Kirche:Die Kirche muss mit dem rechten Zeitgeist streiten

Neue katholische Propsteikirche Leipzig

Die neue katholische Propsteikirche in Leipzig: Zeitgeist im Antlitz, doch in der Auseinandersetzung mit der AfD gibt sie sich verschlossen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Das Programm des Katholikentags in Leipzig sieht keine Auseinandersetzung mit der AfD vor. Das ist viel zu verzagt für den katholischen Bürgergeist.

Kommentar von Matthias Drobinski

Man kann es den Machern des Katholikentages nicht verdenken, dass sie keinen AfD-Vertreter aufs Podium beim großen Treffen in Leipzig geladen haben: Oben auf der Bühne provoziert Frauke Petry, unten prügelt sich der Saaldienst mit der autonomen Antifa, das mag kein Veranstalter. Man kann dieses Nein verstehen, wenn man weiß, dass der Katholikentag sich auch als Manifestation des katholischen Bürgergeists versteht, und sieht, dass die AfD nicht dieses Bürgergeistes Kind ist.

Gestrige und dumpfe Frustrierte?

Trotzdem bleibt das Unbehagen angesichts eines Programms, in dem es zwar um Flüchtlinge, den Islam und um den Rechtspopulismus geht - in dem aber die Stärkung der Angereisten im Vordergrund steht, die Selbstvergewisserung und weniger die Konfrontation mit der Gegenseite und Gegenposition. Es steht etwas im Raum, dunkel und groß, und niemand traut sich so richtig, die Auseinandersetzung damit zu beginnen. In diesem Sinne ist der Katholikentag eine Zeitansage wider Willen.

Denn es hilft nicht, die Vertreter der AfD als gestrige und dumpfe Frustrierte abzutun. Sie sind, gerade in ihrer Aggressivität, modern und Teil einer modernen europäischen Reaktion auf die Globalisierung und ihre Folgen. Europas neue Rechte durchbricht etablierte Sprach- und Verhaltensregelungen, gerne durch schlechtes Benehmen, wie die doch so verhassten 68er. Sie zieht Themen nach oben, die über die AfD-Klientel hinaus und bis ins Katholikentagspublikum hinein die Leute verunsichern: Die Welt ist fremd geworden, Fremde mit einer fremden Religion sind gekommen. Die Europäer haben lange verdrängt, was ihre Lebensweise infrage stellen könnte; jetzt wird das Verdrängte offenbar, das Unheimliche dringt ein ins gesicherte Leben.

Die Kirche muss den Streit mit dem rechten Zeitgeist aufnehmen

Darauf braucht es Antworten. Europas Rechtspopulisten haben eine: Schließt die Grenzen, sorgt für euch und eure Kinder, sichert das Eigene, schließt die Fremden und alle Fremdheiten aus, setzt eure Interessen durch. Der neue identitäre Gruppenegoismus tritt offensiv auf; er hat, obwohl politisch meist Minderheit, die Mehrheit argumentativ in die Defensive gedrängt. Inzwischen muss sich rechtfertigen, wer sagt, Europa habe eine Zukunft, wenn es irgendwie zusammenhält, mit den Armen teilt und Flüchtlingen hilft, das mühsame Geschäft der unvollkommenen Weltverbesserung betreibt. Diese Haltung ist auch in den christlichen Kirchen nicht mehr selbstverständlich, wie der zunehmende Nationalkatholizismus in Polen zeigt.

Umso wichtiger wird es für das liberale und aufgeklärte europäische Christentum, die eigenen Argumente und Antworten zu schärfen und zu prüfen, gerade in der fairen, aber harten Auseinandersetzung. Den Christen sollte dabei nicht bange sein: Sie können der historisch regelmäßig gescheiterten Identitätssuche durch Abgrenzung ihre eigene Identität der Offenheit und Nächstenliebe entgegensetzen, die ja überhaupt nicht Beliebigkeit bedeutet oder naive Grenzenlosigkeit. Das säkulare Leipzig wäre jedenfalls ein guter Ort, die eigene Stärke zu testen.

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