Forschungsschiff "Shokalskiy":Der Geist von Mawson

Die Passagiere der "Akademik Shokalskiy" stecken seit Tagen im Eis der Antarktis fest. Vor 100 Jahren hatte der Namensgeber der Expedition mit ganz anderen Problemen zu kämpfen: Er verlor seine Begleiter und ernährte sich nur von Hundefleisch. Und schaffte es dennoch zurück - wenn auch spät.

Von Birgit Lutz

Seit Weihnachten steckt das Expeditionsschiff Akademik Shokalskiy mit 74 Menschen an Bord in der Commonwealth Bay in der Antarktis fest. Der Wind, der große Mengen an Eis in die Bucht getrieben hat, hat sich nicht gedreht und somit keinen Weg ins offene Meer freigegeben. Und zwei zu Hilfe geeilten Eisbrechern ist es nicht gelungen, zu dem Schiff vorzudringen.

Um die Dramatik des nun acht Tage dauernden Einschlusses im Eis etwas besser einschätzen zu können, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit - wandelt die Expedition, die sich "The Spirit of Mawson" nennt, doch auf historischen Spuren. Sie hat nun die originelle Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, wie weit es mit dem Geist von Mawson in der Gruppe wirklich her ist. Denn Sir Douglas Mawson ist in den Jahren 1911 bis 1914 eine der größten Antarktis-Expeditionen der Geschichte gelungen; ihm nachzufolgen ist ein wahrlich großes Ziel.

Mawsons Unternehmung nahm einen äußerst dramatischen Verlauf: Anfang Dezember 1911 brach das Expeditionsschiff Aurora in Richtung Antarktis auf, wo es, von Stürmen gebeutelt, im Januar 1912 ankam. Der Plan: die Errichtung mehrerer Stationen - eine davon in der Commonwealth Bay -, das Sammeln etlicher wissenschaftlicher Daten über einen antarktischen Sommer und Winter hinweg, und schließlich die Rückkehr nach Australien im Februar 1913. Es sollte anders kommen.

Allein ohne Proviant und Ausrüstung

Nach der Überwinterung machte sich Mawson im November 1912 mit zwei Männern, Schlitten und Hunden auf, das Landesinnere zu erkunden. 500 Kilometer von der Station entfernt brach einer der Männer, Belgrave Ninnis, in eine Gletscherspalte und verschwand - mit ihm der Transportschlitten mit dem einzigen Zelt, einem großen Teil der Ausrüstung und fast allen Essensvorräten. Zurück blieben Mawson und sein Begleiter Xavier Mertz, mit sechs Hunden und Proviant für zehn Tage.

Auf ihrem Rückweg schlachteten die Männer einen Hund nach dem anderen und teilten das Fleisch zwischen sich und den anderen Hunden auf. Der psychische Stress, der abrupte Umstieg auf die ausschließlich fleischhaltige Ernährung und wohl auch eine Vergiftung durch das hochkonzentrierte Vitamin A in den Hundelebern führte am 7. Januar 1913 schließlich zum Tod von Mertz. Mawson war damit allein auf dem antarktischen Eisschild, mehr als hundert Kilometer von der Station entfernt. Blizzard folgte auf Blizzard, seine Zehen verfärbten sich wegen Erfrierungen schwarz.

Dass es Douglas Mawson aus dieser nahezu aussichtslosen Lage heraus gelungen ist, die Küste zu erreichen, zählt zu den größten psychischen und physischen Leistungen in der Geschichte der Polarforschung. Als er am 1. Februar 1913 nach einem kaum vorstellbaren Überlebenskampf schließlich am Cape Denison ankam, sah er die Aurora, die im sich schließenden Eis nicht länger auf ihn hatte warten können, am Horizont verschwinden.

Er traf jedoch auf sechs Männer, die zurückgelassen worden waren, um nach ihm zu suchen. Und weil ihnen nichts anderes übrig blieb, setzten sie ihre Datensammlungen einen weiteren antarktischen Winter fort, bevor die Aurora am 12. Dezember 1913 zurückkehrte, sie einsammelte und im Februar 1914 schließlich in Australien anlegte - ein Jahr später als geplant.

Wetterbesserung frühestens nach dem Wochenende in Sicht

Die Latte, die sich die nun eingeschlossene Expedition "The Spirit of Mawson" also selbst gelegt hat, ist hoch. Doch heute wartet man selbst im antarktischen Sommer nicht mehr auf eine Wetterbesserung und ein Drehen des Windes, wodurch das Schiff in dieser Jahreszeit früher oder später mit Sicherheit freigegeben würde. Per Twitter meldet Expeditionsleiter Chris Turney "schockierendes Wetter" und starken Wind, was in der Commonwealth Bay allerdings kaum verwundern dürfte, denn sie zählt zu den windigsten Orten der Welt. Der Wind verhindert derzeit auch eine Evakuierung per Hubschrauber. Am Montag meldete die russische Nachrichtenagentur Itar-Tass unter Berufung auf das russische Außenministerium, dass die meisten der 74 Menschen auf der Shokalskiy aus der Luft gerettet werden sollen. Ein Helikopter des chinesischen Eisbrechers Schneedrache soll 52 Passagiere und vier Besatzungsmitglieder von Bord holen. Wann der Einsatz starten kann und wann die übrigen 18 Menschen gerettet werden sollen, ist noch nicht bekannt.

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