Süddeutsche Zeitung

75 Jahre Polaroid-Kamera:"Die Wiederentdeckung des Echten"

Wim Wenders und die Polaroid-Kamera - das ist eine uralte Liebe. Ein Gespräch über die Bedeutung des Sofortbilds in seinen Filmen, massenhaft verschickte Handy-Fotos und den Wert des Einzigartigen.

Interview von Martin Zips

Vor 75 Jahren, am 21. Februar 1947, stellte der US-amerikanische Physiker und Unternehmer Edwin Land der Öffentlichkeit seine neueste Erfindung vor: eine Kamera mit Fotos, die sofort anzusehen sind. Markenname: Polaroid, Model 95. Schon früh entdeckten Künstler wie Andy Warhol oder Ellen von Unwerth die Vorzüge dieser Technologie. Auch in Filmen spielt das Sofortbild immer wieder eine Rolle - von Jean-Pierre Jeunets "Die fabelhafte Welt der Amélie" bis zu "Top Gun" mit Tom Cruise. Einer, der sich in seinen Filmen immer wieder mit der Sofortbild-Fotografie befasste, ist der große deutsche Regisseur Wim Wenders, 76 ("Der Himmel über Berlin", "Paris, Texas", "In weiter Ferne, so nah!", "Pina"). Er hat dieser Art der Fotografie ein Buch gewidmet, "Sofort Bilder" erschienen 2017. Darin erzählt er die Geschichte seiner ersten Filme und zugleich die des Mediums Polaroid. Dass Sofortbildkameras eine Renaissance erleben, findet Wenders "sensationell".

SZ: Herr Wenders, wann und wie kamen Sie erstmals mit einer Polaroid-Kamera in Kontakt? War es privat oder beruflich?

Wim Wenders: Das habe ich nie voneinander getrennt, das ging fließend ineinander über. Ich hatte jedenfalls meine erste "Land"-Kamera, wie sie nach ihrem Erfinder hieß, schon Mitte der Sechziger Jahre. Meine ersten Amerika-Reisen in den frühen Siebzigern habe ich ausschließlich mit Polaroid-Bildern festgehalten, in Schwarzweiß und Farbe. Ich habe zwar schon von meiner Kindheit an viel mit Kleinbildkameras fotografiert, aber mein Taschengeld hat es mir nie erlaubt, Abzüge zu machen. Ich besaß deswegen praktisch immer nur Kontaktbögen von meinen Aufnahmen, also sehr kleine Negativabzüge. Die Entdeckung der Polaroid-Kameras war für mich auch die Entdeckung eines handfesten Objekts, das man irgendwie beim Fotografieren produziert und auf dem man den soeben vollzogenen Akt nachvollziehen konnte.

Wie kam es, dass Sie diese Form der Fotografie immer wieder in Ihren Filmen einsetzten? Von "Alice in den Städten" bis "Der Himmel über Berlin"?

In "Alice in den Städten" ist die Hauptfigur Phillip Winter ein Fotograf. So einem beim Fotografieren zuzuschauen, das ist nicht so prickelnd. Aber wenn man kurz danach überprüfen kann, was er da gerade gesehen hat, das ist in einem Film schon viel interessanter. Da konnte dann auch Alice draufgucken und einen klugen Spruch dazu abgeben. Oder ihrerseits Winter die Kamera abnehmen, ein Bild von ihm machen und es ihm mit den Worten aushändigen: "Damit du wenigstens weißt, wie du aussiehst."

Warum empfinden wir ein Polaroid-Bild so anders als ein Sofortbild, welches mit dem Handy geschossen wurde?

Weil man was in der Hand hält, wenn man ein Polaroid gemacht hat. Das kann man physisch jemandem schenken, und zwar nicht etwa als eine Kopie, sondern als ein Original, ein im wahrsten Sinne des Wortes einzigartiges Objekt. So etwas zu teilen, ist einfach wertvoller, als ein Bild aus dem Smartphone weiterzusenden. Das behalte ich dann ja trotzdem und kann es im Übrigen auch mit tausend anderen "teilen".

Wie erklären Sie sich das Comeback der Sofortbildkamera, welches seit einigen Jahren ja bei Jugendlichen zu beobachten ist?

Ein Unikat herzustellen, ist eine aufregende Sache und für viele junge Leute eine absolute Neuentdeckung. Man könnte sagen: Das ist die Wiederentdeckung des Echten. Da hat man plötzlich etwas aus erster Hand. Sensationell!

Besitzen Sie selbst noch eine Polaroid, Herr Wenders?

Mehrere. Aber Filme gibt es dafür leider nicht mehr, lediglich für die SX-70 gibt es eine ziemlich teure Neuauflage der Zehnerpackung. Aber die Emulsion ist deutlich schlechter als damals, wahrscheinlich auch aus Umweltgründen. Ich will ja nicht wissen, welche Chemie damals in der Wegwerfpackung drin war. Also sind meine Polaroid-Kameras eigentlich nur noch Erinnerungsstücke, die mal in einer Ausstellung landen werden.

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