Irak:Deutsche Airlines fliegen weiter in den Irak - trotz offizieller Warnungen

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Klare Botschaft für ein offenbar gefährliches Ziel: "Es wird empfohlen, bis auf weiteres von An- und Abflügen auf den Flughafen Erbil abzusehen." (Foto: Safin Hamed/AFP/Getty)
  • Deutsche Behörden warnen Piloten und Airlines davor, den Flughafen Erbil im Irak anzufliegen.
  • Dennoch bieten einige deutsche Fluggesellschaften weiterhin Reisen dorthin an.

Von Uwe Ritzer, München

Am Abend des 23. März 2017 beginnt eine militärische Transportmaschine, Lockheed C-130, um 20.15 Uhr mit dem Landeanflug auf den Internationalen Flughafen im nordirakischen Erbil, als sie plötzlich unter Beschuss gerät. Nur die Warn- und Abwehrsysteme des Flugzeugs und ein Ausweichmanöver des Piloten verhindern, dass die Maschine getroffen wird. Zumindest notierten die Experten der Verbindungsstelle des Luftfahrt-Bundesamtes beim Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amtes in Berlin: "Es fand eine Explosion in etwa zwanzig Metern vom Luftfahrzeug entfernt statt."

Sie erließen daraufhin das Bulletin "Information Sharing Document: Iraq 07/17", das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Darin eine klare Botschaft an alle Piloten und Fluggesellschaften: "Es wird empfohlen, bis auf weiteres von An- und Abflügen auf den Flughafen Erbil abzusehen." Um dies zu bekräftigen, wird explizit auf eine bereits länger geltende "Notice to Airmen" verwiesen, eine sogenannte Notam, die jeder Pilot vor Antritt eines Fluges lesen muss. Auch darin rät die Bundesrepublik deutschen Fluggesellschaften von Flügen in das irakische Gebiet ab.

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Doch all diese Warnungen sind offensichtlich verhallt: Sowohl die Lufthansa als auch Germania steuern weiterhin Erbil an. Ebenso Iraqi Airways. Mehrmals wöchentlich fliegen Linienmaschinen zwischen Frankfurt am Main, Düsseldorf, München und dem Nordirak direkt hin und her. Lediglich die österreichische Lufthansa-Tochter Austrian Airlines setzte ihre tägliche Linienverbindung von und nach Wien einmal aus. Passagiere wurden und werden über die amtlichen Warnungen nicht informiert.

Offenbar handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Airlines steuern Krisengebiete entgegen staatlichen Warnungen häufiger an, als dies der breiten Öffentlichkeit bewusst ist. Sie entscheiden am Ende selbst, ob sie fliegen oder nicht. "Wir nehmen in solchen Fällen durch unsere eigenen Spezialisten und in Abstimmung mit sämtlichen relevanten Behörden eine Risikobewertung vor", sagt ein Lufthansa-Sprecher. "Aufgrund dieser Erkenntnisse fliegen wir weiter von und nach Erbil."

Lufthansa und Germania bezweifeln sogar, dass es den Beschuss Ende März tatsächlich gegeben hat. "Wir haben den vermeintlichen Vorfall vor Ort überprüft und dabei direkt mit der US-Luftwaffe und Kurden gesprochen", sagt der Sprecher. "Hinweise auf einen vermeintlichen Beschuss haben sich dabei nicht bestätigt." Eine Sprecherin von Germania formuliert es ähnlich: "Es kam nach dem Ergebnis unserer Risikoanalyse zu keiner Zeit zu einer relevanten Änderung der Sicherheitslage im Bereich Erbil."

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Niemals würden sie Leib und Leben von Passagieren und Besatzungen riskieren, versichern Lufthansa und Germania. Zur Frage, woher sie ihre Erkenntnisse in Sachen Erbil nehmen und wie ihr Risikomanagement im Detail aussehe, schweigen beide Airlines. Alles streng vertraulich, heißt es. Nur so viel verrät Air Germania: Man werte alle zugänglichen Informationen sorgfältig aus, auch solche aus nachrichtendienstlichen Quellen.

Nun darf man annehmen, dass staatliche Stellen dies ebenfalls tun, ehe sie Flugwarnungen veröffentlichen. Das Bulletin in Sachen Erbil aus dem Krisenreaktionszentrum gilt nach wie vor, die erwähnte Notam wurde inzwischen bis Mitte Juni verlängert. Die Bundesregierung hält sich auf Nachfrage zurück; das Auswärtige Amt erklärt sich für nicht zuständig; aus dem Verkehrsministerium heißt es, alle Airlines müssten bei Flugwarnungen die Risiken selbst bewerten und am Ende wie auch die Piloten selbst entscheiden.

Skeptisch äußert sich dagegen Markus Wahl von der Pilotenvereinigung Cockpit über die Vorgänge um die Erbil-Flüge: Die Botschaft des Bulletins und der Notams in Sachen Erbil seien für sich genommen eindeutig: "Da fliegt man besser nicht hin." Sollten die Airlines aber aufgrund eigener Risiko-Untersuchungen zu anderen Bewertungen kommen, stelle sich die Frage, ob das Risikomanagement staatlicherseits geprüft und anerkannt sei. Cockpit fordert schon länger ein besseres Informationssystem für Flüge in Krisengebiete. "Grundsätzlich besteht auch immer die Gefahr, dass aus wirtschaftlichen Gründen Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden", sagt Wahl.

Die Erbil-Verbindungen scheinen jedenfalls gefragt und lukrativ zu sein. Keine Touristen, wohl aber viele Mitarbeiter zahlreicher Organisationen sowie Geschäftsleute würden die Verbindungen nutzen. "Die Flieger sind sehr gut ausgelastet", sagt ein Insider.

© SZ vom 29.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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