Abtransport der Costa Concordia:Abschied vom Wrack

LAST JOURNEY

Auf nach Genua: Die Costa Concordia begann an diesem Mittwoch ihre letzte Reise. Mehr als ein Dutzend Schiffe sind an der Aktion beteiligt.

(Foto: Riccardo Antimiani/dpa)

Darauf hatten die Bewohner von Giglio lange gewartet: Kirchenglocken läuten, als sich die havarierte "Costa Concordia" auf den Weg nach Genua macht. Zurück bleiben die Menschen auf der Insel - manche mit Wehmut.

Von Andrea Bachstein, Rom

Dieser Moment lässt niemanden kalt: Die Schiffsirenen hupen, die Glocken der drei Inselkirchen läuten, Hunderte Schaulustige auf der Mole mit dem grünen Leuchtturm von Giglio Porto klatschen. Es ist der Abschiedsgruß für die Costa Concordia, Mittwochmorgen kurz nach neun Uhr. Ein Moment, von dem seit 30 Monaten viele träumten und von dem viele fürchteten, er würde nie kommen.

Mit offenen Mündern sehen Gigliesi und Touristen zu, wie sich das gewaltige Wrack zu bewegen beginnt. Unter dem Zug der beiden Schlepper, der orangeroten Blizzard und der schwarzen Resolve Earl, dreht sich der Bug des 290 Meter langen Kolosses in östliche Richtung. "Sie bewegt sich, sie bewegt sich", rufen einige, als klar ist: Auch dieses Manöver gelingt. Um 10.15 Uhr ist die Drehung des Bugs um 90 Grad vollzogen, er zeigt in Richtung der Halbinsel Monte Argentario.

Auch dem Bürgermeister kommen die Tränen

Giglios Bürgermeister Sergio Ortelli kommen die Tränen. Selbst Sergio Girotto, einer der leitenden Ingenieure des Bergungs-Konsortiums, der in den vergangenen Wochen täglich berichtet hat von jedem technischen Detail, ist jetzt von Freude, ja Erleichterung übermannt. Das Wetter hat mitgespielt, der Himmel ist blau, das Meer wellt sich nur leicht vom Wind. Es läuft alles schneller als gedacht, mittags hat die Costa Cncordia sechs Seemeilen Abstand zur Insel an den Trossen der Schlepper erreicht, sie schwindet aus dem Blick. Unter italienischer Flagge geht ihre allerletzte Fahrt Richtung Norden, nach Genua, wo das einst stolze Kreuzfahrtschiff abgewrackt wird, ausgeweidet, zerschnitten.

Auch von dem Mann, der die Costa Concordia am 13. Januar 2012 bei stillem, mondbeschienenem Meer auf die Klippen vor Giglio steuerte, gibt es Nachrichten am Mittwoch: Italienische Zeitungen veröffentlichen ein Foto von Ex-Kommandant Francesco Schettino. Sichtlich bester Laune sieht man ihn da bei einem Fest auf Ischia. 33 Menschen einschließlich eines Bergungstauchers sind umgekommen bei dem Desaster, 30 Menschen wurden verletzt. 1,5 Milliarden Euro Kosten entstanden. Der Prozess gegen Schettino läuft seit einem Jahr im toskanischen Grosseto.

Gespenstische Bilder kommen aus dem Inneren der Costa Concordia, seitdem sie in den vergangenen zehn Tagen mit 30 Auftriebskörpern an ihren Flanken angehoben wurde; 14 Meter höher als nach ihrer Aufrichtung im September 2013 ragt sie nun aus dem Wasser. Regale mit aufgereihten Tellern stehen in den aufgetauchten Decks, große Glasbehälter mit eingelegten Früchten unversehrt auf Bartresen, Couchecken wirken wie gerade eben verlassen, der Flügel fixiert an seinem Platz. An anderen Stellen nichts als Zerstörung, verkeilte Stühle, zerborstenes Holz, rostige Bleche, Kabelbündel, fleckige Koffer.

Während am Mittwochmittag all das mit dem Costa-Concordia-Konvoi langsam wegfährt, sagt Bürgermeister Ortelli: "Wir sind nicht die Insel der Tragödie, sondern eine Insel, die sich wieder aufmachen will, zurück zur Normalität."

Erleichterung, dass alles so gut geklappt hat, ist ringsum zu spüren. "Es ist eine Befreiung", sagen Einheimische auf der Mole. Aber für ausgelassene Feiern ist den Gigliesi der Gedanke an die Opfer viel zu nahe, deren Namen auf einem Gedenkstein in der Hafenmauer bleiben. Nur die Männer, die 26 Monate für diesen Tag geschuftet haben, leisten sich einen ausgelassenen Moment. Die Bergungsarbeiter, wettergegerbte Typen aus aller Welt, zeigen ihre dicken Bizepse und gönnen sich an der Hafenpromenade dicke Zigarren und Bier. Für die Gigliesi, aber auch für ihre Gäste, beginnt nun ein neuer Abschnitt.

Freude und Wehmut

Nicht alle, die man auf der Fähre von Porto Santo Stefano fragte, wollten einen letzten Blick auf das Wrack werfen. Eine Gruppe Spanier fotografierte es eifrig, aber sie wären auf ihrer Toskana-Tour ohnehin nach Giglio gekommen. Und ein älterer Schweizer sagte, "davon haben wir schon viel zu viel gesehen. Die Concordia interessiert uns nicht mehr." Manche haben gar nicht daran gedacht, was hier passiert, wie eine ältere Dame aus Deutschland, die mit ihren Koffern in einer Gasse ratlos vor Polizisten stand, die zu erklären versuchten, es gebe keine Zimmer auf der Insel - wegen der vielen Journalisten.

Was die im Fernsehen von Giglio übertragen, interessiert Pietro Pellegrini nicht mehr, es reicht, sagt er. Auf dem Fernseher in seinem Andenken- und Tabakladen laufen Unterhaltungsshows. So genau weiß er nicht, wie es ohne die Costa Concordia sein wird, "das Wrack haben wir nicht ins Herz geschlossen", sagt er, "aber mit den Leuten, die jetzt zwei Jahre hier bei uns waren, haben wir uns angefreundet." Er war einer der vielen Gigliesi, die in der Unglücksnacht den Schiffbrüchigen zur Hilfe eilten. "Nie werde ich das vergessen, irgendwann hatte ich ein kleines Mädchen im Arm, völlig durchnässt und verängstigt, es war so alt wie meine Tochter." Dass sie damals halfen, ist für Pellegrini heute noch genauso selbstverständlich wie damals.

Auch Signora Carla, eine Rentnerin, erzählt in ihrer Wohnung am Hafen, dass es sich nun zwiespältig anfühle: Ja, endlich werden sie das Wrack los, aber bald dann eben auch die Arbeiter, die irgendwie schon dazugehörten. Sie freut sich, dass der Katastrophentourismus aufhört, "diese Leute haben oft vergessen, dass da viele Menschen gestorben sind". Die Insel lebt seit Jahrzehnten vom Tourismus. Es ist die dritte Feriensaison, die Giglio mit dem Wrack erlebt und mit der Sorge, dass der Tourismus leidet. Ilva Danei, die Boote vermietet, sagt, ihr Geschäft sei zurückgegangen. Allein schon, weil es wegen der Bergungsarbeiten immer wieder Sperrungen für den normalen Bootsverkehr gab.

Giglio - kein Ort, sondern eine Tragödie

In Porto Santo Stefano auf dem Festland lästern sie im Hafen, die Gigliesi hätten gut verdient nach dem Desaster. So recht quantifizieren, welchen wirtschaftlichen Schaden Giglio genommen hat, kann auch Bürgermeister Ortelli nicht. Wenn man ihn fragt, sagt er, die Läden und Bars am Hafen hätten wohl mehr Umsatz gemacht, verloren hätten jene, die im Inselinneren von Ferienwohnungen leben. "500 Arbeiter können nicht 5000 Touristen ausgleichen."

Er gibt zu verstehen, dass es Gespräche mit der Reederei Costa um Schadenersatz gibt, er hofft, dass das ohne Prozess abgeht. Auf eines legt Ortelli Wert: "Wir wollen nicht profitieren von dieser Tragödie." Falls aber die Gemeinde Geld bekommt, solle es in ihre Zukunft investiert werden. Es sei eben so, dass Giglio in der ganzen Welt berühmt wurde, aber der Name nun ewig mit einer Tragödie verknüpft ist. "Giglio wird nun versuchen, wieder zu seinem normalen Leben zurückzufinden."

Eine Weile dauert es noch, bis die Plattformen für die Bergungsarbeiten abgebaut sind, und dann ist da die Renaturierung unter Wasser. Zwei Jahre wird sie dauern, schätzt der Bürgermeister. Alles soll am Meeresboden sein wie vorher. Die Unterwasserplattform zum Halten des Wracks wird abgebaut, Pflanzen und Steine kommen zurück.

Aber wo die Costa Concordia auf Grund sank und mehr als ein Jahr lang auf der Seite lag, ist das nicht so einfach. Die größte Erleichterung ist, dass es keine Wasserverschmutzung gab. All die Tonnen von Treibstoff, Öl bis hin zu Mengen von Putz- und Waschmitteln, verrottenden Lebensmitteln für 4200 Menschen konnten gesichert werden. Das Wasser um Giglio wird noch auf Jahre besonders überwacht. So wie jetzt das Wrack auf dem Weg nach Genua.

14 Schiffe gehören zum Konvoi, Flugzeuge und Satelliten überwachen die 380 Kilometer lange Route. Zwischen Samstagnacht und Sonntag soll sie ankommen. 22 Monate soll das Zerlegen dauern, 80 Prozent des Materials werden recycelt, der Rest ist Schrott. "Wir sind am Ausgang eines Tunnels", sagt Giglios Bürgermeister, "aber nicht am Ende des Wegs."

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