Vorpommern:Feuerwehrmann wird Brandstifter

Ein 26-Jähriger aus Ostvorpommern zündet einen Speicher an und rückt dann selbst zum Löschen aus - kein seltenes Phänomen.

Arne Boecker

In diesem Lebenslauf reiht sich Desaster an Desaster. Christian H. aus dem ostvorpommerschen Wolgast hat die Schule nicht geschafft, Ausbildungen abgebrochen und Beziehungen nicht ausgehalten. Den Ärger, der deswegen in ihm wuchs, ließ er an anderen aus; er schimpfte, drohte, prügelte.

Christian H.: Hafenspeicher in Wolgast

Das blieb von einem historischen Hafenspeicher in Wolgast übrig, nachdem ihn Christian H. angezündet hatte.

(Foto: Foto: ddp)

Der Psychiater Stefan Orlob beleuchtete im Auftrag des Stralsunder Landgerichts Christian H.s Persönlichkeit. Er ließ seine Expertise in eine rhetorische Frage münden: ,,Was könnte wohl stärkerer Ausdruck eines Scheiterns sein, als dass ein Feuerwehrmann Brände legt?''

Das Landgericht hat Christian H., 26, am gestrigen Donnerstag wegen Brandstiftung für vier Jahre und neun Monate ins Gefängnis geschickt. Bevor er seine Haft antritt, wird er eine Therapie absolvieren müssen. H.s Kameraden von der Freiwilligen Feuerwehr Wolgast müssen damit fertig werden, einen Brandstifter herangezogen zu haben. Christian H. ist nicht der erste, der erst heimlich zündelt und dann eifrig löscht.

Am 6. Juni 2006 hatte Christian H. Wolgast an den Rand einer Katastrophe gebracht. Nach einem Streit mit der Freundin schob er Frust. Nachdem er ein paar Bier getrunken hatte, schlich er sich in den leerstehenden Speicher am Hafen. Mit einem Einwegfeuerzeug entzündete er Pappe, die von der Decke hing. Dann flüchtete Christian H. Als der 170 Jahre alte, als Denkmal eingestufte Fachwerkspeicher lichterloh brannte, kehrte er mit Tatütata und 85 Kameraden der

Feuerwehr im Schlepptau zurück. Viereinhalb Stunden kämpfte der Trupp gegen das Feuer, konnte aber nicht verhindern, dass der 77 Meter lange und 18 Meter hohe Speicher bis auf die Grundmauern niederbrannte. Gutachter taxieren den Schaden auf mehr als eine Million Euro.

Während des Prozesses hatte Christian H. nicht viel von sich preisgegeben. Richterin Birgit Lange-Klepsch musste ihm jedes Wort aus der Nase ziehen, H.s Standardantwort auf die Frage nach seinen Motiven lautete: ,,Das weiß ich nicht mehr.'' Oft verschränkte er die Arme fest vor der Brust und zog den Rollkragenpullover bis zur Nase hoch. Ein bisschen hat er sich dem Psychiater Stefan Orlob geöffnet. Christian H. habe sich für etwas Besseres als das gehalten, was Lehrer, Ausbilder und Freundinnen in ihm sahen, sagte Orlob. H.s Intelligenz siedelte er ,,im unteren Normalbereich'' an, für alkoholkrank hält er ihn nicht. H. habe sich allerdings angewöhnt, Stress mit Hilfe von Alkohol zu bekämpfen.

Nur in der Freiwilligen Feuerwehr schien Christian H. bereit, Hierarchien zu akzeptieren. Schon als Neunjähriger war er in die Wehr eingetreten, schaffte es bis zum Jugendleiter. ,,Die Feuerwehr ist die einzige Konstante in seinem Leben'', sagte Psychiater Orlob. Freiwillige Feuerwehren genössen in den Dörfern und Städten hohe Akzeptanz, ,,wer deren Uniform trägt, ist wichtig''.

Orlob sah eine Verbindung zwischen den Bedrohungen und Körperverletzungen, deren sich Christian H. früher schuldig gemacht hat, und der Feuersbrunst, die er in Wolgast gelegt hat. ,,Auch Brandstiftung ist ein Delikt, das auf Aggression basiert'', erklärte der Psychiater.

Feuerwehrmänner, die zu Brandstiftern werden, kennt man nicht nur im äußersten Nordosten Deutschlands. Derartige Fälle hat es in Bayern und Brandenburg gegeben, in Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, auch in Österreich. Exakte Zahlen darüber, wie anfällig Brandbekämpfer dafür sind, selbst Brände zu inszenieren, gibt es nicht.

Der Deutsche Feuerwehrverband spricht von jährlich einem Dutzend Fällen - bei im Schnitt 36000 Brandstiftungen jährlich nicht eben viel. Aus dem Landesverband Mecklenburg-Vorpommern drang dagegen jüngst die Einschätzung, dass ,,die meisten Brände von Feuerwehrmännern gelegt'' würden. Erkenntnisse des Landeskriminalamts Brandenburg legen den Schluss nahe, dass zumindest in Brandenburg jeder zehnte Zündler aus den Reihen der Feuerwehr stammt.

Als die Richterin am Donnerstag das Urteil sprach, zeigte Christian H. keine Regung. Gut möglich, dass ihn eine andere Entscheidung stärker beeindruckt. Die Freiwillige Feuerwehr Wolgast hat Christian H. ausgeschlossen.

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