Flugzeugabsturz in Ägypten:Flug 7K-9268 - ein Rätsel

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Spurensuche in der Wüste: Katastrophenschutzminister Wladimir Putschkow (Mitte) an der Absturzstelle in Ägypten. (Foto: Khaled Elfiqi/dpa)
  • Internationale Experten suchen nach der Ursache für den Absturz des russischen Passagierflugzeugs in Ägypten.
  • Russische Behörden gehen davon aus, dass die Maschine in der Luft zerbrochen ist. In Ägypten geht man von einem technischen Problem aus.
  • Am Montag ist eine Maschine mit sterblichen Überresten von 144 Opfern in Sankt Petersburg eingetroffen. Die Überreste sollen nun identifiziert und dann den Hinterbliebenen übergeben werden.

Von Julian Hans und Paul-Anton Krüger, Moskau/Kairo

Einen Tag nach dem Absturz von Flug 7K-9268 gibt es endlich Bilder von der Absturzstelle auf der Sinai-Halbinsel, doch sonst hat Ägyptens Regierung nur spärlich und teils widersprüchliche Informationen veröffentlicht.

Es bleibt eine große Ungewissheit für die Angehörigen am Flughafen Pulkowo von Sankt Petersburg. Sind die 224 Menschen an Bord des 18 Jahre alten Jets wegen eines Unfalls gestorben? Wegen eines technischen Defekts oder Pilotenfehlers? Oder haben Terroristen das Flugzeug vom Himmel geholt?

Sicher ist bislang nur soviel: Der Airbus A321-200 der unter dem Namen Metrojet fliegenden russischen Gesellschaft Kogalymavia war am Samstag um 5.58 Uhr im Badeort Scharm el-Scheich am Roten Meer gestartet und scheinbar normal bis auf seine anfängliche Reiseflughöhe gestiegen, etwa 10 000 Meter.

23 Minuten nach dem Start verschwand die Maschine von den Radarschirmen, nachdem sie ebenso ruckartig wie unvermittelt Geschwindigkeit und Höhe geändert hatte. Stunden später fanden ägyptische Suchtrupps Wrackteile in einer schwer zugänglichen Gebirgsgegend bei Hasana, etwa 70 Kilometer südlich von al-Arisch an der Mittelmeerküste. Einen Flügel. Die Heckflosse. Sektionen des Rumpfes. Und viele Tote. Manche waren noch an ihren Sitzen festgeschnallt.

Luftfahrtminister: "völlig normaler" Funkverkehr, kein Notruf

Schnell waren die ägyptischen Behörden mit einer Erklärung zur Hand, es habe technische Probleme gegeben. Der Chef des Komitees zur Untersuchung von Flugunfällen, Ayman el-Mokadem, sagte, der Pilot habe dies bei der Luftraumkontrolle gemeldet und gebeten, auf dem nächstgelegenen Flughafen notlanden zu dürfen.

Am Abend widersprach ihm dann Luftfahrtminister Hossam Kamel. Auf einer Pressekonferenz in Kairo sagte er, der Funkverkehr mit den Fluglotsen sei "völlig normal" gewesen, die Crew habe auch keinen Notruf abgesetzt, bis das Flugzeug abgestürzt sei.

Das schaffte um so mehr Verunsicherung, als am Nachmittag ein ägyptischer Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), der sich "Provinz Sinai" nennt, in einer im Internet verbreiteten Erklärung behauptete, die Maschine der "russischen Kreuzfahrer" zum Absturz gebracht zu haben - als Vergeltung für Russlands Eingreifen in Syrien.

Russische Ermittler zum Airbus-Absturz
:Flugzeug brach in der Luft auseinander

Neue Erkenntnisse bei der Untersuchung des abgestürzten russischen Flugzeugs in Ägypten: Der Airbus brach im Flug auseinander, heißt es von der Untersuchungskommission.

Russische Kampfjets bombardieren dort seit vier Wochen Gegner von Machthaber Baschar al-Assad, einige der mehr als 1000 Angriffe galten auch Stellungen der Terrormiliz IS. Derartige Spekulationen befeuerte ein Video, das am Samstag im Internet auftauchte und zeigen soll, wie eine Rakete ein Verkehrsflugzeug trifft, das dann abstürzt. Das rief Erinnerungen an den Abschuss von Flug MH17, einer Boeing 777 der Malaysia Airlines, über der Ostukraine im Juli 2014 wach.

Mehr als 80 Rettungskräfte suchen nach den Opfern

Die ägyptischen Behörden setzten am Sonntag zusammen mit russischen Experten die Untersuchungen zur Unfallursache und die Bergungsarbeiten fort. Das Suchgebiet wurde ausgeweitet, nachdem mindestens ein Toter mehrere Kilometer entfernt von den großen Trümmern gefunden worden war.

Aus Moskau reisten der Minister für Katastrophenschutz, der Verkehrsminister und der Chef der Luftfahrtbehörde an die Unglücksstelle. Katastrophenschutzminister Wladimir Putschkow leitet auf russischer Seite die Ermittlungen. Mehr als 80 Rettungskräfte seines Ministeriums sind an der Suche nach den Opfern beteiligt.

Am Sonntagabend teilten die russischen Behörden mit, die Metrojet-Maschine sei vermutlich während des Fluges auseinandergebrochen. "Die Zerstörung ist in der Luft geschehen. Aber es ist zu früh für Schlussfolgerungen", sagte Viktor Sorotschenko von der Untersuchungskommission. Für diese Theorie spräche, dass die Trümmer des Airbus über ein weites Gebiet von etwa 20 Quadratkilometern verstreut worden sind.

Ägyptens Premier Scharif Ismail sagte, erst die Auswertung der Flugschreiber werde Aufschluss über die Absturzursache geben, ein technisches Problem sei aber am wahrscheinlichsten. Sowohl der Flugdatenschreiber als auch der Stimmenrekorder seien gefunden worden. Sie sollten womöglich noch bis Sonntagabend ausgewertet werden.

Der russische Verkehrsminister Maxim Sokolow sagte der Nachrichtenagentur Interfax, Berichte über einen Abschuss "können nicht als zutreffend betrachtet werden". Es gebe keine Hinweise, dass das Flugzeug angegriffen worden sei.

Es war über einem Gebiet abgestürzt, in dem die Armee Krieg führt gegen den "Islamischen Staat" und andere militante Islamisten. Es ist für Ausländer und Journalisten gesperrt. Bei einer Militäroperation hat die Armee im Norden der Sinai-Halbinsel in den vergangenen Wochen nach eigenen Angaben mehr als 650 Terroristen getötet.

Videos und frühere Angriffe des IS auf die ägyptische Armee lassen annehmen, dass die Gruppe moderne Waffen besitzt, darunter schultergestützte Luftabwehrraketen vom russischen Typ 9K38 Igla, von der Nato als SA-18 bezeichnet. Diese können aber selbst unter optimalen Bedingungen maximal bis zu einer Höhe von etwa 4500 Metern Ziele treffen - der Airbus flog laut den ägyptischen Behörden und der unabhängigen Internetseite Flightradar24 mehr als doppelt so hoch.

Es gibt keine belastbaren Hinweise, dass die Gruppe höher reichende Waffen besitzt. Nicht ausgeschlossen ist dagegen, dass es Terroristen gelungen sein könnte, in Scharm el-Scheich eine Bombe oder andere Explosivkörper an Bord zu schmuggeln.

Die meisten der Opfer sind Touristen aus Russland

Das Bekenntnis des IS enthält keine Aussage dazu, wie die Maschine zum Absturz gebracht worden sein soll - allerdings auch keinerlei Informationen, die nicht öffentlich zugänglich waren und den IS als Täter ausweisen könnten.

Die Erklärung wurde über Kanäle verbreitet, die in der Vergangenheit schon von der Terrormiliz benutzt worden waren; in Aufmachung und Duktus stimmt sie mit früheren Äußerungen überein. Dennoch ließ sich der Wahrheitsgehalt bis Sonntagabend nicht unabhängig verifizieren.

Die Fluggesellschaften Lufthansa, Air France-KLM und Emirates kündigten an, bis zur Klärung der Ursache den Sinai nicht mehr zu überfliegen; schon bisher galt eine Warnung der amerikanischen, britischen und deutschen Behörden, den Luftraum unterhalb einer Höhe von umgerechnet 8000 Metern zu meiden.

Laut der ägyptischen Regierung wurden bis Sonntagmittag 163 Leichen gefunden und nach Kairo überführt. Die sterblichen Überreste von 144 Insassen wurden dann am späten Sonntagabend nach Sankt Petersburg ausgeflogen, damit die Angehörigen sie dort identifizieren können. Die meisten Opfer stammen von dort oder aus dem Nordwesten Russlands. Vier Reisende stammten aus der Ukraine, einer aus Weißrussland.

Das Ermittlungskomitee in Moskau ließ die Büros der Fluggesellschaft Kogalymavia und des Reiseveranstalters Brisco durchsuchen. Auch am Flughafen Domodedowo in Moskau, wo die A321 registriert ist, wurden Büros durchsucht. Proben des Flugbenzins aus Samara, wo der Airbus zuletzt getankt hatte, blieben unbeanstandet. Die vorgeschriebene Untersuchung der Crew habe ergeben, dass alle Mitglieder gesund waren, teilte die russische Staatsanwaltschaft mit.

© SZ vom 02.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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