Softair-Waffen in USA:Tödliches Spielzeug

Lesezeit: 3 min

  • Immer wieder sterben in den USA Jugendliche, weil Beamte ihre Softair-Waffen für echt halten.
  • Nach dem Tod des zwölfjährigen Tamir Rice soll das Gesetz in Ohio nach kalifornischem Vorbild verschärft werden.
  • Die kalifornische Bill 199 erlaubt allerdings weiterhin Spielpistolen, die täuschend echt aussehen - bis auf zwei Kleinigkeiten.

Von Lena Jakat

2007 erschießen Polizisten einen Zwölfjährigen in West Memphis, Arkansas, der seine Waffe nicht fallen lassen will.

2010 schießen Polizisten auf einen 13-Jährigen in einem Park in Los Angeles, der eine Waffe gezückt hat; er bleibt querschnittgelähmt.

2012 erschießen Polizisten einen 15-Jährigen in Texas auf dem Flur seiner Schule. Er hat eine Waffe im Hosenbund stecken.

2013 erschießen Beamte einen 13-Jährigen im kalifornischen Santa Rosa.

In all diesen Fällen stellt sich erst zu spät heraus: Die Jugendlichen hatten keine echten Schusswaffen bei sich, sondern vergleichsweise harmlose Druckluftpistolen (Softair-Pistolen) - die auf den ersten Blick jedoch kaum von scharfen Schusswaffen zu unterscheiden sind.

Tamir Rice ist zwölf Jahre alt, als er am frühen Sonntagmorgen seinen Verletzungen erliegt. Am Samstag hat er auf einem Spielplatz in Cleveland eine Waffe gezogen und auf andere gerichtet. So zumindest schildert es der Augenzeuge, der die Polizei alarmiert. Als zwei Beamte eintreffen und den Jungen auffordern, die Hände zu heben, greift dieser nach der Pistole, die in seinem Hosenbund steckt. Schüsse fallen, mindestens einer savon trifft den Jungen in den Bauch. Die Hinweise des Anrufers, es könne sich bei der Pistole um eine harmlose Attrappe handeln, sind offenbar bei den Polizisten, die losgeschickt wurden, nicht angekommen. Tatsächlich hatte Rice eine Softair-Pistole dabei, die den Ermittlern zufolge einer halbautomatischen Pistole nachempfunden ist. Von der Polizei veröffentlichte Bilder zeigen, wie täuschend echt die Spielpistole zumindest für Laien wirkt.

USA
:Polizisten erschießen Zwölfjährigen, der nach Spielpistole greift

Ein Junge zielt auf einem Spielplatz in der US-Stadt Cleveland mit einer Softairwaffe auf andere Personen, jemand ruft die Polizei. Dann kommt es zu einem dramatischen Vorfall: Zwei Beamte erschießen das Kind.

Tamir Rice ist nicht der erste, der aufgrund eines solchen Missverständnisses stirbt und er dürfte nicht der letzte sein. Zwar fehlen in den USA, wo laut Zahlen der Gesundheitsbehörde CDC jedes Jahr 32 000 Menschen durch Schusswaffen sterben, flächendeckende Erhebungen zu Zwischenfällen mit Waffenattrappen. Eine schon 1990 veröffentlichte Studie des US-Justizministeriums zählte für die fünf vorangegangenen Jahre aber 252 Fälle, in denen Polizeibeamte schossen, weil sie eine Attrappe für eine echte Waffe hielten. In wie vielen Fällen die Schüsse tödlich waren, ist nicht aufgeführt.

Softair-Waffen wie jene, die bei Rice gefunden wurde, gelten in Deutschland bis zu einer Geschossenergie von 0,5 Joule als Spielzeug und sind oberhalb dieses Grenzwerts zumindest für Volljährige frei erhältlich.

Schärfere Regeln für Softair-Waffen

In den USA regelt ein nationales Gesetz, dass Softair-Waffen durch einen orangefarbenen Aufsatz am Lauf gekennzeichnet werden müssen. An Tamir Rices Waffe fehlte er - wie in vielen früheren Fällen. Mutmaßlich, weil dieser Pfropfen nach Teenager-Maßstäben eher uncool aussieht.

Diese Softair-Waffe hatte der zwölfjährige Tamir Rice bei sich, als er am Samstag in Cleveland, Ohio, von zwei Polizisten erschossen wurde. (Foto: AP)

In Ohio, dem US-Bundesstaat, wo Rice am Sonntag starb, gelten für den Verkauf von täuschend echt aussehenden Softair-Waffen darüberhinaus derzeit keine besonderen Gesetze. Die demokratische Abgeordnete Alicia Reece hat nun eine Gesetzesinitiative angekündigt, die die Regeln verschärfen soll.

Das Vorbild für den Gesetzentwurf stammt aus Kalifornien. Erst am 1. Oktober hat der dortige Gouverneur nach gut einem Jahr politischer Beratungen Bill 199 unterzeichnet. Diese Verschärfung bietet jedoch kaum Anlass zur Hoffnung, dass in Ohio tragische Todesfälle wie Tamir Rices künftig verhindert werden können.

Andy Lopez war 13 Jahre alt, als er vor ziemlich genau einem Jahr in Santa Rosa erschossen wurde, in der Hand ein Softair-Gewehr, das einer Kalaschnikow nachempfunden war. Nach seinem Tod unternahm der kalifornische Parlamentarier Kevin de Léon einen neuen Anlauf (nach einem ähnlichen Fall war ein erster 2011 gescheitert), die Auflagen für Softair-Waffen zu verschärfen - eben jener Gesetzesentwurf 199. Softair-Waffen sollten nur noch in leuchtenden Farben erhältlich sein, um auf den ersten Blick von einer scharfen Waffen unterscheidbar zu sein.

Umstrittenes Gesetz in Kalifornien

Zwar erhielt Bill 199 breite Unterstützung - zum Beispiel durch den örtlichen Sheriff und die Polizei in Los Angeles (LAPD). Deren Beamte hatten 2010 auf einen Teenager geschossen, dessen Softair-Waffe sie für eine echte hielten, der Teenager blieb gelähmt zurück und bekam später in einem Schadenersatzprozess gegen die Polizei 24 Millionen Dollar Entschädigung zugesprochen. Der bei der Polizei von Los Angeles für Schusswaffen verantwortliche Beamte sagte im vergangenen November zum Thema Bill 199: "Auf keinen Fall wollen sie ihr Leben lang ihr Gewissen damit belassen, einen 13-Jährigen erschossen zu haben, auch wenn Sie dafür ausgebildet werden."

Doch all der Unterstützung zum Trotz: Die Waffenlobby in den USA ist bekanntermaßen mächtig. Und zwar auch dann, wenn es um Softair-Pistolen geht. Unter anderem die Hersteller von Druckluftwaffen und der Sportschützenverband National Shooting Sports Foundation gingen gegen den Gesetzentwurf in Kalifornien vor. Kritiker versuchten, die Absicht des Gesetzes umzukehren: Kriminelle würden nun ihre tödlichen Revolver in leuchtenden Farben lackieren, um Polizisten in falscher Sicherheit zu wiegen. Statt mehr Klarheit bedeute das Gesetz also mehr Gefahr für die Beamten. Ein Argument, das auch bei der aktuellen Debatte in Ohio wieder aufgetaucht ist.

Was jetzt im kalifornischen Gesetz steht - gültig erst ab 2016 - dürfe der Demokratin Alicie Reece aus Ohio nur bedingt Hoffnung für das eigene Vorhaben machen: Von leuchtend bunten Softair-Pistolen ist dort nicht länger die Rede. Fortan muss lediglich der Abzugsbügel, der kleine Ring um den Abzug - in einer leuchtenden Farbe lackiert sein. Und ein zwei Zentimeter breiter Klebstreifen muss den Griff markieren. Ob ein solcher Klebstreifen im Besitz eines Teenagers allerdings länger überdauert als der orangefarbene Plastikstutzen, darf bezweifelt werden.

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