Gewalt gegen Frauen:Wenn männliche Allmachtsvorstellungen explodieren

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Protest gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen: Links auf dem Tahrir-Platz in Kairo (Archivbild aus dem Jahr 2012), rechts auf der Kölner Domplatte nach den Übergriffen vom Silvesterabend. (Foto: AFP/dpa)

Männer rotten sich zusammen und bedrängen Frauen: Für Deutschland ist das neu, für den Nahen Osten nicht. Solche Übergriffe sind Ausdruck einer tief sitzenden Aggressivität gegen Frauen.

Kommentar von Sonja Zekri

Hunderte Männer, die sich zusammenrotten, Frauen bedrängen, begrabschen, vergewaltigen - sexuelle Gewalt in dieser Dimension, so wie Frauen sie in der Silvesternacht in Köln erlebt haben, ist für Deutschland etwas grundsätzlich Neues. Für den Nahen Osten ist es das nicht, und nirgends weniger als in Ägypten. Über 99 Prozent der Frauen haben sexuelle Übergriffe erlebt, auf Volksfesten zu islamischen Feiertagen, vor Kinos und besonders auf dem Tahrir-Platz.

Ganz gleich, wofür oder wogegen sich die Massen auf Kairos zentralem Platz versammelten - für Frauen ist er längst lebensgefährlich. Männer, die Frauen abdrängen, umringen, ihnen die Kleidung vom Leib reißen, in sie eindringen, mit Fingern, Gegenständen, sogar Messern, ein wogender, johlender Mob, der seine Opfer nach einer Ewigkeit halb tot wieder freigibt - bei jeder großen Versammlung gibt es Dutzende solcher Fälle. Und die Videos dazu anschließend im Internet. Selbsthilfegruppen verteilten Notfallnummern und patrouillierten, um den bedrängten Frauen beizustehen. Viele vermuten politische Motive: Der Tahrir-Platz soll als Ort des Protestes diskreditiert werden. Viele Frauen meiden den Ort.

Andere Länder der Region sind weniger notorisch, was Übergriffe im öffentlichen Raum angeht. Aber von Marokko bis Bagdad wird die entsetzliche Gewalt gegen Frauen von größten rhetorischen Anstrengungen um Ehre und Tugend flankiert.

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Dem Mob entkommt niemand, nicht einmal Verschleierte

Was hat das mit Köln zu tun? Sehr viel. Hier wie dort sind die Übergriffe nicht nur ein bisschen besoffenes Fummeln, sondern Ausdruck einer tief sitzenden Aggressivität gegen Frauen, in der sexuelle Frustration und männliche Allmachtsvorstellungen explodieren. Hier wie dort gibt es gut gemeinte, aber skandalöse Ratschläge der Verantwortlichen.

Der Hinweis von Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker, Frauen sollten auf "eine Armlänge" Abstand achten, suggeriert ja nicht nur, dass es die Möglichkeit eines Abstands an einem solchen Abend überhaupt gibt. Vor allem aber legt sie nahe, dass Frauen es in der Hand haben, Situationen wie diese gar nicht erst entstehen zu lassen. Dass es die richtige Kleidung, die richtigen Straßen, die richtige Uhrzeit gibt - oder eben die falsche. Die Erfahrung zeigt: Dem Mob entkommt niemand, nicht einmal Verschleierte.

Nein, wir wissen nicht, ob die Täter von Köln Flüchtlinge waren oder seit vielen Jahren hier wohnen, wir wissen nicht, ob es ein entgleister Raubzug war, ob sich vielleicht sogar ein paar Deutsche unter die Horde gemischt haben. Sexuelle Gewaltfantasien sind kein Alleinstellungsmerkmal von Ausländern. Ganz sicher ist aber: Ein solcher Exzess ist beispiellos. Und er muss ein Einzelfall bleiben. Der Rechtsstaat hat einen Schutzauftrag - für Flüchtlinge und Deutsche, Männer und Frauen, und das sollte er so schnell und so hart wie möglich deutlich machen. Viel länger dürfte etwas anderes dauern: die Überwindung einer jahrhundertelangen frauenverachtenden Erziehung.

© SZ vom 07.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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