50. Jahrestag der Hamburger Sturmflut:Die Katastrophe, die alles veränderte

Die große Flut traf die Hamburger unvorbereitet: 60 Deiche brachen, 315 Menschen starben, Zehntausende verloren alles, was sie hatten. Obwohl die Stadt heute vor dem Wasser gesichert ist wie eine Festung, bleibt die Möglichkeit einer ähnlichen Katastrophe in den Köpfen der Menschen verankert.

Jens Schneider, Hamburg

Wie eine Garagentür hängt das Tor aus dickem Stahl über dem Zugang zur Brücke 3 an den Hamburger Landungsbrücken. "Es ist schon eine besondere Konstruktion", sagt Olaf Müller. Er ist Experte für Hochwasserschutz und kennt all die Bollwerke, die entstanden sind, damit die Stadt nie wieder überrascht wird wie vor 50 Jahren.

Bundeswehr koennte laut Kommandeur bei Sturmflut helfen

Rettung aus den Fluten: Polizisten bringen einen Anwohner in Sicherheit (Foto vom 16.02.1962).

(Foto: dapd)

Eine der Besonderheiten ist, dass das gewaltige Tor und die anderen großen Flutbarrieren eigentlich unübersehbar sind. Und doch werden sie leicht übersehen, hier unter dem berühmtesten Bau im Hamburger Hafen, dem Wahrzeichen mit dem hohen Pegelturm, der den Stand der Gezeiten angibt. Tausende Touristen gehen jeden Tag die Brücken zur Elbe hinunter auf den schwimmenden Anleger, zu den Hafenrundfahrten und den kleinen Fähren. Von hier haben sie den idealen Blick auf die Docks gegenüber, können die großen Schiffe kommen sehen, oder den Blick nach links wenden, zur Elbphilharmonie, Hamburgs ewiger Baustelle.

Die Ingenieure haben in den vergangenen Jahren im Auftrag der Stadt viel Raffinesse eingesetzt, um die Bollwerke so in die Landungsbrücken einzubauen, dass das Postkarten-Motiv des Hafens erhalten bleibt. Sogar eine neue Promenade ist dabei entstanden. Olaf Müller, bei der Stadt zuständig für Hochwasserschutz, erzählt vom Panzerglas, das für den Ernstfall eingebaut wurde, und dem Druck einer Sturmflut standhalten soll. Er schwärmt von der eleganten Mechanik der Riesentore über den Brücken. Die Touristen nehmen all das kaum wahr.

Aber wenn es ernst wird, dann kann dieses mächtige Tor an der Brücke 3 wie auch die anderen in kurzer Zeit heruntergeklappt werden. So wie eine Zugbrücke für eine Burg, deren Bewohner einen Feind aussperren müssen, dessen Gewalt sie sonst ohnmächtig ausgeliefert wären.

Es ist ein möglicher Ernstfall, der in dieser Stadt stets bedacht wird und als Gefahr immer präsent ist, bei den Stadtplanern, in der Politik, bei jedem Bauprojekt in Hafennähe, und überhaupt bei vielen Hamburgern. Seit fünfzig Jahren, seitdem in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 ein Sechstel der Stadt überspült wurde. Die große Flut, wie die Hamburger die Katastrophe nennen, erwischte sie unvorbereitet. 60 Deiche brachen, 315 Menschen starben, Zehntausende verloren alles, was sie hatten.

Selbst im Rathaus stand Wasser

Die Flut ist im Gedächtnis dieser Stadt verankert wie kein anderes Ereignis. Außerhalb der Stadt sind die großen Geschichten zur Legende geworden. Vor allem die Heldensage um Helmut Schmidt, den Innensenator und späteren Kanzler, der sich erstmals als großer Organisator bewährte, als Tausende gerettet werden mussten und der Katastrophenschutz zunächst überfordert war.

Die Geschichte stimmt, gewiss. Aber in der Stadt erzählen sie in diesen Tagen in den Serien in Zeitungen und bei den Begegnungen zum Jahrestag vor allem all die persönlichen Dramen der Familien, die auf Hausdächern Stunden in der Kälte ausharrten, um Hilfe schrien, oft vergebens, weil das Wasser schneller stieg, als die Helfer kommen konnten.

Zwar wurde keineswegs die ganze Stadt überschwemmt, betroffen war vor allem die Elbinsel Wilhelmsburg, ein Arbeiterviertel, und andere Viertel und Dörfer hinter den Deichen. Im Rathaus stand etwas Wasser, andere Viertel erreichte die Elbe nicht. Aber jede alteingesessene Familie kennt solche Geschichten aus direkten Begegnungen. Und bei den Augenzeugen ist immer noch der Unglaube herauszuhören darüber, dass diese Stadt, die immer am Fluss gelebt hat, so schlecht vorbereitet war.

"Die Katastrophe war das Zeichen an der Wand"

"Darin liegt das Trauma", sagt Herbert Hötte, der für die Stadt eine große Ausstellung zur Flut im Museum für Hamburgische Geschichte organisiert hat. "Die Hamburger fragten sich: Wie konnte das passieren? Und: Warum haben wir uns so sicher gefühlt?" Trotz der Nähe zum Fluss sei so eine Katastrophe für sie unvorstellbar gewesen. Seit 107 Jahren hatte es keine große Sturmflut gegeben. So lebten Menschen in Häusern und Behelfsheimen seit dem Krieg an Orten, die nicht sicher waren. Die Deiche waren in schlechtem Zustand.

"Die Katastrophe war das Zeichen an der Wand", sagt Hötte. Sie hat die Haltung der Stadt für immer geändert. Ständig wird an Deichen und Bollwerken gebaut. Es gibt keine Stelle an der Elbe, für die man nicht nach einer klugen Lösung gesucht hat. In einem Stadtteil wie Wilhelmsburg, der ohne Deiche täglich zweimal unter Wasser stünde, wissen der Deichvogt und seine Leute, was im Ernstfall zu tun wäre. Die neue Hafen-City, sie liegt vor der Hochwasser-Linie, wurde mit einem Warften-Konzept geplant. Manche Teile des Hafens, etwa am Fischmarkt, lässt man bei Hochwasser kurzzeitig unter Wasser laufen.

Seit den Neunzigern sind 600 Millionen Euro verbaut worden, viel Geld. "Aber in Hamburg musst du niemandem erklären, wie wichtig das ist", sagt der Hochwasser-Experte Olaf Müller. Es hat weitere Sturmfluten gegeben, 1976 übertraf der Pegel den der großen Flut. Damals gab es Schäden im Hafen, aber die Deiche hielten. Und es wird weiter gebaut. Inzwischen werde, sagt Müller, das höhere Risiko durch den Klimawandel bei der neuen Deichhöhe einberechnet.

"Wir leben hier am Meer", beschreibt der Historiker Herbert Hötte das Bewusstsein der Stadt. "Die Nordsee kommt bei Sturmfluten zu Gast, als ungebetener Gast." Die von ihm konzipierte Ausstellung dient nicht nur der Erinnerung an 1962. Sie dreht sich auch um die Frage, wie man für die nächste Sturmflut gewappnet ist, "für das Risiko, das immer da ist".

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