Italien:Mamma mia

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Ausgerechnet die kinderlieben Italiener kriegen immer weniger Nachwuchs. Nun erhitzt eine Fruchtbarkeitskampagne die Gemüter.

Von Oliver Meiler, Rom

Manchmal ist das gut Gemeinte nicht ganz so gut gedacht. In Italien sorgt seit ein paar Tagen eine Informationskampagne des Gesundheitsministeriums für viel Kritik, weil sie zwei Themen miteinander vermischt, die sich gerade in Italien nicht so ohne Weiteres mischen lassen. Die Ministerin spricht von einem Missverständnis in den Medien. Doch selbst ihr Regierungschef soll verwundert sein.

Vordergründig handelt die Kampagne von den Risiken für die Fruchtbarkeit des Menschen, ganz allgemein. Auf einem der Plakate sieht man eine Frau, die dem Betrachter eine Sanduhr entgegenstreckt, dazu der Slogan: "Die Schönheit kennt kein Alter. Die Fruchtbarkeit schon." Dieselbe Botschaft transportiert wohl das Bild eines Storchs in seinem Nest: "Gib Dir einen Ruck! Warte nicht auf den Storch." Ein anderes Plakat spricht den Mann an, man sieht darauf nur eine Hand mit einer Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger: "Lass deine Spermatozoen nicht in Rauch aufgehen." Und damit auch alle verstehen, ist die Zigarette gekrümmt.

Eigentlich hätte die Kampagne erst kurz vor dem 22. September veröffentlicht werden sollen. Dann begeht Italien nämlich seinen ersten "Fertility Day", den Tag der Fruchtbarkeit - mit Informationsständen überall im Land, an denen Ärzte die Gefahren erklären. Jemand hat die Plakate aber vorab publiziert und die sozialen Netzwerke damit befeuert. Da liest man, der Staat versuche in Wahrheit die Bürger zum Kinderkriegen zu animieren, nun, da die Geburtenrate auf den tiefsten Wert seit der Einigung Italiens vor bald 150 Jahren gesunken sei und die italienische Gesellschaft bedrohlich altere: Mit einer Quote von 1,32 Kindern je Frau steht Italien, das mal zum Kinderreichtum neigte, im Klassement westlicher Länder mittlerweile ganz am Schluss. Manche Kommentatoren im Netz fühlen sich unter dem Eindruck der Kampagne gar an Zeiten erinnert, da ein Diktator mit mächtiger Kinnlade den Italienerinnen auftrug, als Dienst am Vaterland die Reproduktion am Laufen zu halten.

Schärfer jedoch ist die Polemik derer, die diese Kampagne für eine Verhöhnung halten. Der Publizist Roberto Saviano zum Beispiel, Autor des Weltbestsellers "Gomorrha", schreibt seinen 2,4 Millionen Freunden auf Facebook und seinen 1,3 Millionen Followern auf Twitter: "Der ,Tag der Fruchtbarkeit' ist eine Beleidigung für alle - für die, die keine Kinder haben können, und auch für jene, die gerne Kinder hätten, aber keine Arbeit haben." Tatsächlich zeigen Umfragen, dass Italiener zwischen 20 und 30 Jahren genauso davon träumen, eine Familie zu gründen, wie das Franzosen, Amerikaner oder Schweden tun. Doch viele von ihnen können es sich nicht leisten, weil sie entweder arbeitslos sind oder zu wenig verdienen. Ohne wirtschaftliche Perspektiven und ohne gesellschaftliche Autonomie ist das Denken der Zukunft nun mal eher kompliziert.

Die Zeitung La Repubblica schreibt in einem Kommentar, es sei zwar wahr, dass mit steigendem Alter die Aussicht schwinde, schwanger zu werden. Dem Land mangle es aber an einer ernsthaften Familienpolitik mit substanziellen Anreizen für junge Eltern. Der Gesundheitsministerin, die nun mitteilte, noch einmal über die Kampagne nachzudenken, muss die Kritik auch aus persönlichen Gründen ungerecht vorkommen. Beatrice Lorenzin ist vor einem Jahr selbst Mutter von Zwillingen geworden, mit 43. "Ich habe diese Schwangerschaft um alles in der Welt gewollt", sagte sie damals, "sie kam im allerletzten Moment. Ich hatte schon fast resigniert." Von wegen Sanduhr.

© SZ vom 06.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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