdelaty binnen Tagen die Dokumente für eine Reise nach Mumbai.
Lakdawala weiß noch nicht, was die Ursache für das extreme Übergewicht der Ägypterin ist. Ihre Familie gibt an, sie sei an Elefantiasis erkrankt. Bei der Krankheit, die durch eine Infektion mit Parasiten ausgelöst werden oder erblich bedingt sein kann, stauen sich enorme Mengen Lymphflüssigkeit im Körper und lassen ihn aufquellen. Mit elf Jahren habe Abdelaty wegen ihres Gewichts nur noch kriechen können, wenig später habe sie einen Schlaganfall erlitten. Seitdem sei sie bettlägerig, sagt die Familie. Der Arzt allerdings vermutet eine andere Ursache: Lymphödem durch extremes Übergewicht. Genaueres könne er aber erst sagen, wenn er die Frau eingehend untersucht habe.
Dafür muss Eman Abdelaty erst einmal nach Mumbai transportiert werden. Doktor Lakdawala hat ein Spendenkonto eingerichtet, um das Geld für eine Charter-Maschine zu sammeln. Zuvor müsse wahrscheinlich eine Wand ihres Hauses eingerissen werden, sagt er. Laufen kann Abdelaty schließlich schon lange nicht mehr, und Lakdawala schätzt ihr Gewicht auf 450 Kilogramm, mindestens. Nach der Operation müsse die Ägypterin dann mehrere Monate zur Behandlung in Indien bleiben. Zwei bis drei Jahre werde es dauern, um ihr Körpergewicht unter 100 Kilogramm zu bringen, sagte der Arzt der BBC: "Ich hoffe, dass ich ihr helfen kann, aber ich würde nicht sagen, dass ich zuversichtlich bin, das wäre eine Übertreibung."
Der Arzt besorgt bereits Spezialausrüstung. Sein OP-Tisch hält nur 450 Kilogramm stand
Für die Operation schwerst übergewichtiger Menschen gibt es mehrere Möglichkeiten. Chirurgen können ein Band um den oberen Teil des Magens legen; das verschafft den Patienten schnell ein Sättigungsgefühl. Möglich ist es auch, einen Bypass zu legen, der die Darmpassage verkürzt. Solche Operationen gelten als Mittel der letzten Wahl, wenn andere Abnehmversuche nichts gebracht haben. Und sie können viel bewirken, wie der Fall der Texanerin Mayra Rosales zeigt, die im Jahr 2008 noch 470 Kilogramm schwer war. Damals wurde sie als "Halbtonnen-Killerin" bekannt, weil sie vorgab, am Tod ihres kleinen Neffen schuld zu sein, den sie zerquetscht habe. In Wirklichkeit hatte sie nur ihre Schwester schützen wollen, die derzeit eine 15-jährige Haftstrafe wegen tödlicher Kindesmisshandlung absitzt.
Für Mayra Rosales war der Freispruch der Beginn eines neuen Lebens. Die Frau, die im Umzugswagen ins Gericht gefahren wurde, nachdem ein Loch in die Mauer ihres Hauses geschnitten worden war, begab sich in ärztliche Behandlung. Schon in den ersten zehn Tagen verlor sie 50 Kilo. Heute wiegt sie noch 90 Kilo, ihre Organe und Knochen sind gesund. Das aber bedurfte eines harten Trainings: Bettlägerige Menschen leiden unter Knochenschwund, und wenn sie extrem adipös sind, hält das Skelett ihrem Gewicht nicht mehr stand. Auch das Herz befindet sich an der Grenze der Belastbarkeit. So ist der Mexikaner Manuel Uribe, einst mit 592 Kilogramm schwerster Mann der Welt, 2014 im Alter von 48 Jahren verstorben, da befand er sich gerade knapp unter der 400-Kilo-Marke.
Abdelatys indischer Chirurg hat jedenfalls bereits begonnen, Spezialausrüstung zu besorgen - die schwersten Menschen, die er bislang operiert hat, wogen 300 Kilogramm, der Operationstisch hält höchstens 450 Kilo stand. In wenigen Tagen schon soll seine Patientin die rettende Reise antreten. Die erste in ihrem Leben.