200. Todestag von Marquis de Sade:"Skifahren ist gefährlicher als BDSM"

Lesezeit: 6 min

Vor 200 Jahren starb Marquis de Sade. Er hat nicht nur zahlreiche literarische Schriften hinterlassen, sein Name wird bis heute mit Sadismus und SM in Verbindung gebracht. Dabei prägte der Psychiater Richard von Krafft-Ebing den Begriff erst Jahrzehnte nach Sades Tod. Heute kann die SM-Szene nur noch wenig mit dem Marquis anfangen. Das sagt zumindest Markus Kempken. Der 52 Jahre alte Designer weiß seit seiner Jugend, dass er auf Fesseln im Bett steht. Später hat er den Verein BDSM Berlin mitbegründet und berät heute Einsteiger, die mehr über Bondage, Discipline, Domination, Submission, Sadomasochism (BDSM) wissen wollen.

Von Anna Fischhaber

SZ.de: Herr Kempken, was verbinden Sie mit dem Marquis de Sade?

Markus Kempken: Zu unseren Partys würden wir ihn auf jeden Fall nicht einladen. Da gibt es inzwischen Regeln: Erlaubt ist nur, was einvernehmlich ist. Das hätte Marquis de Sade bestimmt nicht verstanden, er wurde für sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung verurteilt. Aber er kann wenig dafür, dass Krafft-Ebing seinen Namen nutzte, um sexuelle Störungen zu beschreiben. Heute ist die Szene viel weiter. Sadismus ist nur ein winzig kleiner Teilbereich von BDSM und dass eine Vorliebe dafür krankhaft ist, glauben nur noch sehr wenige.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie auf BDSM stehen?

Ich hatte schon in der Pubertät solche Fantasien. Habe davon geträumt, Frauen im Bett festzubinden. Das kam einfach, wie wenn man plötzlich merkt, dass man auf Jungs steht. Heute gibt es im Netz Beratungen und Plattformen für Jugendliche, die sich für BDSM interessieren. Vor 40 Jahren war das anders. Ich habe das erst einmal für mich behalten, war ein Spätzünder. Erste BDSM-Erfahrungen habe ich mit 25 gemacht. Damals war ich schon vier Jahre mit meiner Freundin zusammen, und dann hat sie eines Tages gefragt, ob es nicht noch etwas anderes gibt. Da habe ich ihr von meinen Fantasien erzählt. Sie wurde immer stiller. Ich dachte, jetzt springt sie gleich auf und läuft weg.

Und ist sie weggelaufen?

Nein, ich hatte Glück, sie hatte ähnliche Fantasien. Und dann haben wir vier Jahre lang alles ausprobiert, was uns in den Sinn gekommen ist. BDSM hat ja erst einmal überhaupt nichts mit Schmerzen zu tun, sondern damit, dass man sich Gedanken darüber macht, was einem Spaß macht. Was Einsteiger oft verwundert, ist, wie viel auf BDSM-Partys gelacht wird. Ein Rollenspiel kann ziemlich albern sein: Wenn ich so tue, als wäre ich ein römischer Sklave, der von seinem Herren verkauft wird, oder der Kapitän, der die Gouverneurstochter an den Mast bindet. So ein Spiel hat ja auch eine Fallhöhe.

Oft ist von Dom und Sub die Rede. Gibt es feste Rollen bei Ihren Spielen?

Es ist das Klischee, dass Frauen sich lieber unterwerfen oder Chefs sich nach der Arbeit gerne auspeitschen lassen. Tatsächlich sind die Vorlieben recht gleichmäßig verteilt, und ob jemand dominant oder submissiv spielt, hängt vor allem von der Stimmung des Augenblicks ab. Rollen sind nicht in Stein gemeißelt.

Noch so ein Klischee: Lack und Leder. Tragen Sie das?

Die SM-Szene überschneidet sich mit der Gothic-Szene und ihrer Vorliebe für bestimmte Kleidung. Übrigens auch mit der IT-Szene - viele, die auf SM stehen, kommen seltsamerweise aus dieser Branche. Aber natürlich sind sämtliche Berufe vertreten, auch Klempner oder Staatsanwälte oder eben Designer wie ich. Viele tragen wirklich Lack und Leder, aber längst nicht alle. Ich sehe ganz normal aus, total langweilig. In manche Szene-Clubs käme ich deshalb nicht rein. Ich sage dann gerne, dass ich einen Baumwoll-Fetisch habe - aber das hilft nur selten. Zum Glück gehe ich nicht so gern auf Partys, sondern spiele lieber daheim.

Wie sieht es in Ihrem Schlafzimmer aus?

Normal chaotisch. Und neben meinem ungewaschenen Shirt liegen eben auch ein paar Seile. Anderen ist die Atmosphäre wichtiger. Aber ich bin keiner, der ein Andreaskreuz an der Wand braucht oder ein schwarzes Zimmer. Dabei könnte ich dekorieren: Ich habe keine kleinen Kinder, sondern nur einen Mitbewohner, der weiß, dass ich auf BDSM stehe.

Spielen heißt dann in Ihrem Fall Fesselspiele?

Für dieses Wort würden Sie von manchen in der Berliner Szene Schläge bekommen. Dort ist Shibari gerade sehr gefragt, die Kunst des erotischen Fesselns aus Japan, mit der viele sich ernsthaft auseinandersetzen, mit Workshops und Training. Details über mein Intimleben will ich aber nicht erzählen.

Ist es für Sie schwierig, eine Partnerin zu finden, die das Gleiche will?

Überhaupt nicht. Die Annahme, dass BDSM-Fans weniger Chancen bei der Partnersuche haben, ist falsch. Es wird natürlich mit dem Alter schwieriger, vor allem für Menschen, die lange eine bestimmte Fantasie hatten, die sie nie ausgelebt haben. Aber ich hatte immer Glück. Mir ist noch keine Frau schreiend davon gelaufen, als sie gehört hat, welche Fantasien ich habe. Aber schon vor dem ersten Sex wusste sie, dass ich BDSM mag.

Auch Ihr Mitbewohner kennt Ihre Vorlieben. Können Sie auch mit Ihren Eltern darüber sprechen?

Ich habe es ihnen erzählt. Wenn mein Vater mich besucht und die Seile in meinem Schlafzimmer sieht, grummelt er vor sich hin und guckt weg. Natürlich habe ich Freunde, denen es nicht so gut ergangen ist, bei denen zum Beispiel die Eltern den Kontakt abgebrochen haben. Das ist ähnlich wie beim Outing von Homosexuellen. Man muss wohl in einem Umfeld leben, in dem man sich outen kann. Natürlich sind die Menschen in Großstädten offener. Aber es gibt auch ein Nord-Süd-Gefälle: In Norddeutschland scheinen sich die Menschen mit BDSM leichter zu tun. Bei mir wissen es alle: Freunde, Eltern und sogar meine Kollegen.

Und Ihren Kollegen haben Sie das einfach beim Mittagessen erzählt?

Natürlich nicht. Nur weil ich auf BDSM stehe, habe ich kein gesteigertes Bedürfnis, mit jedem über meine intimen Vorlieben zu plaudern. Und ich habe zwar in einem Designbüro gearbeitet, aber wer sagt schon beim Mittagessen: Ich stehe auf Analverkehr. Oder eben auf Verhauen im Bett. Aber ich habe eben auch kein Geheimnis daraus gemacht. Wenn ich gefragt wurde, was ich am Wochenende gemacht habe, war ich ganz offen: habe erzählt, dass ich in Hamburg auf einer SM-Party war. Viele finden das interessant und fragen nach.

Seit dem Erfolg des Romans "Shades of Grey" hat man das Gefühl: Jeder interessiert sich plötzlich für BDSM. Merken Sie das auch?

Ein wenig mehr Menschen haben danach schon bei unserem Verein angerufen. Leider weiß niemand, wie viele Deutsche sich wirklich für BDSM interessieren. Schätzungen zufolge sind das vielleicht fünf bis 15 Prozent. Das hängt natürlich immer davon ab, wie man so etwas erfragt. Und dann gibt es natürlich die Leute, die sagen: Natürlich lasse ich mich festbinden im Bett, aber deshalb bin ich ja nicht pervers. Inzwischen ist das öffentliche Bild ein wenig besser geworden. Allerdings nicht durch "Shades of Grey". Das ist einfach nur eine Fantasie. Eigentlich eine Missbrauchsgeschichte, in der ein Mann eine Frau völlig unter seine Kontrolle bringt. Das hat nichts mit der Realität zu tun.

Wie sieht denn die Realität dann aus?

Das kommt immer auf die Leute an - manche gehen zu Partys, andere bezahlen für den Sex, die meisten leben ihre Fantasien aber einfach zu Hause mit ihrem Partner aus. Zusammenfassend kann man vielleicht sagen: In der lesbischen SM-Szene wird vorher sehr viel abgesprochen. Unter Schwulen geht es oft handfester zu, da wird erst angefasst und dann gefragt. Bei Heteros gilt eher: Erst fragen, dann anfassen. Und dann gibt es Leute, die erst Checklisten rausholen und alles abfragen.

Das klingt so, als hätten Sie keine Checkliste?

Nein. Das hat auch ein wenig mit der Erfahrung zu tun, die man mitbringt und damit, wie gut man sich in andere Menschen einfühlen kann, wie kommunikationsfähig man ist. Zu mir in die Beratung kommen oft junge Männer, die wissen wollen, wie sie ihre Freundin dazu bringen, bei ihren Fantasien mitzumachen. Ich frage dann immer: Wie redet ihr denn sonst über Sex? Und oft kommt dann raus: gar nicht. Dabei ist Kommunikation in unserer Szene alles.

Bedeutet Kommunikation auch, dass Sie Safewords benutzen?

Ich persönlich nicht, aber sie sind wichtig, wenn man sich noch nicht kennt, zum Beispiel auf Partys. Und auch bei Rollenspielen braucht man Signalwörter. Vor allem bei solchen, bei denen der eine immer "Nein, Nein" sagt, aber das Gegenteil meint. Mit einem Safeword kann ich zeigen, dass ich eine Pause brauche oder das Spiel beenden will.

Haben Sie sich nie verletzt?

Nein. Skifahren ist gefährlicher als BDSM. Unser Motto ist: Safe, Sane, Consensual - sicher, gesund, einvernehmlich. Das heißt auch, dass ich nichts mache, wovon ich keine Ahnung habe. Ich weiß, um welches Körperteil ich keinesfalls ein Seil lege, kenne die Knoten und weiß, wie ich sie schnell löse. Wenn ich will, dass mir jemand Nadeln in die Haut steckt, suche ich mir jemanden, der sich damit auskennt. Natürlich gibt es wie beim Skifahren oder Klettern ein Risiko, aber das kenne ich. Ich weiß, wie ich damit umgehe. Dass BDSM-Fans schnell abstumpfen und alles immer blutiger wird wie beim Marquis de Sade, ist totaler Quatsch.

In vielen Städten gibt es regelmäßige Stammtische und Beratung zum Thema BDSM. Mehr Informationen dazu finden Sie hier.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: