Süddeutsche Zeitung

Abou-Chaker-Prozess:"Wir hatten Power, wir hatten Pläne"

Lesezeit: 3 min

Rapper gegen Clan-Chef: Im Prozess gegen Arafat Abou-Chaker sagt der Hauptbelastungszeuge aus, der Musiker Bushido. Doch erst mal geht es um seine Karriere.

Von Verena Mayer, Berlin

Bushido sieht aus, als ginge es auf die Bühne. Er läuft mit einer Wasserflasche über den Flur, ohne nach links und rechts zu gucken, man hat den Eindruck, dass er sich auf das fokussiert, was gleich kommen wird. Ein Auftritt. Nur dass das Publikum an diesem Mittwochnachmittag anders ist als sonst. Der Gangsterrapper sitzt im Saal 500 des Berliner Landgerichts vor einer Großen Strafkammer und soll als Zeuge aussagen. "Vollständiger Name?", fragt der Richter. "Anis Mohamed Youssef Ferchichi", sagt Bushido, "41 Jahre alt, selbständiger Musiker."

Der Grund, warum Bushido hier ist, sitzt ihm gegenüber: Arafat Abou-Chaker, eines der wichtigsten Mitglieder des gleichnamigen Clans. Er war viele Jahre Geschäftspartner Bushidos, der Rapper nannte ihn "Bruder". Doch dann zerbrach die Verbindung, was nicht ganz gewaltfrei abgelaufen sein soll, wenn es nach der Berliner Staatsanwaltschaft geht. Die wirft Abou-Chaker vor, er habe das Ende der Geschäftsbeziehung nicht akzeptieren wollen und den Rapper bedroht. Eine Wasserflasche und ein Stuhl sollen geflogen, Sätze wie: "Man muss dich ficken, und wer dich nicht fickt, der muss auch gefickt werden!" sollen gefallen sein. Auch drei Brüder von Abou-Chaker sind angeklagt.

Doch erst einmal soll es um die Anfänge von Bushidos Karriere gehen, sagt der Vorsitzende, "ich bin da völlig unbeleckt". Die Verteidigung glaubt nämlich, nicht alle Akten von der Staatsanwaltschaft bekommen zu haben, und hat beantragt, dass dieser Vermutung erst einmal nachgegangen werden müsse, bevor es zur Sache geht. Der Richter sieht das ähnlich und will deswegen erst einmal über strafrechtlich unverfängliche Begebenheiten sprechen. An diesem Verhandlungstag fragt er Bushido daher nur: "Wie sind Sie zur Musik gekommen?"

Seinen Künstlervertrag unterschrieb Bushido, ohne das Kleingedruckte zu lesen

Und so rückt Bushido das Mikrofon zurecht und erzählt neunzig Minuten lang, wie das so war, in den Neunzigerjahren, im Kiez in Berlin. Als er die Schule abbrach, eine Lehre zum Lackierer begann und nebenbei mit der Hip-Hop- und Graffiti-Szene in Berührung kam. Wie er in seinem Kinderzimmer in Marienfelde seine Musik auf Kassetten aufnahm, als Mikrofon diente ihm ein Joghurtbecher an einem Wischmopp. "Ich habe gemerkt, dass die Musik, die ich konsumiert habe, gar nicht so schwer zu produzieren ist." Er überredete seine Mutter, die in einer Bäckerei arbeitete, einen Kredit aufzunehmen, damit er Ausrüstung kaufen konnte, brachte ein erstes Tape heraus, das in einem Szeneladen in Schöneberg verkauft wurde.

Bushido, schwarzes T-Shirt, leichter Berliner Akzent, spricht hier nicht anders als in seinen Interviews, wer seine Autobiografie gelesen hat, wird auch nicht viel Neues erfahren. Für alle anderen ist die Zeugenvernehmung eine kurzweilige Zeitreise zu den Anfängen des deutschen Gangsterrap. Namen von Szenegrößen wie Sido, Taktloss, Frauenarzt, King Orgasmus One oder Messer Mesut fallen, Bushido kennt sie noch von gemeinsamen Proben im Kinderzimmer. Wenn Frauenarzt dran war, wurde es so laut, dass er die Tür zudrücken musste, weil nebenan seine Mutter schlief. "Wir hatten Power, wir hatten Pläne."

2001 kam er schließlich beim Musiklabel Aggro Berlin unter Vertrag. Die Gründer kannte er noch aus dem Szeneladen, der seine Kassetten verkauft hatte, seinen Künstlervertrag unterschrieb er, ohne das Kleingedruckte zu lesen. "Ich habe keinen juristischen Vertreter gehabt, ich habe bis dahin immer nur versucht, mich an der Gema vorbeizuschmuggeln." Mit der Musikverwertungsgesellschaft hatte er dann keine Probleme, dafür mit dem Label, zu dessen Erfolg er beitrug. Es kam zu einer Auseinandersetzung um Rechte, und irgendwann war es Arafat Abou-Chaker, der Bushido half, aus dem Vertrag auszusteigen.

Der Name Abou-Chaker könnte dabei eine Rolle gespielt haben. Einige Mitglieder der Familie werden mit schweren Straftaten wie dem Überfall auf ein Pokerturnier in Verbindung gebracht. Arafat Abou-Chaker selbst ist juristisch unbescholten, zum Auftritt seines früheren Bruders ist er im rosa T-Shirt mit Micky-Maus-Aufdruck gekommen. Ob das eine Botschaft sein soll, wurde nicht klar, Arafat Abou-Chaker sitzt wie auch an den Prozesstagen zuvor stoisch auf der Anklagebank und schweigt. Der Prozess wird kommende Woche fortgesetzt.

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