Jerusalem:Schalom Disneyland

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Streng religiöse Juden stehen auf dem alten jüdischen Friedhof auf dem Ölberg in Jerusalem und schauen über die Altstadt. (Foto: Abir Sultan/dpa)

Eine Seilbahn soll den Tourismus in der Region ankurbeln, die bis zu 3000 Passagiere pro Stunde befördern kann. Das geplante Projekt ist dennoch umstritten - und seine Gegner haben mehrere Gründe.

Von Moritz Baumstieger, München

Der Soundtrack des Triumphes ist gerade wieder überall in Israel zu hören: Am 7. Juni vor fünfzig Jahren eroberten Fallschirmjäger den Ostteil Jerusalems von Jordanien - und damit auch die Klagemauer. Und als hätte sie seherische Fähigkeiten, stellte die Sängerin Shuly Nathan drei Wochen vor Beginn des Sechstagekriegs ein Lied vor: "Jerusalem aus Gold". Bald sang das ganze Land.

Ein halbes Jahrhundert später hat Israels Regierung Ende Mai ein Projekt auf den Weg gebracht, das die Liedzeile "Jerusalem aus Gold" ein Stück wahrer werden lassen soll: Um den Tourismus anzukurbeln, soll eine Seilbahn quer durch die Stadt gebaut werden. Die Bahn werde "einfachen und komfortablen Zugang zur Klagemauer für Touristen und Besucher ermöglichen und eine außerordentliche Touristenattraktion sein", sagte Tourismusminister Jariv Levin - sie werde "das Gesicht Jerusalems verändern". Genau das befürchten die Kritiker auf beiden Seiten: Für mehr Einnahmen nehme die Regierung Schaden am historischen Erbe von Israelis und Palästinensern in Kauf, sagen sie.

Kritiker befürchten, die Seilbahn könnte ein Weg sein, sich die Al-Aksa-Moschee anzueignen

Die nun beschlossenen Pläne sehen vor, eine 1,4 Kilometer lange Trasse zu errichten, die vom Westen der Stadt bis an die Klagemauer führen soll. Ab dem Jahr 2021 sollen dann stündlich bis zu 3000 Passagiere der biblischen Geschichte entgegenschweben und ihre Fahrt an vier Stationen unterbrechen können. 200 Millionen Schekel soll das kosten, 50 Millionen Euro.

Wer einmal bei Gluthitze die Hügel zwischen den Jerusalemer Sehenswürdigkeit hinauf- und hinabgestiegen ist, kann fast die Leiden Christi nachvollziehen. Schmerzende Füße, ein Sonnenstich und eine trockene Kehle sind neben dem als Jerusalem-Syndrom bekannten religiösen Visionen die wohl häufigsten Symptome, an denen Touristen leiden. Der Reiz einer Seilbahn erschließt sich also durchaus. Im israelischen Westen der Stadt aber bezweifeln viele Bürger, dass Dauer und Kosten im Rahmen bleiben werden. Sie erinnern sich an die Geschichte der einzigen Straßenbahn Jerusalems, die 2011 mit über zehnjähriger Verspätung erst losrollte.

Angst vor einer "Disneylandisierung" des kulturellen Erbes haben auch einige im arabischen Osten. Vor allem befürchten sie, dass der Bau der Seilbahn wieder eine verdeckte Landnahme mit sich bringt, dass Häuser von Palästinensern abgerissen und Grundstücke enteignet werden.

Manche vermuten hinter dem Projekt noch ein anderes Motiv: "Schritt für Schritt findet Israel Wege, sich die Al-Aksa-Moschee anzueignen", sagte Khalil Tufakji dem Sender al-Dschasira, ein palästinensischer Geograf, der die Bauten israelischer Siedler kartografiert. Al-Aksa ist die drittheiligste Stätte des Islam, sie befindet sich über der Klagemauer auf dem Tempelberg, dem sensibelsten Ort im ohnehin komplizierten Nahostkonflikt. Beweisen lässt sich das nicht, Tufakji könnte aber Shuly Nathan als Kronzeugin benennen, die Sängerin mit den seherischen Fähigkeiten: "Vom Tempelberg ertönt über die Stadt/ laut das Schofar", sang die 1967 in ihrem Hit in "Jerusalem aus Gold" - das Schofar ist ein Blasinstrument aus Tierhorn, das in jüdischen Gottesdiensten zum Einsatz kommt.

© SZ vom 09.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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