Süddeutsche Zeitung

Ägypten:Gift im Nil

Durchfall, Erbrechen, Fieber: In Ägypten droht Aufruhr, weil es kaum sauberes Trinkwasser gibt. Die Krise hat mittlerweile auch die Wohlhabenden erreicht. Der Gesundheitsminister ordnete eine Untersuchung an - Anhänger von Präsident Mursi vermuten ein Komplott.

Sonja Zekri, Kairo

Der Ministerbesuch war als Trost gedacht, als politische Besänftigungstour, wurde aber zur Geiselnahme, zumindest für eine Stunde. Im Krankenhaus der ägyptischen Stadt Menufija im Nil-Delta liegen die Opfer der jüngsten Wasserkrise. Dutzende Patienten waren in den vergangenen Tagen eingeliefert worden, schwerste Fälle von Durchfall, Erbrechen und hohem Fieber, vergiftet durch das Wasser aus dem Hahn.

Tausend weitere Bewohner des Dorfes Sensaft waren erkrankt, die Wut entsprechend groß, und als Gesundheitsminister Mohammed Mustafa und der Provinzgouverneur die Patienten besuchten, sperrten empörte Angehörige sie kurzerhand ein. Einige hielten den Politikern Flaschen mit brackigem Inhalt entgegen und riefen "Trink das!". Nach einer Stunde wurden Minister und Gouverneur wieder freigelassen. Der Minister ordnete eine Untersuchung des Wassers an.

Gelbe Brühe ist für die Menschen aus Sensaft nichts Neues. Viele Ägypter leiden unter schlechtem Trinkwasser. Aufbereitungsanlagen sind teuer, die Kanalisation oft unzureichend. Vor vier Jahren meldete das Nationale Toxikologische Zentrum der Universität Kairo, eine halbe Million Ägypter litten an Vergiftungserscheinungen. Das Land ist der größte Verbraucher des Nil-Wassers. Doch selbst der längste Fluss der Welt, Grundwasser und Regen decken inzwischen nicht mehr den Bedarf. Zwar ist der Pro-Kopf-Verbrauch gesunken, aber die Bevölkerung explodiert. Milliarden Kubikmeter versickern in löchrigen Rohren, verdunsten oder werden in privaten Haushalten verplempert oder auf Golfplätzen verschwendet.

Bislang traf der Wassermangel vor allem Menschen auf dem Dorf oder in den Armenvierteln. Nun aber hat die Krise auch die Wohlhabenden erreicht. Im Juni ließ Gesundheitsminister Mustafa sieben Mineralwasserfabriken schließen, nachdem Stichproben eine Verunreinigung ergeben hatten. Seitdem haben sich die Preise für Mineralwasser mancherorts verdoppelt, sofern es überhaupt zu haben ist: Supermärkte kontrollieren, welche Kunden wie viele Kartons kaufen. Einige Geschäfte wurden tagelang nicht beliefert.

Wasserknappheit künstlich herbeigeführt

Die Ernennung des früheren Wasserministers Hischam Kandil zum Premierminister sollte zeigen, dass die Muslimbrüder und ihr Präsident Mohammed Mursi das Thema ernst nehmen. Nun aber vermuten viele Ägypter hinter den Ärgernissen politische Kräfte. In Saft al-Laban, einem Slum in Gizeh, gab es vorübergehend gar kein Trinkwasser mehr, und so schleppen die Frauen Kanister und schimpfen auf die Revolution.

Die Wasserknappheit sei künstlich herbeigeführt, um die Menschen gegen Präsident Mursi aufzubringen, sagte eine alte Frau ägyptischen Medien: "Viele hier haben Mursi unterstützt, denn er ist ein guter Mensch und folgt Gottes Wort." Seit Wochen schüren Anhänger und Gegner der Muslimbrüder Ängste: Radikale Mursi-Gegner haben am Freitag zu einer "zweiten Revolution" gegen die Islamisten aufgerufen. In einer Art Gegenzauber verbreiten islamistische Scheichs Fatwas gegen die Protestierenden und Gewaltaufrufe. Die Wasserkrise könnte so zur ersten Woge eines neuen Aufruhrs werden.

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SZ vom 23.08.2012/vks
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