Tierische Adoptionen:Schwein ist mein ganzes Herz

Babyaugen entzücken nicht nur Menschen, sondern auch Tiere. Hunde ziehen Ferkel groß, Löwen kuscheln mit Antilopen: Das rätselhafte Phänomen der Tieradoption.

Claudia Fromme

Es gibt Momente, da müssen Nachrichtensprecher ganz stark sein. Die Katastrophen dieser Welt belasten, natürlich, die Bankenkrise, der Verlust von Ikonen aus Pop und Politik. Es gibt aber eine Art von Nachricht, so scheint es, die ausschließlich verklärten Blickes vorgetragen wird. Der letzte Zugang in dieser Kategorie erreicht uns nun aus China.

Tierische Adoptionen: Die Hündin Bessi hat das Sibirische Tigerbaby adoptiert und konnte es sogar mit Milch versorgen.

Die Hündin Bessi hat das Sibirische Tigerbaby adoptiert und konnte es sogar mit Milch versorgen.

(Foto: Foto: ddp)

Ein zotteliger Hofhund hat sich im Süden des Landes selbstlos eines Ferkels angenommen. Bei der BBC liefen Bewegtbilder, auf denen die Hündin das Junge im Maul spazieren führt und danach säugt. Von seiner Mutter hatte das Ferkel sich losgesagt, verlas die Anchorfrau, da sie nicht ausreichend Milch bot. Vielleicht war es eine Täuschung, aber in ihren Augenwinkeln schien eine Träne zu glitzern.

Die Tieradoption ist der Klassiker im leichten Fach, und im Gedächtnis bleiben vor allem die kuriosen Fälle. Wie der des fußlosen Makiaffen aus dem thailändischen Ayutthaya, der ein Kaninchen hegte. In Patok in Albanien freundeten sich Esel und Wolf an, als der eine dem anderen zum Fressen vorgesetzt wurde.

Im kenianischen Mombasa adoptierte eine 120Jahre alte Schildkröte ein Flusspferdbaby, das der Tsunami seinerzeit der Mutter entrissen hatte. Spektakulär war auch der Fall einer Löwin, die im Samburu-Nationalpark in Kenia fünfmal Antilopen gewaltsam adoptierte. Vergebens versuchte die biologische Mutter ihr entführtes Junges zu befreien, bei einer Antilope gestattete die Löwin immerhin, dass sie das Kitz säugte. Richtig gut funktionierte die Zeitmutterschaft aber nicht, überlagerte der Jagdtrieb manchmal eben doch den Pflegetrieb. Einmal beendete ein Löwe das artfremde Treiben per Prankenschlag, ein anderes Mal fraß die Löwin ihr Ziehkind.

Dass sich Rudeltiere oder Vögel in Brutkolonien um arteigenen Nachwuchs kümmern, ist von der Natur vorgesehen, auch Löwinnen säugen Junge ihrer Genossinnen, der Kuckuck jedoch jubelt anderen Vögeln sein Ei unter. Die Gründe, artfremd zu adoptieren, sind von Fall zu Fall verschieden. "Häufig ist es aber so", sagt der Fürther Verhaltensbiologe Udo Gansloßer, "dass eine Adoptivmutter eigene Junge verloren hat und ihren Brutpflegeinstinkt auf artfremde Tiere überträgt." Das könne auch für die Löwin gelten. Andere Verhaltensbiologen vermuten in dem speziellen Fall eine Fehlprägung, die Löwin wäre demnach auf Antilopen gepolt. Als Verirrung sieht Frans de Waal indes solch Treiben nicht. Der Professor für Psychologie aus Atlanta ist führender Vertreter der eher umstrittenen Theorie, dass Tiere über eine moralische Instanz verfügen. Dass sie sich um hilflose Tiere kümmern, sieht der Verhaltens- und Primatenforscher als "instinktive Anteilnahme".

Bei Hunden kommen Adoptionen gleichwohl häufiger vor. Wenn zum Beispiel ein Wildschwein seine Mutter verloren hat, schiebt der Waidmann es seiner Hündin unter. Lokale Berühmtheit strich so Wildschweinferkel Schnitzel ein, das im Hundekorb eines Reiterhofs im märkischen Nachrodt-Wiblingwerde neue Hege fand. Über Tage rührte auch ein Sibirisches Tigermädchen in Ströhen in Niedersachsen die Nation. Im dortigen Wildpark hatte sich Dackelrüde Monster des von der Mutter verstoßenen Tigers angenommen und alle ihm aufgetragenen Pflichten wie Kuscheln und Bauchlecken zur vollsten Zufriedenheit erledigt. Der Parkbetreiber fütterte mit der Flasche zu. Tage später legte sich ein Schatten über Ströhen: Monster wurde vom Postauto überrollt. Zum Glück sprang Tochter Bessi ein. Klingt obskur, ist aber nicht selten: Nicht nur in chinesischen Zoos ziehen Hunde verstoßene Tigerbabys auf.

Auch Schlappen werden umsorgt

Dass Hunde überproportional oft zu Gastmüttern werden, liegt an der Besonderheit ihrer Natur: Sie gehören zu den wenigen Arten, die Scheinschwangerschaften ausbilden. Sind sie läufig und bleibt eine Befruchtung aus, spielen die Hormone verrückt und lösen ein Brutpflegeverhalten aus. "Manche Hündinnen adoptieren dann sogar Hausschlappen", sagt der Verhaltensbiologe Gansloßer. Der Zeitpunkt, ihnen in der zwei Monate währenden Zeit ein Tier unterzuschieben, sei ideal, sagt er. Selbst Milch produzieren die Hunde, sodass sie Fremdjunge säugen können. Freundschaften fürs Leben entstehen in der Regel nicht. Mit dem Ende der Säugezeit sinkt der Hormonspiegel der Adoptionsmutter, die gemeinsame Zeit findet ein natürliches Ende.

Auch auf Menschen übertragen Hunde ihre Fürsorge: Eltern beobachten oft, dass sie sich schützend vor das Babybett legen. Selten gibt es verstörende Fälle von Kindern, die allein unter Hunden aufwachsen. In einer verdreckten Wohnung in Sibirien fanden Behördenmitarbeiter unlängst ein fünfjähriges Mädchen, das sich durch Bellen zu verständigen suchte und Essen vom Teller schleckte. Sie nannten es Mowgli nach der Figur aus Rudyard Kiplings Bestseller "Das Dschungelbuch", in dem Wölfe ein Kind großziehen.

Von den Irrungen und Wirrungen der Natur profitiert vor allem einer: der Mensch. Jäger bringen die Rotte durch und Wildparkbetreiber kommen gut über den Winter. Kaum machte die Geschichte von der Löwin und den Antilopen die Runde, schoben sich Touristenjeeps Stoßstange an Stoßstange durch die Savanne. Auch das rührende Drama von der Schildkröte und dem Flusspferd, genannt Owen und Mzee, verbreitete die Betreiberin des Wildparks, in dem sich die beiden kennenlernten. Sie sicherte sich die Markenrechte, ließ Fanartikel produzieren, einen Dokumentarfilm drehen und ein Kinderbuch herausbringen. Das verdrängte zeitweise sogar Harry Potter von der Spitze der Bestsellerliste der New York Times.

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