Prozess in Oslo:Wie Anders Breivik sich selbst schützt

Selbst die grausamsten Details schilderte Norwegens Attentäter Anders Behring Breivik bislang ohne erkennbare Emotion. Das Gericht widmet Tag fünf des Prozesses der Gefühlsverfassung des Angeklagten - der deutlich macht, dass er nicht die Absicht hat, seinen emotionalen "Schutzschild" abzulegen.

Lena Jakat und Hans Holzhaider

Reue, Empathie für die Opfer, Selbstzweifel: Diese Emotionen sind nicht selten in einem Gerichtssaal. Doch im Prozess gegen den norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik zeigt der Angeklagte keinerlei Anzeichen für derlei Gemütsregungen. Den fünften Prozesstag an diesem Freitag widmete das Gericht zunächst eben diesem Punkt: der emotionalen Verfassung des Angeklagten. Manche Norweger beschreiben es als "surreal", dass es tatsächlich ein Mensch sei, der im Saal 250 des Osloer Tinghus im dunklen Anzug auf der Anklagebank sitzt. Der die grausamen Anschläge auf die Ferieninsel Utøya und das Regierungsviertel verübte und dies unumwunden zugibt.

Anders Breivik

Er sei ein ganz normaler gefühlsbetonter Mensch gewesen, sagt der Attentäter Anders Behring Breivik am fünften Tag seiner Aussage vor Gericht.

(Foto: AP)

Am Vormittag wird Breivik von seinen Verteidigern verhört. Ihre Strategie: Breivik die Gelegenheit zu geben, sich als Mensch zu präsentieren. Bis 2006 sei er eine ganz normale, ja gefühlsbetonte Person gewesen, sagt der Angeklagte. Er berichtet von der Trauer, die er einst bei der Beerdigung eines Bekannten verspürt habe.

Als er begann, seine Taten zu planen, habe er sich eine "Entmenschlichungsstrategie" für seine Opfer zurechtgelegt, wie es auch Soldaten im Krieg tun würden. Nicht nur von seinem sozialen Umfeld, auch emotional habe er sich abgekapselt, sagt Breivik. "Man kann niemanden töten, wenn man mental nicht vorbereitet ist." Seine technische Sprache während der Verhöre sei dafür ein Werkzeug. Die Einschätzung aus dem zweiten psychiatrischen Gutachten, er sei ein Narzisst, weist der Attentäter zurück. Es stimme nicht, dass er vor allem sich selbst liebe: "Ich fühle eine große Liebe für dieses Land. Das ist nicht normal, aber so bin ich."

Anschließend übernimmt Opferanwältin Mette Yvonne Larsen das Verhör. Rasch wird deutlich, dass der Angeklagte nicht die Absicht hat, seine Gefühllosigkeit aufzugeben:

"Es sind in Norwegen mehr als 1000 Menschen betroffen, die das hier verfolgen", konstatiert Larsen.

"Ich erhebe nicht den Anspruch, dass ich vollends das Leid verstehen kann, ich will auch nicht versuchen, das zu tun", antwortet Breivik.

"Versuchen sie es doch mal! "

"Wenn ich das tun würde, dann wäre ich nicht der Lage, heute hier zu sitzen. Ich weiß, was ich getan und verursacht habe."

"Was verstehen Sie denn unter dem Wort Empathie?"

"Dass ich mich selbst in die Lage anderer versetze. Wenn ich das aber tun würde, dann würde ich zusammenbrechen."

"Was wäre schlimm daran? An jedem Tag des Prozesses ist irgendjemand zusammengebrochen."

"Ich habe ein anderes Interesse. Ich will verhindern, dass meine Volksgruppe kaputt gemacht wird."

Breivik spricht darüber, wie die Männer der westlichen Welt verweichlichten. Er selbst sei anders, habe seine Gefühle durch tägliche Meditiation abgeschirmt. Er sagt: "Ich will diesen Schutzschild nicht aufgeben."

Ingesamt sechs Tage hat das Osloer Gericht der Aussage des Massenmörders Anders Breivik eingeräumt. Hier die bisherigen Tage des Prozesses im Überblick:

Vierter Prozesstag: Breivik schildert Vorbereitung der Anschläge

Die ersten Vorzeichen von Verunsicherung sind verschwunden. Ohne sichtbare Emotion schildert der Angeklagte, wie er sich im Bombenbau versuchte, wie er mit dem Computerspiel Call of Duty: Modern Warfare und im Osloer Pistolenclub trainierte. Er beschreibt seine Erkundungsgänge im Regierungsviertel der norwegischen Hauptstadt und mehrere Anschlagsszenarien. Wie schon in den vergangenen Monaten bekannt wurde, war das Massaker auf Utøya nicht Teil seines ursprünglichen Plans.

Dritter Prozesstag: Kreuzverhör zeigt Wirkung

Der Frage, wie aus dem Angeklagten jener rechtsextremistische Massenmörder werden konnte, der das schlimmste Verbrechen in Norwegens jüngerer Geschichte verübte, war der dritte Prozesstag gewidmet. Es ging um das angebliche Netzwerk der "Knights Templar", um Breiviks Kontakte zu Gesinnungsgenossen und um eine Reise nach Liberia. Das Kreuzverhör der Anklage zeigte erstmals Wirkung, Breivik reagierte nervös und gereizt auf Fragen. Indirekt forderte er die Todesstrafe für sich: "In einem Fall wie diesem kann es nur zwei Entscheidungen geben: Freispruch oder Todesstrafe." 21 Jahre Haft - das ist in Norwegen die Höchststrafe, falls er als zurechnungsfähig beurteilt wird - seien ein "lächerliches Urteil".

Zweiter Prozesstag: Breivik verliest Manuskript

Am Dienstag hatte Breivik Gelegenheit erhalten, sich zu seiner Ideologie einzulassen. 13 Seiten lang war sein Manuskript, seine Redezeit auf 30 Minuten beschränkt. Eine halbe Stunde, in der der Attentäter die "Meinungstyrannei" der Medien und ihre "multikulturalistische Ideologie" beklagt, Verbrecher wie die Mitglieder des NSU als Vorbilder und "Ritter der nationalistischen Revolution" preist. Die Richterin Wenche Elizabeth Arntzen muss ihn ermahnen, seine Rhetorik zu zügeln.

Prozessauftakt: Videos und Tonbänder dokumentieren den Terror

Knapp neun Monate nach dem 22. Juli sind die Attentate Breiviks wieder präsent: In Oslo begann an diesem Montag der Prozess gegen den 33-Jährigen. Er bekannte sich der Tötung von 77 Menschen schuldig, beharrte aber darauf, in Nothilfe für das norwegische Volk gehandelt zu haben. Zu Beginn der Verhandlung wurden Videoaufnahmen und Mitschnitte der Notrufe von Utøya im Gerichtssaal abgespielt. Für einige Hinterbliebene im Saal war das zu viel: Sie mussten den Verhandlungsraum zwischenzeitlich verlassen.

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