Krieg zwischen Mafia-Clans in Italien:Tod in der Badehose

Gaetano Marino stirbt am 23. August unter den Augen entsetzter Strandbesucher im Kugelhagel. Zwei Wochen nach dem Mord an dem Drogenhändler folgt mutmaßlich der blutige Vergeltungsschlag einer verfeindeten Bande. Die Verbrechen zeigen: Der Krieg zwischen Neapels Camorra-Clans flammt wieder auf - und das Geschwür Mafia breitet sich aus.

Andrea Bachstein, Rom

Seine letzten Schritte machte Raffaele Abete aus der Bar Zeus auf die Via Roma im Norden Neapels. Nach einem spätnächtlichen Kaffee erwarteten ihn draußen zwei Killer, mit drei Kugeln streckten sie den 42-Jährigen nieder. Höchstwahrscheinlich war dies ein Racheakt für einen anderen Mord vor gut zwei Wochen. Diese und mindestens fünf weitere Morde der vergangenen Monate sind Hinweise auf ein Szenario, in dem mehr Tote zu erwarten sind: Wie es aussieht, hat in Neapel nach einigen Jahren relativen Friedens ein neuer Krieg konkurrierender Camorra-Clans begonnen.

Das weckt schlimme Erinnerungen an die blutige Zeit der 1990er und frühen 2000er Jahre, als in Kampaniens Metropole bei Konflikten zwischen Mafia-Gruppen Hunderte getötet wurden. Allein der "Fehde von Scampia", die sich zwischen 2004 und 2005 über Monate hinzog, fielen etwa 100 Menschen zum Opfer. Mit ihr sollen auch die jüngsten Morde zusammenhängen.

Damals spaltete sich vom Clan der Di Lauro die seither "Scissionisti" (Sezessionisten) genannte Gruppe ab. Es gab weitere Abspaltungen, und nun stehen sich komplizierte Konstellation von Ex-Verbündeten, alten und neuen Feinden gegenüber. Raffaele Abete hatte sein eigenes eindrucksvolles Vorstrafenregister, aber er war vor allem Bruder von Arcangelo Abete, einem der Gründer der Scissionisti, der derzeit in Haft sitzt.

Offene Rechnungen einer alten Fehde

Bruder eines inhaftierten Clan-Chefs war auch Gaetano Marino, nur dass er offenbar verdächtig war, sich von den Scissionisti zu entfernen. Er starb in der Badehose. Ein Anruf hatte den Mann, der seine Hände einst bei einem Sprengstoffunfall verloren hatte, am 23. August nachmittags vor einem Strandbad im beliebten Ferienort Terracina auf die Straße gelockt. Unter den Augen entsetzter Urlauber brach der Drogenhändler der Camorra im Kugelhagel zusammen.

Die Antwort auf den Mord im Sommeridyll erfolgte jetzt am Rande des neapolitanischen Viertels Scampia. Es zählt wie das Nachbarquartier Secondigliano zum sogenannten Dreieck des Todes, das auch Schauplatz von Roberto Savianos Roman "Gomorra" ist.

Es geht bei den Morden vermutlich um offene Rechnungen der alten Fehde, aber vor allem um den Drogenmarkt von Secondigliano und Scampia. Auf 100 Millionen Euro im Jahr wird der Umsatz geschätzt, Hunderte verdienen daran, auch Minderjährige und Kinder dealen. Die labyrinthartigen Gassen zwischen den Betonwohnklötzen bieten Dealern Unterschlupf, Fluchtwege und Lagerplätze.

Für Polizei, Carabinieri und Finanzpolizei sind sie ein schwer zu durchdringendes Dickicht, in dem das Gesetz des Schweigens herrscht. Doch zahlreiche Festnahmen haben es den Clans schwerer gemacht, Kokain, Heroin und andere Drogen zu vermarkten und verschärfen jetzt ihre Konkurrenz.

"Der Gegenangriff des Staats macht sich bemerkbar", sagt Neapels Polizeipräsident Luigi Merolla. In den vergangenen Tagen hat die Polizei Wohnblocks in Scampia und Secondigliano durchkämmt und dabei auch Kalaschnikows sichergestellt. Neapels Erzbischof Crescenzio Sepe nannte die Camorra jetzt einen "Tumor".

Und der Mord von Terracina zeigt: Das Geschwür breitet sich nach Norden aus.

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