Süddeutsche Zeitung

Absturz der Air-France-Maschine:Mit Hagel beschossen

Türmmer im Atlantik verteilt über fast 100 Kilometer: Experten vermuten, dass die Air-France-Maschine in eine "Unwetterfalle" geraten war und bereits vor dem Absturz "in großer Höhe" auseinanderbrach.

Was geschah in den letzten Minuten vor dem Absturz der Air-France-Maschine? Stück für Stück versuchen Experten, mit Hilfe der inzwischen gefundenen Trümmerteile den Hergang des Unglücks zu rekonstruieren. Aus Ermittlungskreisen verlautete, das Flugzeug sei in eine 650 kilometerlange Sturmfront mit Blitzen, Hagel und bis zu 160 Kilometer schnellen Böen und Aufwinden geraten.

Doch warum ist die Maschine nicht umgekehrt, den Gewittern und Stürmen ausgewichen oder hat einen Flughafen angesteuert? Experten vermuten, dass die Piloten versucht haben, sich mit ihrem Radar durch die Gewitter zu navigieren, einen Weg durch "Löcher" in den Unwetterwolken zu finden - und dabei in eine Falle gerieten, aus der es in bis zu 15 Kilometern sich auftürmenden Wolken keinen Ausweg mehr gab.

Joe Mazzone, ein Pilot, der 23 Jahre für die US-Gesellschaft Delta Airways flog, sagt, die Flugkapitäne beobachteten in der Nacht routinemäßig ihr Radar, um sich durch Gewitter zu fädeln. Die Gewitterwolken werden auf dem Radar als rote Flecken angezeigt. In einer gefährlichen Gegend wie der nordöstlich der Inseln Fernando de Noronha im Atlantik könnten Stürme aber so plötzlich auftauchen, dass dem Piloten kein Ausweg mehr bleibe, als hindurchzusteuern.

"Der Hagel pustet die Triebwerke aus"

"Du gehst rein, wo man ein Loch vermutet, dann bist du drin und siehst, das alles um dich herum rot ist - da musst du nun durch", erklärt Mazzone. An einem solchen Punkt gebe es keine Rückkehr mehr, weil eine Wende das Flugzeug in dieselben Wetterbedingungen brächte.

Falls der Airbus in eine Unwetterfalle geraten sein sollte, könnte das katastrophal gewesen sein: Aufwinde und Böen dürften das Flugzeug hoch und runter gesogen und mit Hagel regelrecht beschossen haben. "Der Hagel pustet die Triebwerke aus, so wie bei Vogelschlag", sagt er.

Der brasilianische Verteidigungsminister Nelson Jobim teilte mit, amerikanische, französische und brasilianische Spezialflugzeuge suchten im Atlantik nach Trümmern des Airbus A330. Bisher seien 640 Kilometer nordöstlich der Inseln Fernando de Noronha in einem großen Umkreis von 230 Kilometern Wrackteile gesichtet worden, darunter am Mittwoch ein sieben Meter langes Trümmerteil.

Dass die Suchflugzeuge über der Absturzstelle eine Verteilung der Trümmer über fast 100 Kilometer geortet haben, lässt auf ein Auseinanderbrechen des Flugzeugs in großer Höhe vermuten. Diese Theorie wurde einem Gewährsmann zufolge auch von der Chronik der letzten Funkmeldungen des Airbusses untermauert. "Das sieht ganz klar wie die Geschichte eines Flugzeuges aus, das auseinanderbrach", sagte er. "Wir wissen noch nicht warum. Aber das werden die Ermittlungen zeigen."

Jobim hält eine Explosion für unwahrscheinlich. Die auf dem Wasser gefundenen Spuren von Kerosin sprächen dafür, dass es weder ein Feuer noch eine Explosion gegeben habe, erläuterte er.

Von den Passagieren fehlt immer noch jede Spur

Unterdessen sind zwei brasilianische Kriegsschiffe in der Region eingetroffen. Auf Überlebende gebe es aber keine Hinweise, sagte ein Luftwaffensprecher. Es gilt drei Tage nach dem Absturz des Airbus als nahezu unmöglich, dass jemand das Unglück überlebte. Einen Tag zuvor wurden ein Flugzeugsitz, Treibstoffflecken, eine orangene Rettungsweste und weiße Trümmerstücke gesichtet. Ein Terroranschlag wurde am Mittwoch sowohl von Frankreich als auch Brasilien und dem US-Verteidigungsministerium ausgeschlossen.

Die Bergung der Flugschreiber wurde von der französischen Ermittlungsbehörde unterdessen angesichts des bis zu 7000 Meter tiefen Ozeans fast schon aufgegeben; zudem werden französische Schiffe mit Spezial-Tiefsee-U-Booten wegen schlechten Wetters erst kommende Woche im Absturzgebiet eintreffen. Die Black Boxes senden 30 Tage lang Funksignale. Der französische Chefermittler Paul-Louis Arslanian sagte, er sei bezüglich der Bergung "nicht optimistisch".

Aus der von der Zeitung O Estado de S. Paulo zusammengestellte Chronik der letzten Funkmeldungen des Airbusses geht hervor, dass der Pilot gegen 23 Uhr Ortszeit ein manuelles Signal schickte, wonach der Airbus durch eine Region mit "CBs" flog - schwarze, elektrisch aufgeladene Wolken, die mit starken Winden und Blitzen einhergehen. Satellitendaten haben gezeigt, dass Gewitterwolken zu dieser Zeit bis zu 160 Stundenkilometer schnelle Sturmböen gegen die Flugrichtung der Maschine schickten.

Zehn Minuten später schickte das Flugzeug eine ganze Serie von Funkmeldungen, die darauf hindeuten, dass der Autopilot abgeschaltet und das Computersystem auf eine alternative Energieversorgung umgeschaltet wurde. Kontrollen, die für die Stabilität des Flugzeugs gebraucht werden, waren zu diesem Zeitpunkt bereits beschädigt. Außerdem ertönte ein Alarmsystem, was dem Bericht zufolge auf eine weitere Verschlechterung der Flugsysteme hindeutet.

Drei Minuten später deuten weitere automatisch gefunkte Signale darauf hin, dass zwei weitere wichtige Systeme, mit denen die Piloten Geschwindigkeit, Höhe und Richtung überwachen, ausgefallen sind. Dann gibt es eine ganze Flut von anderen elektrischen Ausfällen in den Systemen, die den Hauptflugcomputer und die Tragflächen-Störklappen kontrollieren.

Die letzte Meldung kam dann, wie bereits bekannt, um 23.14 Uhr brasilianischer Zeit. Sie weist auf einen Abfall des Kabinenluftdrucks und einen Ausfall der Elektrik hin. Die Zeitung erklärte, dies könne einen plötzlichen Druckabfall bedeuten oder auch heißen, dass das Flugzeug schon in den Ozean stürzte.

Der Airbus A330 mit 228 Insassen an Bord war in der Nacht zu Montag auf dem Flug von Rio de Janeiro nach Paris von den Radarschirmen verschwunden. Unter den Toten sind nach Angaben der Fluggesellschaft auch 26 Deutsche.

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