Süddeutsche Zeitung

Absturz der Air France 447:Tödliche Fehlerkette

Vor zwei Jahren stürzte der Airbus in den Atlantik, nun haben die Ermittler Ergebnisse zum Unglücksflug AF 447 präsentiert, bei dem mehr als 200 Menschen ums Leben kamen. Die Auswertung zeigt: Die Piloten waren für den Zwischenfall nicht geschult - und machten fatale Fehler.

Lange wurde gerätselt, doch die Ursache für den Absturz der Air France-Maschine vor zwei Jahren scheint nun geklärt. Ungenügendes Training der Piloten und fehlerhafte Anzeigen im Cockpit haben nach ersten Erkenntnissen staatlicher Experten den Absturz des Fluges AF 447 vor zwei Jahren über dem Atlantik begünstigt. Die Piloten machten deshalb mehrere Fehler in Folge.

Wenige Stunden vor Veröffentlichung des Zwischenberichts der Pariser Flugsicherheitsbehörde BEA hatte bereits die Zeitung Le Figaro berichtet, ein Crew-Mitglied habe durch sukzessive Fehlentscheidungen den Absturz erst möglich gemacht. Es soll sich dabei um den mit 32 Jahren jüngsten Ko-Piloten handeln. Die BEA kommentierte den Bericht nicht.

Laut Figaro zeichnet die Auswertung der Flugschreiber folgendes Szenario der letzten Minuten im Cockpit:

[] Um 2.01 Uhr verlässt der Kapitän des Flugzeugs das Cockpit, um sich plangemäß auszuruhen. Er ist das erfahrenste Mitglied der Crew - mit 58 Jahren hat er fast 11.000 Flugstunden vorzuweisen.

[] An seiner Stelle trägt der "Pilot in Funktion" die Verantwortung, der auf der rechten Seite des Cockpits sitzt: Auf dem Flug AF 447 ist das der unerfahrenste Kollege im Team, ein 32 Jahre alter Pilot, der erst 2007 seine Flugerlaubnis erworben und nur knapp 3000 Flugstunden auf seinem Konto hat. Seine Aufgabe ist es, Kommandos zu geben und das Flugzeug zu steuern.

[] Auf der linken Seite sitzt der "Pilot in Nicht-Funktion": Er soll den Zwischenfall analysieren, und den "Piloten in Funktion" mit Informationen versorgen. In der Unglücksmaschine sitzt an diesem Platz ein 37 Jahre alter Pilot, der weitaus erfahrener ist als sein Kollege auf der rechten Seite des Cockpits.

[] Um 2.10 Uhr tritt der Störfall ein, der die Katastrophe auslöst: Die Pitot-Sonden, die die Luftströmung messen, fallen aus, der Autopilot schaltet sich ab.

[] Unmittelbar danach gibt der "Pilot in Funktion" den ersten Befehl: Hochziehen. Das Flugzeug steigt bis auf 37.500 Fuß. Ein verheerender Fehler. Erst dadurch kann die Maschine den Auftrieb verlieren. In dieser Höhe ist die Gefahr eines plötzlichen Auftriebsverlusts besonders groß.

[] Just in diesem Moment, so scheint es, funktionierten die Sonden wieder. Es war demnach nur ein temporärer Ausfall.

[] Der "Pilot in Nicht-Funktion" verliert wertvolle Augenblicke, den Kapitän der Maschine zurück ins Cockpit zu holen. Als er einen Alarm über seinem Kopf auslöst, verliert er die Ausfallanzeige aus dem Blick. Er sieht nicht, dass der "Pilot in Funktion" das Flugezug weiterhin steigen lässt.

[] Noch während des Absturzes hält der Kopilot auf der rechten Seite am Aufwärtskurs fest - auch wenn er kurzzeitig Alternativen ausprobiert. Das verschlimmert die Situation noch: Die Maschine kann so den Auftrieb nicht mehr zurückgewinnen.

[] Als der Kapitän ins Cockpit zurückkommt, wird er von den Kopiloten nur unzureichend über den Zwischenfall informiert: Er hat keine Chance, den Absturz zu verhindern.

[] Sekunden, bevor das Flugzeug auf die Wasseroberfläche aufschlägt, übernimmt der "Pilot in Nicht-Funktion" die Kontrolle. Doch es ist zu spät.

Eine verheerende Verkettung von Pilotenfehlern: Laut Figaro würden die Piloten allerdings auch nicht für Extremsituationen wie vor zwei Jahren über dem Atlantik geschult.

Die BEA verwies in ihrem neuen Zwischenbericht nun auf Sicherheitsempfehlungen, die sie nach Auswertung der Flugschreiber erlassen hat. So sollen spezielle Übungen ins Trainingsprogramm von Linienpiloten aufgenommen weden, mit denen der schnelle Wechsel vom automatischen auf den manuellen Flug in großen Höhen verinnerlicht werden könne - speziell auch bei ungenauen Geschwindigkeitsanzeigen. Zudem sollen neue Messinstrumente verwendet werden, die Piloten die Lage des Flugzeugs im Raum verdeutlichen, wenn der Autopilot abgeschaltet wird.

Die Fluggesellschaft Air France betonte in einer Erklärung, dass zum gegenwärtigen Stand der Ermittlungen nichts die technischen Fähigkeiten der Besatzung infrage stelle. Airbus und Air France wurden mehrfach der Mitschuld an dem Unglück verdächtigt. Gegen sie laufen Ermittlungen der französischen Justiz.

Die Flugsicherheitsbehörde BEA hat zwar schon einige Informationen zu den letzten Flugminuten veröffentlicht, hat sich bisher aber damit zurückgehalten, Verantwortliche für das Unglück zu benennen.

Die vorläufigen Ermittlungsergebnisse stützen sich auf Daten aus den Flugschreibern des Unglücksflugzeugs. Nach deren Bergung aus 4000 Metern Meerestiefe konnten die letzten Minuten des Fluges rekonstruiert werden. Demnach war der Airbus am 1. Juni 2009 auf dem Nachtflug Rio-Paris in rund vier Minuten aus 11.500 Metern Höhe ins Meer gestürzt. Alle 228 Menschen an Bord starben, darunter 28 Deutsche.

Empörte Reaktionen der Angehörigen

Die Angehörigen der 228 Opfer zeigten sich empört, dass die Veröffentlichung der Daten zum verunglückten Airbus-Flug AF 447 so schleppend verläuft - und zweifeln an der Aufklärungsabsicht der französischen Behörden. Sie fordern, alle aufgezeichneten Daten sofort offen zu legen, damit die französische Justiz eine unabhängige Untersuchung einleiten könne.

Wörtlich betonen die Opferfamilien in einer Erklärung: "Vielmehr wird die Öffentlichkeit in zunehmendem Umfang auf einen Pilotenfehler als ursächlich vorbereitet (...) Diese von der BEA verfolgte Theorie wird bereits bisher mit willkürlich ausgewählten Sprachaufzeichnungen unterlegt. Die Hinterbliebenen halten dieses Vorgehen für empörend." Der Vorsitzende der französischen Opfer-Vereinigung, Robert Soulas, äußerte sich am Freitag ähnlich. Im Rundfunksender Europe 1 sagte er, wirtschaftliche Erwägungen überschatteten die Untersuchung.

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