Hochwasser an der Elbe:Warten auf die Schlammschlacht

Hochwasser in Sachsen-Anhalt - Pretzsch

Eingeschlossen vom Hochwasser der Elbe: Ein Gebäude am Fährhafen von Pretzsch in Sachsen-Anhalt.

(Foto: dpa)

Elf Jahre nach der Jahrhundertflut gehen viele Menschen entlang der Elbe erstaunlich gelassen mit der Hochwasserkatastrophe um. Doch die Betroffenen wissen: Der wahre Kampf um Geld und Wiederaufbauhilfen beginnt erst, wenn die Brühe wieder abgeflossen ist. Eine Momentaufnahme vor Ort.

Von Cornelius Pollmer, Dresden

In Cossebaude im Nordwesten Dresdens gibt es ein schönes Stauseebad, und wäre dieser Sommer hier ein gescheiter, man hätte seine Zehnerkarte bis Anfang Juni schon ein paar Mal gezückt. Aber der Sommer 2013 in Sachsen ist bislang eine urgewaltige Enttäuschung, das merkt man am Mittwoch zum Beispiel auf den Zufahrtswegen zum Stausee.

Auf der einen Seite der Meißner Straße erhöhen Bürger gerade den Wall aus Sandsäcken, der das Wasser der Elbe von den Winkelwiesen zurückzuhalten soll, einem recht großen Wohngebiet. Der Gehsteig auf der anderen Straßenseite ist mit Hilfe für die Helfer zugestellt: belegte Brötchen lagern dort, Gummitiere, und auch ein Sechserpack Cola-Mix der Marke "River", an dessen Farbe sich die Elbe hier tatsächlich zu orientieren scheint.

Noch ein paar Meter weiter steht ein kleiner Mann mit Hosenträgern, der durch eine ältlich-runde Brille etwas staunend auf das Treiben von Wasser und Helfern schaut. Der Mann heißt Arnold Vaatz, er ist in doppelter Funktion vor Ort - als Bürger und als Politiker. Der Politiker Vaatz gehört der CDU an, er ist seit elf Jahren stellvertretender Vorsitzender der Unions-Fraktion im Bundestag.

Der Bürger Vaatz musste vor elf Jahren das erste Mal sein Haus in Cossebaude räumen, zu dem die Elbe normalerweise einen Abstand von 300 Metern hält. Vaatz hat auch dieses Mal wieder seinen Keller ausgeräumt, aber er hat sich ein bisschen verschätzt. "Es sammelt sich über die Jahre eben doch mehr an, als man denkt", sagt er, und 2002 hatten seine Frau und er ja noch "drei voll arbeitsfähige Kinder" im Haus. So aber hat es 24 Stunden gedauert, bis der Keller frei war und damit auch der Weg zu befreundeten Nachbarn - einen Kilometer weiter, 20 Meter höher. Nun steht Vaatz also ein bisschen verloren auf dem Gehsteig, er fragt den großen Mann neben sich: "Wie kann ich denn jetzt noch ein bisschen helfen?". Antwort: "Nuja, gerade geht's eigentlich."

Der große Mann heißt Lutz Kusche, er ist Ortsvorsteher von Cossebaude, und er sagt erleichtert, man habe es hier mit einer "geordneten Katastrophe" zu tun. Die Katastrophe ist, dass die Elbe auch am Mittwoch noch steigt und den Höchststand von 2002 wohl nur knapp unterschreiten wird. Geordnet läuft diese Katastrophe in Sachsen ab, weil die Menschen erstaunlich gefasst auf die Wassermengen reagieren. Bei Facebook wurden zig Seiten erstellt, auf denen sich Leute zum Schippen von Sandsäcken verabreden oder zum Austausch von Wasserpumpen. Unter den Helfern glaubt Helma Orosz sogar eine "richtig gute Stimmung" ausgemacht zu haben.

Solidarität über die Katastrophenzeit hinaus

Die Dresdner CDU-Oberbürgermeisterin ist mit Sachsens Innenminister zu Lutz Kusche nach Cossebaude gekommen. Es ist einer dieser manchmal befremdlichen Termine, bei denen man ständig glaubt, irgendwie im Weg zu stehen. Orosz etwa kann gerade noch sagen, dass die Dresdner in diesen Tagen ein tolles Signal senden würden, "ein Zeichen, dass man nicht nur an sich selbst denkt" - dann wird sie von einem 5-Tonner MAN-gl von der Straße gehupt.

Dort übernimmt schließlich Markus Ulbig (CDU), der Innenminister, und geht in einem Dreisatz durch, worauf es jetzt und in den Tagen nach der Flut ankommen wird. Erstens: das Wasser der Elbe wird seinen Höchststand womöglich vier Tage lang halten, "wir werden die Solidarität also eine ganze Weile brauchen." Nämlich auch dann, wenn das Wasser wieder weg ist, denn "dann geht es ja erst richtig los mit dem Aufräumen". Wiederum danach müsse man, drittens, den Hochwasserschutz "in einem anderen Licht betrachten".

Es könnte ein Zwielicht sein. Noch unterlässt die Opposition im Freistaat Angriffe auf die Regierung. Wenn das Gröbste erstmal beseitigt sein wird, könnte sich das ändern. Dann dürfte der Vorwurf lauten, dass es nicht nur klagenden Anwohnern anzulasten sei, dass elf Jahre nach der großen Flutkatastrophe der Hochwasserschutz noch nicht so weit ist, wie er sein müsste.

Wer bekommt wieviel?

Markus Ulbig hat, womöglich auch deswegen, schon mal einen Gedanken formuliert, der bald politische Wirklichkeit werden könnte. Er denke an "eine gemeinsame Bundesratsinitiative von Bayern und Sachsen", um den Vorrang von Schutzmaßnahmen gegenüber Interessen Einzelner zukünftig zu gewährleisten. Da würde man jetzt gerne nachfragen, aber man lässt sich dann doch von einem sehr kräftigen Mann vom Gegenteil überzeugen, der gut hörbar einen mit Sandsäcken beladenen Kipplaster ankündigt: "Presse, runter von der Straße!"

Politisch geht es zunächst ohnehin um Soforthilfen. Am Dienstag schon hatte Sachsen ein 30 Millionen Euro schweres Handgeld-Programm angekündigt, am Mittwoch folgte Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU). Thüringen ist weniger stark vom Hochwasser betroffen als Sachsen, trotzdem gibt es 20 Millionen Euro Soforthilfe für Privatpersonen und Kleingewerbe. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) kündigte finanzielle Hilfen für kleine und mittelständische Unternehmen durch die staatliche Förderbank KfW an, Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) sicherte den Landwirten Unterstützung zu. Am Donnerstag nun werden die drei mitteldeutschen Ministerpräsidenten mit Angela Merkel sprechen, um die Verteilung der zugesagten Bundesmittel unter den betroffenen Ländern zu beraten.

Die Gewissheit ist auch, dass das Wasser irgendwann wieder kommt. Das hat Arnold Vaatz beim Abschied von Lutz Kusche gemeint, der erst seit einem Jahr Ortsvorsteher in Cossebaude ist. Vaatz wünschte ihm "viel Erfolg bei ihrem Debüt".

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