Kriminalität:Opfer der Gier

Nie zuvor wurden weltweit so viele Umweltaktivisten getötet wie 2015, berichtet die NGO Global Witness. Die meisten Morde werden nie aufgeklärt.

Von Christian Endt und Katrin Langhans

Das Leben von Raimundo dos Santos Rodrigues endete am 25. August 2015. Zusammen mit seiner Frau saß der Brasilianer auf seinem Motorrad, sie fuhren vom Markt zurück nach Hause. Plötzlich traten zwei Männer aus dem Schatten der Bäume und begannen zu schießen. Zwölf Schüsse sollen Santos Rodrigues getroffen haben, berichtet die International Federation of Human Rights, anschließend sei mit einer Machete auf ihn eingestochen worden, bis er tot war. Auch seine Frau erlitt Schussverletzungen. Die beiden hatten sich für den Schutz des Amazonas-Regenwaldes engagiert. Wegen ihres Kampfs gegen illegalen Holzeinschlag und Landenteignung waren sie immer wieder bedroht worden.

Der Mord an Santos Rodrigues war einer von insgesamt 50, die 2015 in Brasilien an Umweltschützern verübt wurden. Weltweit kamen im vergangenen Jahr 185 Menschen wegen ihres friedlichen Protests für ihre Wälder, ihr Land oder das Klima ums Leben, berichtet Global Witness. Das ist die höchste Zahl, seit die Nichtregierungsorganisation 2002 begann, Daten darüber zu erheben, wie viele Umweltaktivisten pro Jahr ermordet werden. Bei ihren Untersuchungen stützen sich die Mitarbeiter auf die Berichte von lokalen NGOs und Journalisten. Gegenüber dem Vorjahr sei die Zahl der Tötungen um 59 Prozent angestiegen. Die meisten ermordeten Aktivisten stammten aus Lateinamerika und Südostasien: Neben den 50 Toten in Brasilien soll es 33 auf den Philippinen gegeben haben, 26 in Kolumbien.

"Bei Umweltaktivisten denkt man immer gleich an idealistische Demonstranten", sagt Billy Kyte von Global Witness. "Aber das sind meistens ganz normale Menschen, die sich in ihren Rechten beschnitten fühlen und sich friedlich dagegen auflehnen, dass Industriestaaten plötzlich bei ihnen vor der Haustür Großprojekte starten." Viele von ihnen würden sich vermutlich selbst gar nicht als Menschenrechtler bezeichnen.

Unter den Ermordeten sind Parkranger, Umweltschützer, Rechtsanwälte. Rund 40 Prozent der getöteten Aktivisten aber sind Ureinwohner. Oft leben sie in entlegenen Dörfern und Wäldern. Billy Kyte erklärt sich das unter anderem so: Weil Rohstoffe begehrt sind, dringen Konzerne immer tiefer in bisher unberührte Gegenden vor, etwa um Tropenhölzer oder Edelmetalle zu erschließen. Das führe zu vielen Konflikten. Oft nämlich haben die Ureinwohner keine Papiere, um die Rechte an ihrem Land zu belegen. Es kommt auch vor, dass sie nicht einmal über die Pläne der Minenbauer oder Holzfällerfirmen informiert werden. "Die Regierungen tun oft zu wenig, um die Rechte indigener Völker zu schützen", sagt Kyte.

"Manche Gegenden gleichen Kriegszonen"

Die Politikwissenschaftlerin Riccarda Flemmer vom Giga-Institut für Lateinamerikastudien in Hamburg beobachtet seit Jahren zunehmende Gewalt vor allem gegen Ureinwohner. Sie wundert sich nicht über die Ergebnisse des Reports von Global Witness. "Manche Gegenden im Amazonas gleichen Kriegszonen", sagt Flemmer. "In Peru beispielsweise arbeiten Bergbau-Unternehmen und staatliche Sicherheitskräfte eng zusammen. Die Regierung möchte die Rohstoffgewinnung vorantreiben, weil das Wirtschaftswachstum stark eingebrochen ist." Einen weiteren Grund für die steigenden Todeszahlen sieht Flemmer darin, dass die Morde häufiger als früher dokumentiert würden: "Die Arbeit von Global Witness hat viel zu dieser gestiegenen Sichtbarkeit beigetragen."

Die Aktivistin Michelle Campos hat im Kampf für ihre Heimat bereits Vater und Großvater verloren. Beide engagierten sich im Kampf gegen Kohle-, Nickel- und Goldminen auf der philippinischen Insel Mindanao. Konflikte um Bergbau sind bei den weltweit von Global Witness dokumentieren Todesfällen am häufigsten vertreten, gefolgt von Landwirtschaft und Holzeinschlag. "Viele sind gestorben, weil sie für ihr Land und die Lebensart der Eingeborenen eingetreten sind", wird Campos von Global Witness zitiert. Paramilitärische Gruppen und die staatliche Armee würden gemeinsam gegen die Ureinwohner vorgehen, 3000 Menschen hätten ihre Dörfer verlassen und seien zu Fuß in die nächste Stadt geflohen. Auf Mindanao erstrecken sich die vergebenen Konzessionen für Minengebiete nach Angaben regionaler Medien auf eine halbe Million Hektar, das sind etwa fünf Prozent der Inselfläche.

Aufgeklärt werden die Morde selten

Die von Global Witness dokumentierten Zahlen und Einzelfälle sind bedrückend. In allen 185 Fällen lassen die von der Organisation gesammelten Hinweise und Spuren erahnen, dass der Einsatz der Aktivisten für Umweltrechte in einem Zusammenhang mit der Ermordung steht. Klar belegen kann Global Witness das allerdings in den wenigsten Fällen. Das ist eine Schwäche des Berichts, zeigt aber zugleich ein Problem auf: Viele Staaten, in denen die Morde geschehen, kümmern sich kaum um die Verfolgung der Täter. Global Witness zufolge sind staatliche Stellen oft sogar in die Tötungen verwickelt: Bei 16 Ermordeten führten Spuren zu paramilitärischen Gruppen, in 13 Fällen zur Armee, und bei elf Ermordeten gebe es Hinweise darauf, dass die Polizei in die Fälle verstrickt gewesen sein soll.

"Regierungen müssen die Aktivisten besser vor Gewalt schützen", sagt Billy Kyte von Global Witness. Dazu gehöre auch, dass sämtliche Angriffe in Zukunft konsequent verfolgt werden müssten.

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