Abnehmen, aber wie?:Fett gegen den Bauch

Neue Diät-Forschung stellt die gängigen Ernährungsratschläge der letzten Jahrzehnte in Frage.

Klaus Koch

(SZ vom 27.5.2003) - Für ein paar Wochen war Andrea ein Star. 101 Kilo wog die 23-Jährige, als sie im Mai 2001 in den "Big-Diet"-Container einzog. Zwei Monate später, nach dem Abbruch der RTL2-Show, waren es stolze 20 Kilo weniger.

Früchte

Was soll man denn nun essen, um schlank zu werden oder zu bleiben? Sicher ist nur: Bewegung hilft.

(Foto: AP)

"Der Druck der Öffentlichkeit war sehr groß", sagt die Autoverkäuferin heute, "ich wollte nicht versagen". Doch nachdem die Kameras abgeschaltet waren und der Alltag begann, kamen die Pfunde zurück. 22Kilo hat sie inzwischen wieder zugelegt - und steckt gerade in einer neuen Diät.

Wiederkehrende Pfunde

Solche Erfahrungen sind eher die Regel als die Ausnahme. Nach US-Umfragen versucht ständig fast die Hälfte der Frauen und ein Drittel der Männer abzunehmen. In 18 bis 19 von 20 Versuchen sind die Pfunde nach spätestens zwei Jahren wieder da.

Dieser Jo-Jo-Effekt ist eine Geschäftsgrundlage für Frauenzeitschriften und selbsternannte Ernährungsexperten, die in jedem Frühjahr immer neue Diäten anpreisen: Blutgruppen- oder Markert-Diät, Trennkost, FdH oder Pfundskur heißen einige der Ratschläge zum Abspecken. Doch keine der Methoden kann echte Beweise für langfristige Erfolge vorweisen.

Mittlerweile hat der Frust über das chronische Scheitern der Diäten auch die Wissenschaft erfasst. Denn mit der Erfolgsbilanz der offiziellen Ernährungsratschläge sieht es nicht besser aus: Seit Mitte der 70er Jahre propagieren Gremien wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) der Bevölkerung, vor allem auf Kohlenhydrate zu setzen.

Zahl der Übergewichtigen verdoppelt

Brot, Nudeln, Reis und Kartoffeln werden als Basis der gesunden Ernährung propagiert, bei Fett und Fleisch hingegen soll man knausern; der Fettanteil sollte weniger als 30 Prozent aller Kalorien ausmachen. Wer sich so ernähre, bleibe schlanker und gesünder, lautet das Versprechen.

Nur die Realität passt nicht dazu: Die Zahl der übergewichtigen Deutschen hat sich im selben Zeitraum verdoppelt, jeder zweite Erwachsene gilt heute als zu dick: "Die Frage ist, ob das Verteufeln des Fetts und die Propagierung der Kohlenhydrate nicht sogar die Zunahme Übergewichtiger begünstigt hat", sagt der Ernährungsforscher und Buchautor Nicolai Worm, der seit Jahren die offiziellen Ratschläge der DGE kritisiert.

Raum für Überraschungen

Mittlerweile steigt die Zahl der Dicken so rapide, dass die Ernährungsforschung gezwungen ist, sich ernsthaft mit Hypothesen zu beschäftigen, die noch vor wenigen Jahren als Außenseiterideen abgekanzelt wurden.

Dass es viel Platz für Überraschungen gibt, zeigen zwei Diät-Studien, die in der vergangenen Woche im New England Journal of Medicine erschienen sind. Dort wird vom Gegenteil dessen berichtet, was man erwarten würde: Dicke hatten unter einer "Fleisch und Fett"-Diät besser abgenommen als unter der herkömmlich empfohlenen fettreduzierten Diät.

Ein Dogma wird erschüttert

Die DGE bleibt dennoch skeptisch. "Wir wissen nichts über die langfristigen Folgen der Diät", sagt eine Sprecherin. Andere Forscher geraten ins Grübeln.

"Ich glaube, dass unsere bisherigen Ernährungsempfehlungen überdacht werden müssen", sagt Hans-Georg Joost, wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke: "Es kann sein, dass wir in die falsche Richtung gegangen sind."

Die beiden aktuellen Studien stehen an der Spitze einer Liste von Publikationen der vergangenen Jahre, die das geltende Ernährungsdogma erschüttern: Eine Gruppe um Linda Stern und Frederick Samaha vom Philadelphia Veterans Affair Medical Center fand 132 Freiwillige, die bereit waren, sich auf ein Experiment einzulassen.

Käse-Schinken-Omelett zum Frühstück

130 Kilogramm wogen die Probanden im Durchschnitt, die meisten litten bereits unter Diabetes oder zeigten Entgleisungen des Stoffwechsels. Per Los wurde eine Hälfte der Probanden einer herkömmlichen Ernährungsberatung zugewiesen. Dort wurde ihnen beigebracht, wie sie am Tag 500 Kalorien einsparen und ihren Fettkonsum unter 30 Prozent drücken.

Die andere Hälfte bekam den entgegengesetzten Rat. Brot, Kartoffeln und Nudeln waren tabu, statt dessen sollten sie vor allem Fleisch, Eier und Milchprodukte essen, auch stärkefreies Gemüse und Obst war empfohlen. Im Wesentlichen entspricht das der in den USA populären "Atkins-Diät": Zum Frühstück gab es beispielsweise statt Brötchen oder Müsli ein Käse-Schinken- Omelett, Mittags Hühnersalat und Mandeln, Abends gegrillten Lachs mit Bohnen und Salat. Und: Die Probanden durften essen, so viel sie wollten.

Der Hunger unserer Vorfahren

"Unsere Ergebnisse mögen viele Leute überraschen", sagt die Studienleiterin Stern: Binnen sechs Monaten verloren jene Probanden, die auf das Kalorienzählen verzichtet hatten und deren Fettverzehr auf über 40 Prozent gestiegen war, deutlich mehr Gewicht als diejenigen, die den üblichen Empfehlungen gefolgt waren - im Durchschnitt sechs statt zwei Kilogramm.

Zudem verschlechterten sich unter der Kohlenhydrat-reduzierten Diät die Cholesterin- Werte nicht, anders als von vielen Experten vorhergesagt. Auch der Blutzucker normalisierte sich ein Stück weit, sodass sieben Probanden die Dosis ihrer Diabetes-Medikamente verringern konnten. "Die Wirkung war ziemlich beeindruckend", sagt Samaha.

Keine Euphorie

Ähnliches fand eine zweite Forschergruppe in den USA. Sie hatte die Protein-Fett-Diät an 33 Freiwilligen erprobt, die immerhin durchschnittlich 98 Kilogramm auf die Waage brachten. Auch diese ansonsten gesunden Probanden verloren unter der Eiweiß-und-Fett-Diät im ersten halben Jahr etwa drei Kilogramm mehr Gewicht als unter konventioneller fettreduzierter Kost.

Nach einem Jahr war der Unterschied allerdings auf zwei Kilogramm geschrumpft.

Das ist einer der Gründe, warum Experten auch die Atkins-Diät durchaus nicht euphorisch sehen. "Die Diät hat deutliche Effekte, so lange die Leute richtig betreut werden. Aber auch sie kann keine Wunder bewirken", sagt Worm.

Risiken und Nebenwirkungen

Wenn ein Übergewichtiger von 130 Kilogramm sechs Kilo verliert, ist er immer noch viel zu dick. Zudem haben in beiden Studien ein Drittel bis die Hälfte der Teilnehmer die Diäten nach einigen Monaten abgebrochen - ein Zeichen dafür, dass auch die extreme Protein-Fett-Diät im Alltag nicht leicht durchzuhalten ist.

Die übermäßige Säurezufuhr kann zudem langfristig Nierensteine und Knochenschwund begünstigen.

Ernährungsfachmann Worm erklärt die beobachteten Effekte damit, dass eine kohlenhydrat-arme Diät eher unserem genetischen Erbe entgegenkommt. "Getreide hat noch vor einigen zehntausend Jahren keine Rolle in der Ernährung des Menschen gespielt", sagt er: Fleisch, Fett, Früchte und essbare Pflanzen stillten den Hunger unserer Vorfahren.

An diesen Speiseplan sei unser Stoffwechsel nach wie vor angepasst.

Auf und ab

Seit einigen Jahren wissen Forscher, dass kohlenhydratreiche Nahrung wie Brot und Kartoffeln zu einem steilen Anstieg der Blutzuckerkonzentration im Blut führen kann.

Das provoziert die Freisetzung von Insulin. Das Hormon zwingt dann Leber, Muskeln und Fettgewebe, den Zucker aus dem Blut aufzunehmen, teilweise in Fett umzuwandeln und abzuspeichern, sodass der Blutzuckerspiegel nach der Mahlzeit rapide wieder abfällt.

Oft jedoch sackt er dann so tief, dass sich erneut der Hunger meldet. "Viele Kohlenhydrate machen eher noch mehr Hunger", sagt Joost - sodass man durch das Auf und Ab von Insulin im Endeffekt mehr Kalorien aufnimmt und dann verstärkt als Fett abspeichert.

Anhaltend satt

Tatsächlichen zeigen auch die beiden Studien im New England Journal, dass die Probanden mit dem Verzicht auf Kohlenhydrate auch begannen, deutlich weniger Kalorien zu sich zu nehmen - vermutlich weil sie anhaltender satt waren.

"Was da im Detail im Körper geschieht, wissen wir aber noch nicht", sagt Joost.

Doch falls sich dieser Zusammenhang bestätigt, könnte das offizielle Loblied auf Kohlenhydrate sogar dazu beigetragen haben, dass die Zahl der Dicken zugenommen hat. Um im Alter zwischen 30 und 50 Jahren übergewichtig zu werden, genügt theoretisch ein täglicher Überschuss von 50 Kalorien.

Das entspricht zwei Keksen.

"Noch ist nicht erwiesen, dass kohlenhydratreiche Ernährung die Kalorienbilanz ungünstig beeinflusst", sagt Joost, aber das gehöre "zu den Möglichkeiten, die wir prüfen müssen."

Tatsächlich kommt schon jetzt Bewegung in das Feld. Hans-Georg Joost hat sich von der Empfehlung, dass man weniger als 30 Prozent Fett zu sich nehmen soll, "bereits verabschiedet."

Statt dessen solle man auf die Gesamtmenge der Kalorien achten. Nicolai Worm empfiehlt, Brot, Kartoffeln, Nudeln und Reis vor allem durch Gemüse und Obst zu ersetzen. Ein Ratschlag gegen Übergewicht bleibt indes unumstritten: Wer schlank bleiben will, sollte sich viel bewegen.

(sueddeutsche.de)

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