Eskalierte Flashmobs:Gewaltig beeinflusst

Polizisten auf Streife

Polizisten können nicht beobachten, "welcher Influencer seine Fans wo hin bestellt".

(Foto: Matthias Balk/dpa)
  • Nach Aufrufen in sozialen Medien kam es auf dem Berliner Alexanderplatz und auf der Frankfurter Zeil zu Massenansammlungen von Jugendlichen.
  • In Berlin entwickelte sich eine Massenschlägerei, in Frankfurt sollen Beamte mit Steinen beworfen worden sein, ein 17-Jähriger soll einen Polizisten geschlagen haben.
  • Für die Polizei werfen die beiden Vorfälle eine neue Frage auf: Wie soll sie umgehen, mit Influencern, die ihre Follower auf die Straße rufen?

Von Max Sprick

Mitten in Berlin, am Alexanderplatz, verabreden sich etwa 400 Jugendliche zur Massenschlägerei. Mitten in Frankfurt, auf der Einkaufstraße Zeil, eskaliert das Treffen von etwa 600 Jugendlichen, die von einer Hundertschaft Polizisten getrennt werden müssen. Zwei Vorfälle, die zwar nicht zusammenhängen, aber ein Problem verdeutlichen, mit dem Polizisten immer häufiger konfrontiert werden: Wenn sogenannte Influencer ihre virtuellen Fans an einen Ort bestellen, wo dann digitale Zustimmung zu realer Gewalt wird. In Berlin gingen Teile der Jugendlichen mit Fäusten und Pfefferspray aufeinander los, in Frankfurt sollen sie Steine auf Beamte geworfen haben.

"Es hätte viel schlimmer ausgehen können", sagt Benjamin Jendro, Sprecher der Polizeigewerkschaft Berlin. "Jetzt reden wir nur von schlimmen Bildern und nicht von reihenweise Schwerverletzten." Die Jugendlichen hätten Waffen mit sich geführt. Und diese zu kontrollieren und zu beschlagnahmen, sei die einzige Option, die der Polizei in einer solchen Lage bliebe. "Das Demonstrationsrecht ist ein Grundrecht", sagt Jendro. "Solche Aufrufe und Treffen kann man nicht verbieten, auch wenn sie nicht angemeldet sind." Treffen dieser Art gebe es oft, sagt Andreas Grün, Hessen-Chef der weltweit größten Polizeigewerkschaft. "Normalerweise bleiben sie aber ohne polizeiliche Relevanz."

Rohes Ei auf den Kopf

Dass sich dies nun zwei Mal geändert hat, liegt auch an der Vorgeschichte der beiden Vorfälle. In Berlin sollen zwei verfeindete Musiker in sozialen Medien zur Gewalt aufgerufen haben. In Frankfurt waren es Internet-Comedians. Kaan Yavuzyasar, 21, hat auf Youtube mehr als 300 000 Abonnenten, auf Instagram 120 000. Vergangene Woche veröffentlichte er ein Video, in dem er den Frankfurter Comedian Mohamed Satiane ("Momonews", 1,3 Millionen Facebook-Abonennten) zum Kampf "Eins gegen Eins" herausfordert. Ein Freund Satianes soll Yavuzyasar zuvor ein rohes Ei auf den Kopf gehauen haben. Am Samstag kündigte Yavuzyasar, eigentlich aus Nordrhein-Westfalen, ein "Fantreffen" in Frankfurt an.

"Man hat bei solchen Massenveranstaltungen immer auch Menschen dabei, die über das Ziel hinaus schießen", sagt Polizeigewerkschafter Grün. Er sehe keine Patentlösung, um das künftig zu verhindern. "Wir sind natürlich in den sozialen Medien vertreten, aber speziell beobachten, welcher Influencer seine Fans wo hinbestellt, können wir nicht." Grüns Berliner Kollege Jendro stimmt ihm zu: "Das scheitert am Personal, wir haben nicht genügend Cybercops." Zumal diese andere Delikte wie Kindesmissbrauch bearbeiten müssten. Am Alexanderplatz habe die Polizei Glück gehabt, dass sich die Jugendlichen an einem so zentralen Ort verabredet hatten. "Hätten sie sich in einem Hinterhof prügeln wollen, hätten wir das kaum mitbekommen", sagt Jendro. Dass sie genau das nicht taten, stuft er aber auch als kalkuliertes Risiko ein: "Die Klickzahlen der Verantwortlichen werden sicher steigen."

Versammlungsaufrufe, die potenziell eskalieren, aber nicht verboten werden können. Alles nur, um Aufmerksamkeit zu generieren. Mögliche Straftaten und Verletzungen für mehr Likes, für mehr Abonnenten. Ein Phänomen, das nicht nur für die Polizei neu ist. Diese sei darauf angewiesen, dass sie Hinweise aus der Bevölkerung bekommt, sagt Jendro. Wie in Berlin-Köpenick am Wochenende, wo die Beamten nach einem ähnlichen Internet-Aufruf einen anonymen Hinweis bekamen. Die Polizei war vorbereitet und konnte gegen die Eskalation vorgehen.

Kaan Yavuzyasar sichtlich amüsiert

Kaan Yavuzyasar übrigens nutzt den Vorfall in Frankfurt für seine Publicity, natürlich. Er hat am Tag danach gleich ein Video veröffentlicht, in dem er auf den eskalierten Fantreff reagiert. Mehr als 240 000 Mal wurde es innerhalb von 24 Stunden angeklickt. Kaum habe er die Zeil betreten, sei da auch schon eine Hundertschaft Polizisten gewesen, sagt er. Miteinander reden, chillen, Fotos machen, das habe er gewollt, nicht zu Gewalt aufrufen. Satiane sei ja nicht gekommen. Alles sichtlich amüsiert, mehrmals unterbricht er sich vor Lachen. Er selbst könne nichts dafür, dass passierte, was passierte. Dass ein 17-Jähriger einen Polizisten geschlagen haben soll. Dass etwa 600 Jugendliche ohne Rücksicht auf Passanten in die Zeil drängten. Man schaut dem Comedian zu und fragt sich, wie ironisch oder ernst er all das meinen kann. Bis er nach neun Minuten etwas Erstaunliches sagt: "Likes im Internet sagen nichts aus." Und: "So viele Menschen kommen nur wegen mir und machen so einen Aufstand. Das ist richtig krass." Diesem letzten Satz lässt sich uneingeschränkt zustimmen.

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