Acht-Punkte-Plan der katholischen Kirche:Richtlinien gegen den Teufel

Acht-Punkte-Plan der katholischen Kirche: Was soll man sagen, angesichts solcher Verbrechen? Der Papst während des Bußgottesdienstes am Samstag im Vatikan.

Was soll man sagen, angesichts solcher Verbrechen? Der Papst während des Bußgottesdienstes am Samstag im Vatikan.

(Foto: Vincenzo Pinto/AP)
  • Papst Franziskus gibt den Bischofskonferenzvorsitzenden einen Acht-Punkte-Plan als Hausaufgabe mit auf den Weg: Im Mittelpunkt allen Handelns müsse der Kinderschutz stehen.
  • Die Kirche werde "jeden, der solche Verbrechen begangen hat, der Justiz unterstellen" und "nie versuchen, einen Fall zu vertuschen oder unterzubewerten".
  • Die Kirche habe auch die Pflicht, missbrauchte Personen zu begleiten und ihnen jede notwendige Hilfe zukommen zu lassen

Von Matthias Drobinski

Vielleicht ist die Sala Regia, der prächtige Durchgangssaal zur Sixtinischen Kapelle, tatsächlich der geeignetste Ort zur Buße und Umkehr. Fresken mit den Augenblicken päpstlicher Triumphe schmücken die Wände, den Sieg in der Seeschlacht bei Lepanto über das Osmanische Reich eingeschlossen. Die besten Künstler des 16. Jahrhunderts waren gerade gut genug, um die Macht und Herrlichkeit der Kirche in Szene zu setzen.

Hier also soll nun Papst Franziskus erklären, wie die katholische Kirche künftig mit dem Skandal der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche umgehen will; er werde eine Grundsatzrede halten, heißt es. Seit Donnerstag haben insgesamt 190 Bischofskonferenzvorsitzende, Kurienvertreter und Ordensobere beraten. Am Samstagabend haben sie sich schon einmal in der Sala Regia getroffen, zur gemeinsamen Bußübung. Ein junger Mann, ein Betroffener des Missbrauchs, sagte ihnen dabei: "Missbrauch jeder Art ist die schlimmste Demütigung, die man einem Menschen zufügen kann." Er kämpfte, als er redete, mit den Tränen. Dann spielte er ein Stück von Johann Sebastian Bach auf der Geige vor.

Jetzt, am Sonntagmorgen, folgt der Abschlussgottesdienst des Treffens; der australische Erzbischof Mark Coleridge fordert in der Predigt eine "kopernikanische Wende" - es dürfe nicht mehr die Kirche im Zentrum stehen, dies gebühre vielmehr den Überlebenden der Gewalt. Nach dem Schlusssegen tritt Papst Franziskus ans Pult. Der Missbrauch, sagt er, sei "leider in allen Gesellschaften und Kulturen ein verbreitetes Phänomen", das lange tabu gewesen sei. Er vergleicht diesen Missbrauch mit der Praxis, "Menschen - oft Kinder - bei heidnischen Ritualen zu opfern". Überwiegend finde er in der Familie statt, hinzu kämen die übers Internet weltweit verbreitete Pornografie und der Sextourismus.

Erst dann kommt der Papst auf die katholische Kirche zu sprechen. Die "Unmenschlichkeit des Phänomens" werde "in der Kirche noch unmenschlicher und skandalöser"; die "gottgeweihte Person, die von Gott auserwählt wurde, um die Seelen zum Heil zu führen, lässt sich von ihrer menschlichen Schwäche oder ihrer Krankheit versklaven und wird so zu einem Werkzeug Satans". Gegen den Teufel also brauche es nun einheitliche Richtlinien. Dabei müssten die Extreme eines "Gerechtigkeitswahns" und der "Selbstrechtfertigung" vermieden werden.

Die Bischofskonferenzen müssen die Vorgaben des Pontifex nun verbindlich umsetzen

Es ist dann ein Acht-Punkte-Plan, den Franziskus den Bischofskonferenzvorsitzenden als Hausaufgabe mit auf den Weg gibt: Im Mittelpunkt allen Handelns müsse der Kinderschutz stehen; es sei "den Opfern von Missbrauch in jeder Hinsicht Vorrang zu gewähren". Die Kirche werde "jeden, der solche Verbrechen begangen hat, der Justiz unterstellen" und "nie versuchen, einen Fall zu vertuschen oder unterzubewerten". Darüber hinaus brauche sie eine "wirkliche Reinigung", "auch unter der Hinzuziehung von Experten". Den Priesteramtskandidaten müsse "ein ausgewogener Ausbildungsweg geboten werden, der auf Heiligkeit ausgerichtet ist und die Tugend der Keuschheit mit einschließt". Die Bischofskonferenzen müssten ihre Leitlinien um Umgang mit Missbrauchsfällen als "Normen und nicht bloß als Orientierungen" in Kraft setzen. Die Kirche habe auch die Pflicht, missbrauchte Personen zu begleiten und ihnen jede notwendige Hilfe zukommen zu lassen; sie müsse "Zeit verschwenden beim Zuhören".

Ist das die wegweisende Rede, der große Befreiungsschlag des Papstes nach einem Krisengipfel, den es so in der Kirchengeschichte noch nicht gegeben hat? Immerhin ist, als der Papst die Sala Regia verlässt, klar: Franziskus hat die Sache zur Chefsache gemacht. Kein Bischof auf der Welt kann sich mehr herausreden, dass ihn das Thema nichts anginge. Aber sonst? Reicht es, den Missbrauch zu dämonisieren als Werk des Teufels? Franziskus kündigt nur eine konkrete Änderung des Kirchenrechts an: Der Besitz von Kinderpornos mit Opfern über 14 Jahren wird künftig strenger bestraft. Doch die Frage, ob ein überführter Täter noch Priester sein kann und ein vertuschender Bischof noch Bischof, bleibt ausgeklammert. Unerwähnt bleibt, wie Missbrauchsfälle aufgearbeitet werden sollen, wie Opfer entschädigt werden können. Und genügt es wirklich, Priesteranwärtern den Sinn der Keuschheit besser zu vermitteln?

Die Verbände der Betroffenen fordern, überführte Täter in den Laienstand zu versetzen

Schon während der Konferenz hatte sich abgezeichnet, dass die Kirchenvertreter der Forderung nach "Zero Tolerance", nach einer Null-Toleranz-Linie, wie sie die Betroffenen-Verbände fordern, skeptisch gegenüberstehen. Die Forderung, überführte Täter und Vertuscher in den Laienstand zu versetzen, trifft bei vielen auf Ablehnung - kirchenrechtlich sei das schwierig, die Fälle seien unterschiedlich, zudem sei die Kirche für diese Männer weiterhin zuständig.

Entsprechend unzufrieden sind am Sonntag die Vertreter der Betroffenen. "Die Rede des Papstes ist der schamlose Versuch, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, ohne sich der Schuld und dem Versagen zu stellen und wirkliche Veränderung anzugehen", sagte ein Vertreter des internationalen Opferverbands "Ending Clergy Abuse" (ECA). Die "Survivors", die Überlebenden, dürften sich wieder einmal von der katholischen Kirchenspitze nicht ernst genommen fühlen.

Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, hatte sich immerhin am Freitag mit den ECA-Vertretern getroffen, mehr als eine Stunde lang ihren Geschichten zugehört, Zorn, Emotionen und Tränen ausgehalten. Am Sonntag zieht er eine positive Bilanz: Die Konferenz im Vatikan sei "ein wichtiger Schritt nach vorn" gewesen. Die Enttäuschung über den Ausgang der Tagung sei der falschen Erwartung geschuldet, dass sie zu konkreten Beschlüssen hätte führen müssen.

Mit den hohen Erwartungen wird der Münchner Kardinal aber auch weiterhin umgehen müssen: In zwei Wochen werden die deutschen Bischöfe in Lingen auf ihrer Frühjahrsversammlung beraten, was das Treffen in Rom für sie bedeutet. Mehrere jüngere Bischöfe haben bereits gefordert, eine Synode in Deutschland abzuhalten, eine umfassende Kirchenversammlung.

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