USA:Polizeigewalt in Fakten

  • Zwischen 2009 und 2013 registrierte das FBI insgesamt 2102 Zivilisten, die "gerechtfertigt" von Polizisten getötet wurden.
  • Wo verhalten sich Polizisten besonders unprofessionell? Wie bewerten sie selbst die Häufigkeit, mit der Situationen eskalieren?
  • Neun Grafiken unterlegen die emotionale Debatte über Polizeigewalt in den USA mit Fakten.

Von Lena Jakat

Nicht immer ist der Tod eindeutig. Nicht immer gibt es einen Unbeteiligten, der einen Tathergang filmt und damit eine verbindliche Version der Wahrheit schafft. Im Fall von Walter Scott, der Anfang April im US-Bundesstaat South Carolina durch Schüsse aus einer Polizeiwaffe starb, hat Feidin Santana das getan. Seine Smartphone-Aufnahme ging um die Welt und führte zu einer Mordanklage gegen Michael Slager - jenen Polizisten, der dem fliehenden Scott in den Rücken geschossen hatte.

Das ist selten. Wenn Polizisten die Waffe gegen Zivilisten richten, steht oft Aussage gegen Aussage; wenn die Schüsse töten, bleibt allein die Version der Staatsgewalt. In der nationalen Statistik des FBI tauchen diese Fälle fast immer als justifiable homicides auf - gerechtfertigte Tötungen: Notwehr, Kampf, der Schutz von Dritten. Für den Zeitraum zwischen 2009 und 2013 registriert die US-Bundespolizei 2102 solcher Fälle, Tendenz steigend. Die Zahl der im Dienst getöteten Polizeibeamten ging dagegen zurück.

Hängt die Zahl der justifiable homicides womöglich mit einer generellen Eskalation der Gewalt in den USA zusammen? Die Statistik des FBI zeigt: Gewaltverbrechen in den USA sind rückläufig. Die Zahl der justifiable homicides, die auf 10 000 Gewaltverbrechen kommen, steigt.

Mehr als 2000 gerechtfertigte Tötungen seit 2009 - und gerade einmal 49 Todesfälle, in denen es zum Prozess kam. Seit 2005. Diese Zahl hat die Washington Post in aufwändigen Recherchen ermittelt. In der Auswertung dieser 49 Fälle taucht ein Muster auf, das inzwischen erschreckend vertraut erscheint: Weißer Polizist tötet schwarzen Bürger. Darren Wilson tötet Michael Brown, Michael Slager tötet Walter Scott, Polizisten misshandeln Freddie Gray, der später stirbt.

Zwar lassen sich all diese Einzelschicksale nicht getrennt von den Besonderheiten des jeweiligen Ortes betrachten. Mancherorts haben sich Polizei und Bürger voneinander entfremdet, prägen Bandenkulturen die Sozialstrukturen ganzer Stadtteile. Doch die Zahlen zeigen auch ein simples Missverhältnis: Vielerorts sind Schwarze bei der Polizei im Vergleich zu ihrem Anteil an der Bevölkerung stark unterrepräsentiert.

Schwarze und Weiße in Polizei und Bevölkerung

Ein weiteres Thema, das immer wieder angesprochen wird, wenn es um Polizisten geht, die die Kontrolle verlieren, sind Art und Dauer ihrer Ausbildung. Diese variieren beträchtlich; es gibt mehrere Hundert Standorte in den USA, an denen Polizisten ausgebildet werden. Das US-Justizministerium erhob zuletzt 2006 Daten von 648 Institutionen auf lokaler und Bundesstaats-Ebene. Schon ein Blick auf die Anzahl der Stunden, die für ausgewählte Bereiche der Ausbildung vorgesehen sind, offenbart mögliche Antworten auf die Frage nach den Ursachen für Polizeigewalt:

Im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Tod von Freddie Gray und die anschließenden Proteste fanden zuletzt auch die beträchtlichen Summen Erwähnung, die Baltimore jährlich an Schadensersatz an Opfer von Polizeigewalt auszahlt. Auch für andere Städte lassen sich entsprechende Zahlen finden.

Frappierend ist die Höhe der Entschädigungszahlungen, die von der Stadt Chicago ausbezahlt werden. Ein Grund für den hohen Wert ist einem Bericht der Chicago Sun Times zufolge in den Taten von Jon Burge und seinem Team zu suchen. Zwischen 1972 und 1991 wurden unter Burges Ägide mehr als 200 Verdächtige gefoltert und zu Geständnissen gezwungen; der frühere Police Commander wurde erst 2010 verurteilt - zu viereinhalb Jahren Haft (lesen Sie hier mehr über den Fall). In Baltimore ist die Summe, die pro Fall ausbezahlt werden kann, durch ein Bundesstaatsgesetz bei 200 000 Dollar gedeckelt.

Ein Grund, warum Burge in Chicago über Jahrzehnte hinweg derart wüten konnte, ist der Zusammenhalt innerhalb der Polizei. Was in seiner positiven Ausprägung als Korpsgeist und Kameradschaft gewürdigt wird, verhindert nicht selten, dass Fälle von Polizeigewalt gar nicht erst zur Anzeige gebracht werden. Darauf weist auch dieses Ergebnis einer Studie hin, die zwar aus dem Jahr 2000 stammt, in der Tendenz aber noch immer Gültigkeit hat:

In der repräsentativen Umfrage wurde 925 zufällig ausgewählten Polizisten von 121 Standorten auch die Frage gestellt, ob Polizisten dazu tendierten, Weiße besser als Schwarze und andere Minderheiten zu behandeln. Das Ergebnis wirkt auf den ersten Blick wenig überraschend: 83 Prozent der Polizisten bewerteten die Aussage "Police officers often treat whites better than they do blacks and other minorities" als "nicht" oder "überhaupt nicht" zutreffend. Interessanter wird es, wenn man die Antworten nach der Hautfarbe der Polizisten gruppiert:

In welchen US-Städten verhält sich die Polizei besonders unprofessionell? St. Louis in der Nähe von Ferguson? Charleston? New York? Das Cato-Institut, ein liberal geprägter Thinktank, hat dem Thema Polizeigewalt das National Police Misconduct Reporting Project gewidmet; Berichte für 2010 wurden en detail ausgewertet. Unter den fünf Polizeibehörden mit mehr als 1000 Beamten findet sich keine einzige der Städte, die in den vergangenen Monaten die Schlagzeilen füllten. Doch die Vermutung liegt nahe, dass uns auch diese Ort bald in den Schlagzeilen begegnen werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: