Kleingarten-Mord in Gifhorn:Ein Gärtner pflegt den Hass

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Der Besitzer einer Schrebergarten-Siedlung terrorisiert jahrelang seine Pächter. Dann schlägt er drei Menschen den Schädel ein - und gibt sich vor Gericht als Mann für Recht und Ordnung.

Hans Holzhaider

Am frühen Abend des 22.September 2008, es war ein Montag, erschlug der Rentner Wilfried R., 65, in einer Kleingartenanlage in der niedersächsischen Kreisstadt Gifhorn drei Menschen: die Eheleute Hans und Gisela Kaczmarek, 64 und 59 Jahre alt, und deren 33-jährigen Sohn Martin.

"Das war's dann. Ein Abwasch": Bei der Schilderung der Tat zeigt der Angeklagte (vorne) keinerlei Gefühle. Am Donnerstag fällt das Urteil. (Foto: Foto: dpa)

Als Tatwaffe benutzte er nach seinen eigenen Angaben einen etwa 80 Zentimeter langen und fünf Zentimeter dicken Knüppel aus Eichenholz. Die Schläge müssen mit äußerster Wucht geführt worden sein; die Schädel der Opfer waren weitgehend zertrümmert.

Nach der Tat, berichtete Wilfried R. dem Psychiater Udo Loll, habe er den Stock in die Aller geworfen. Dann sei er nach Hause gegangen. Auf die Frage des Psychiaters, was ihm auf dem Heimweg durch den Kopf gegangen sei, antwortete R.: "Nichts."

Zu seiner Ehefrau habe er gesagt, es habe eine Auseinandersetzung mit den Kaczmareks gegeben, er habe gehauen und die seien umgefallen, aber die stünden gleich wieder auf. Er habe sich dann vor den Fernseher gesetzt - was er gesehen habe, wisse er nicht mehr - und sei dann gegen 21 Uhr, "wie sonst auch", zu Bett gegangen. Auf die Frage, wie er geschlafen habe, antwortete er: "Warum sollte ich nicht schlafen können?"

"In der gutachterlichen Exploration", fasste der Psychiater zusammen, "zeigt sich ein sehr gefasster Bericht über die Tat, ohne emotionale Bewegung, auch ohne erkennbares Betroffensein, Reue oder Bedauern."

Insgesamt 15 Stunden sprach der Psychiater mit Wilfried R.; als man auf die unmittelbare Tatausführung zu sprechen kam, habe der Angeklagte eine auffällig andere Körperhaltung eingenommen - lässig, einen Arm um die Lehne des benachbarten Stuhls gelegt, die andere Hand in der Hosentasche. "Die Haltung drückte eher Befriedigung und Genugtuung aus", schreibt der Psychiater.

Wilfried R. ist ein kräftig gebauter Mann mit kantigem Gesicht und kurz geschnittenen, grauen Haaren. Vor dem Landgericht in Hildesheim, wo er des dreifachen Mordes angeklagt ist, wird er von zwei Verteidigern vertreten. Den einen, seinen Pflichtverteidiger, würdigt er weder eines Blickes noch eines Wortes, mit dem hat er sich überworfen.

Der andere ist sehr jung und hat einen schweren Stand gegen den Vorsitzenden Richter Ulrich Pohl, der aus seiner Sicht unbotmäßige Fragen oder Anträge eines jungen Anwalts überaus schroff und unwirsch abfertigt.

Man muss also feststellen, dass es um die Verteidigung des Angeklagten R. nicht gut bestellt ist. Möglicherweise legt dieser Angeklagte aber auch gar keinen gesteigerten Wert darauf, verteidigt zu werden. Oft verschränkt er die Arme vor der Brust und reckt das Kinn herausfordernd nach oben. Er erweckt den Eindruck eines Menschen, der sich keines unrechten Tuns bewusst ist.

Wilfried R. ist ein alteingesessener Gifhorner. Sein Großvater und sein Vater lebten schon hier, und das 7000 Quadratmeter große Gartengrundstück der Reineckes ist seit mehr als hundert Jahren im Familienbesitz. In Gifhorn gibt es vier Kleingärtnervereine. "Ein Stück Heimat", heißt der eine, "Klein, aber mein" ein anderer.

Am östlichen Stadtrand, am Dannenbütteler Weg, liegt das Gelände des Vereins "Vor der Steinriede", 56 Parzellen, sehr gepflegt, schon viermal haben die Steinrieder den Preis für die schönste Kleingartenanlage im Landkreis gewonnen.

Das Grundstück von R. grenzt unmittelbar an das Vereinsgelände der Steinrieder an, käme aber für einen Schönheitspreis eher nicht in Frage. Ursprünglich hatte Wilfried R. sein Grundstück in neun Parzellen unterteilt, die alle verpachtet waren, heute gibt es nur noch eine Pächterin.

Alles ist geregelt

"Die anderen haben das aus Alters-, Todes- oder Gesundheitsgründen aufgegeben", sagt Reinecke. Bis zum Januar 2005 zählte auch die Familie Kaczmarek zu R.s Pächtern. Die kündigten allerdings nicht aus Alters-, Todes- oder Gesundheitsgründen, sondern weil ihre Laube abgebrannt war, mitsamt einigen Dutzend Kaninchen.

Die Kaczmareks waren damals überzeugt, dass R. ihre Hütte angesteckt hatte. Sie bewirtschafteten von da an einen Garten auf dem Grundstück des Nachbarn Karl Heinrich N., direkt gegenüber auf der anderen Seite des grasbewachsenen Zufahrtswegs.

Zu diesem Zeitpunkt war das Verhältnis zwischen Wilfried R. und der Mehrheit seiner Pächter schon zerrüttet. R. hatte die ganze Anlage eigentlich schon längst seinen beiden Kindern übertragen, aber er fühlte sich persönlich ganz entschieden zuständig für die Einhaltung von Ruhe, Sauberkeit und allen gesetzlichen Vorschriften, von den Kleingartengesetzen des Bundes und des Landes Niedersachsen bis zur Straßenverkehrsordnung.

Man glaubt ja gar nicht, was da alles geregelt ist: die maximale Größe des Gartens (400 Quadratmeter) und der darin errichteten Laube (24 Quadratmeter), die Höhe der Bäume (vier Meter), die Tierhaltung und sogar die Aufteilung in Nutz- und Ziergartenfläche.

Eine Frage des Prinzips

Die Kaczmareks und andere, klagt Wilfried R., hätten sich da äußerst renitent gezeigt. Die Lauben zu groß, die Bäume zu hoch, zu viele Kaninchen. Und wenn er die Einhaltung der Vorschriften angemahnt habe, hätten sie ihm bedeutet, er solle abhauen, das gehe ihn überhaupt nichts an.

Am schlimmsten aber war die Sache mit dem Zufahrtsweg. Die Grundstücke von Wilfried Reinecke und des Nachbarn N. werden von einem knapp vier Meter breiten, grasbewachsenen Weg erschlossen. Auf diesem Weg nun pflegten die Kaczmareks und andere ihre Autos abzustellen, und das trieb Wilfried R. zur Weißglut.

Eigentlich störten die Autos nicht, es gab auch mehrere in die Gärten hinein angelegte Parkbuchten, aber für R. war das eine Frage des Prinzips. Autos gehörten da nicht hin. Er hat es denen wieder und wieder gesagt, aber es nützte nichts. Also hat er eine Schranke angebracht, und die Pächter mussten für 15 Euro einen Schlüssel kaufen. Der junge Kaczmarek, sagt R., sei aber immer über die Schranke geklettert. Neunmal habe er sie reparieren müssen, dann habe er sie wieder abgebaut und stattdessen einen massiven Poller in die Mitte der Einfahrt gesetzt.

Nun mussten die Pächter also ihre Autos auf dem Dannenbütteler Weg parken, aber auch dort waren sie vor Reineckes Überwachungswut nicht sicher. "Wenn einer auch nur mit dem halben Reifen auf dem Fahrradweg stand, hat er ihn angezeigt", schnaubt der Zeuge Dietmar S., der auf dem Grundstück des Nachbarn N. einen Garten gepachtet hatte. Für Wilfried R. war das eine Frage der Gerechtigkeit. Er hatte selbst einmal von einem zufällig vorbeifahrenden Streifenwagen einen Strafzettel kassiert und konnte es jetzt nicht ertragen, dass andere Falschparker straflos davonkommen sollten.

"Sonst schlag ich euch auch tot"

Der Zufahrtsweg barg aber noch mehr Konfliktstoff. Die Grundstücksgrenze verlief nach R. Überzeugung genau in der Mitte des Wegs. Man konnte das nicht beweisen, ein Grenzstein war nicht auffindbar, aber so hatte es R. von seinem Großvater gehört, und er war entschlossen, dieser Grenze Respekt zu verschaffen.

Dietmar S. wollte sich daran einfach nicht halten, wenn er das Gras auf dem Weg mähte. "Der durfte nur auf seiner Hälfte mähen, auf meiner Hälfte mähe ich selber, das lasse ich mir nicht nehmen", sagt R., "aus Prinzip". "Finde ich ja ziemlich bescheuert", sagt der Vorsitzende Richter. "Das ist Ihre Sache", antwortet der Angeklagte.

Dietmar S. gibt als Zeuge einen Eindruck, wie so eine Szene ablief: "Einmal hab ich da gemäht, kommt er angerannt, so 'ne Birne" - S. zeigt mit beiden Händen den Umfang eines Medizinballs - "und droht: 'Wenn du auf mein Grundstück kommst, schlag' ich dich tot. Dann kommen die Kaczmareks dazu, sagt er zu denen: 'Haltet euch raus, sonst schlag ich euch auch tot'"

"Ziemlich pingelig"

Um dem unbefugten Mähen Einhalt zu gebieten, bestreute R. seine Hälfte des Weges mit Reisig, aber das führte zu weiteren Unzuträglichkeiten. Die Nachbarn fegten das Reisig zur Seite, R. streute es wieder aus, mal wurde es auch über R. Zaun und von ihm wieder zurückgeworfen - ein ewiges Ärgernis. Einmal, kurz vor dem blutigen Finale des Kleingärtnerkriegs, hatte sich Martin Kaczmarek im Gebüsch versteckt, um Reinecke zu fotografieren, wie er mal wieder Reisig verstreute. R. hatte das mitgekriegt und den jungen Mann zur Rede gestellt. Kaczmarek nahm das mit seinem Handy auf und spielte es seinen Brüdern vor: "Wer sich mit mir anlegt", ist R. zu hören, "der legt sich mit dem Teufel an, und wer sich mit dem Teufel anlegt, der muss durch die Hölle gehen."

Bleibt die Frage, wie der Streit um die Einhaltung ziemlich läppischer Regeln so zur Obsession für einen Mann werden kann, dass er kurzerhand drei Menschen mit dem Knüppel totschlägt.

Mit dieser Frage bleibt das Gericht allein, das Gutachten des Psychiaters Udo Loll gibt keine Antwort darauf. Die Biographie mag eine Rolle spielen - Reinecke beschreibt seinen Vater, einen Stalingrad-Veteranen, als extrem unberechenbar und gewalttätig, die Mutter habe sich deshalb das Leben genommen.

Seine Ehe hingegen sei durchaus zufriedenstellend gewesen, bis er 2004 durch eine Prostataoperation impotent wurde - das hat ihn sehr verbittert. Er war 42 Jahre lang bei VW, als einfacher Arbeiter, aber anerkannt von Kollegen und Vorgesetzten. Er sieht sich als keineswegs streitsüchtig - ihm sei es immer nur um "Sauberkeit, Gerechtigkeit und Ordnung" gegangen. Recht und Ordnung, insbesondere. Da sei er "ziemlich pingelig".

"Ich bin kein Mörder und Totschläger"

Am Abend des 22. September 2008 hatte Wilfried R. "so ein mulmiges Gefühl", das ihn noch einmal in die Gartenanlage trieb. Vorsichtshalber habe er den Knüppel mitgenommen, im Hosenbein versteckt. Am Tag zuvor, am Sonntag, hatte der Pächter Dietmar S. vor seinem Gartentor einen großen Haufen Reisig vorgefunden, den hatte er auf eine Schubkarre geladen und vor Reineckes Gartentor abgeladen, "damit der auch mal sieht, wie das ist, wenn man so gepiesackt wird".

R. aber hatte wieder einmal die Kaczmareks als Missetäter im Verdacht, und siehe da, bei seinem abendlichen Kontrollgang hörte er Stimmen, und dann habe er die Kaczmareks beim Reisigwerfen beobachtet. Endlich auf frischer Tat ertappt! Er sei auf sie zugegangen und habe sie angesprochen, ganz ruhig.

Dann sei Martin Kaczmarek mit beiden Fäusten auf ihn losgegangen, da habe er zugeschlagen. Dann hätten ihn auch die Eltern angegriffen, natürlich musste er sich zur Wehr setzen. "Ich habe zugeschlagen, bis sie zu Boden gegangen sind. Das ging ziemlich schnell", sagt R. im Gericht. Der Psychiater erinnert sich an die Formulierung: "Das war's dann. Ein Abwasch."

Staatsanwalt Wolfgang Scholz glaubt kein Wort von der angeblichen Notwehrsituation. "Ein untauglicher Versuch, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen", sagt er. Hass, unbändige Wut und menschenverachtender Vernichtungswille seien R.s Triebfedern gewesen. Er fordert lebenslange Haft und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. R. sagt im Schlusswort: "Ich bin kein Mörder und Totschläger. Eines Tages stehe ich vor dem Richterstuhl des Ewigen, und ich weiß, er spricht mich frei."

Am Donnerstag will das Landgericht Hildesheim sein Urteil verkünden.

© SZ vom 06.05.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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