Papst und Patriarch:Papst Franziskus und Patriarch Kyrill: Zwei Hirten auf Augenhöhe

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Der eine ist Oberhaupt von 1,2 Milliarden Katholiken, der andere von schätzungsweise 180 Millionen Russisch-Orthodoxen. Dass sie sich jetzt auf dem Flughafen von Havanna treffen, ist ein Jahrtausendereignis.

Von Julian Hans und Stefan Ulrich

Die katholische Tageszeitung Avvenire ist ein, für italienische Presseverhältnisse, nüchternes und informatives Blatt. Umso mehr fällt es auf, wenn der Avvenire einen "gigantischen Schritt nach vorn" bejubelt und schreibt, von den Beziehungen zwischen Rom und Moskau werde "ein Grabstein gehoben".

Der Grund der Begeisterung: An diesem Freitag werden sich zwei ältere Herren auf dem Flughafen von Havanna treffen. Der eine ist Papst Franziskus, das geistige Oberhaupt von 1,2 Milliarden Katholiken; der andere Kyrill I., der Patriarch von schätzungsweise 180 Millionen Russisch-Orthodoxen. Das Treffen ist, kirchengeschichtlich betrachtet, ein Jahrtausendereignis. Denn vor annähernd tausend Jahren kam es zum großen Morgenländischen Schisma.

Als Tag der Kirchenspaltung gilt der 16. Juli 1054. Damals schritt Kardinal Humbert von Silva Candida, der Gesandte von Papst Leo IX. in Rom, zum Hochaltar der Hagia Sophia. Dorthin legte er eine Bannbulle, die den Patriarchen von Konstantinopel, Michael Kerullarios, exkommunizierte - und mit ihm die ganze Ostkirche. Der Patriarch schlug seinerseits mit einem Bannspruch gegen Rom zurück. Damit war der Bruch zwischen der lateinischen West- und der griechischen Ostkirche vollzogen.

Es begann mit einem "Dialog der Liebe"

Bereits in den Jahrhunderten davor war es zur Entfremdung gekommen. Hierzu trugen die verschiedenen Sprachen - Lateinisch in Rom, Griechisch in Konstantinopel - und Kulturen bei. Auch theologisch und kirchenpolitisch gab es Streitpunkte, etwa hinsichtlich der Natur der Dreifaltigkeit oder der Stellung des Papstes. Während der Bischof von Rom zunehmend die Oberhoheit über alle Christen, also auch im Osten beanspruchte und dabei sogar ein weltliches Supremat einforderte, war man in Konstantinopel der Auffassung, die höchste Entscheidungsbefugnis komme nur einem ökumenischen Konzil zu.

Das Schisma verfestigte die Entfremdung. Im Jahr 1204 bekam die Beziehung zwischen Katholiken und Orthodoxen einen weiteren, buchstäblich verheerenden Schlag versetzt. Ein Heer von Kreuzfahrern, die von Venedig ausgestattet worden waren, fiel in Konstantinopel ein. Die vorgeblich frommen Krieger wüteten tagelang in der Stadt, sie ermordeten ihre östlichen Glaubensgenossen, raubten Reliquien und zerstörten Ikonen. Das ist bis heute nicht vergessen.

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Später kamen neue Probleme hinzu. So fühlte sich die russisch-orthodoxe Kirche, die allmählich zur wichtigsten Kraft innerhalb der Orthodoxie geworden war, immer wieder von Rom bedrängt. Daher begann die Aussöhnung zunächst nicht zwischen Rom und Moskau, sondern zwischen Rom und Konstantinopel, das heute Istanbul heißt. 1965 ließen der Papst und der Patriarch von Konstantinopel die Bannsprüche "dem Vergessen anheimfallen". Es begann ein "Dialog der Liebe", der 1979 zum "Dialog der Wahrheit" aufgewertet wurde.

Jetzt kommt die Annäherung wieder ein großes Stück voran. Zum ersten Mal treffen sich ein Papst und ein Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche. Für Kyrill I. ist es aber keineswegs die erste Begegnung mit einem Oberhaupt der Katholiken: In seiner früheren Rolle als klerikaler "Außenminister" nahm er regelmäßig an Konferenzen mit Vertretern anderer Kirchen teil. Im Dezember 2007 traf er Benedikt den XVI. im Vatikan. Vielen Hardlinern zu Hause ging das bereits zu weit mit der Ökumene.

Auf keinen Fall wollen die Orthodoxen dem Papst als Schwächere begegnen

Auf der Agenda steht eine Begegnung der beiden Oberhirten schon seit mehr als zwei Jahrzehnten. Dass es so lange dauerte, bis sie tatsächlich zustande kam, hat zu einem großen Teil mit den Selbstfindungsprozessen der Orthodoxen nach der Auflösung der Sowjetunion zu tun. Nach dem Scheitern des sozialistischen Experiments wurden sie zwar nicht länger vom Staat gegängelt, waren aber wirtschaftlich so schwach, dass sie es als Bedrohung empfanden, als die reiche katholische Kirche in den Neunzigerjahren mit ihrer international ausgerichteten und professionell agierenden Organisation in Russland auftrat.

Unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe betreibe Rom Proselytismus, also die Abwerbung von Gläubigen, lautete der Vorwurf. Mit den Aktivitäten der Caritas konnten die Orthodoxen nicht mithalten. Dass der Vatikan in Russland gleich vier Bischofssitze gründete, wurde von Teilen der Orthodoxie als Invasion aufgefasst. Auf keinen Fall wollte man dem Papst als Schwächerer begegnen. Zumal der Pole Johannes Paul II. auch noch die politische Agenda verfolgte, alle Staaten des ehemaligen Ostblocks zu besuchen - als Symbol des Sieges der Kirche über die atheistische Diktatur. Diesen Triumph wollte man ihm in Moskau nicht gönnen, zumal die orthodoxe Kirche im Ruf stand, besonders stark vom Geheimdienst unterwandert zu sein.

1997 scheiterten die Vorbereitungen für ein Treffen von Alexej II. und Johannes Paul II. in Österreich im letzten Moment am Streit um die Rolle der mit Rom unierten Kirche in der Ukraine. Ihre Anhänger feiern nach orthodoxem Ritus, erkennen aber den Papst an. In der Ukraine sind die Unierten in der Minderheit. Als sie jedoch zu Beginn der Neunzigerjahre in der Westukraine drei Diözesen des Moskauer Patriarchats übernahmen und auch im Osten und Süden des Landes aktiv wurden, rief das in Moskau Unmut hervor.

Eine "Wunde, die nicht heilt und weiter blutet

Heute wirkt das wie eine Vorwegnahme des politischen Konflikts um die Ukraine auf dem Gebiet der Kirche. Die Situation habe sich im Zuge dessen sogar noch verschlechtert, klagt Moskau. Vertreter der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche hätten sich unmittelbar an den "Ereignissen" beteiligt und seien "mit antirussischen und russophoben Parolen aufgetreten", heißt es in einer Erklärung, die das Moskauer Patriarchat vor dem Treffen in Havanna veröffentlichte. Dieses Problem bleibe eine "Wunde, die nicht heilt und weiter blutet". Dennoch erfordere die Verfolgung von Christen im Nahen Osten aber auch in Afrika "umgehende Maßnahmen und eine engere Zusammenarbeit zwischen den christlichen Kirchen". Das Thema der Christenverfolgung stehe daher beim heutigen Treffen im Mittelpunkt.

Auch wenn das Patriarchat jede politische Agenda bestreitet - das Thema passt zu Wladimir Putins Syrien-Politik wie ein Puzzleteil zum anderen. Dabei wird der syrische Diktator Baschar al-Assad als Garant für die Sicherheit der christlichen Minderheit in der Region präsentiert. Einen "gerechten Krieg" nannte Kyrill das Bombardement, ein Vertreter des Patriarchats sprach gar von einem "heiligen Kampf".

Der Vatikan ist froh, dass das so lange angestrebte Treffen nun zustande kommt. Mit der Orthodoxie sieht man viele Gemeinsamkeiten. Hierzu gehören die Wertschätzung von Tradition und Liturgie und die Sorge, christliche Werte könnten in den westlichen Gesellschaften verloren gehen. Zudem treibt auch den Papst in Rom die Sorge um die Christen in Nahost und in Afrika um sowie die Furcht vor einem weiteren Vordringen islamistischer Extremisten. In Moskau, dem so genannten Dritten Rom, sieht man da einen möglichen Verbündeten. Den Disput über das Primat des Papstes klammert man deshalb erst einmal aus. "Ich komme, wohin du willst", hatte Franziskus dem Patriarchen Kyrill versprochen. Und sei es nach Havanna.

© SZ vom 12.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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