Doku über Gruppenvergewaltigung in Indien:Interview mit einem Vergewaltiger

Doku über Gruppenvergewaltigung in Indien: Demonstranten in Neu-Delhi prangern Gewalt gegen Frauen an (Veranstaltung im Februar). Die Debatte lässt Indien nicht zur Ruhe kommen.

Demonstranten in Neu-Delhi prangern Gewalt gegen Frauen an (Veranstaltung im Februar). Die Debatte lässt Indien nicht zur Ruhe kommen.

(Foto: AP)
  • Indiens Regierung lässt eine BBC-Dokumentation über die Gruppenvergewaltigung in einem Bus in Delhi verbieten.
  • In dem Film geben einer der zum Tode verurteilten Täter und zwei Anwälte der Vergewaltiger Frauen die Schuld an der Vergewaltigung.
  • Der Vorwurf der Regierung: Der Film verstärke entgegen seiner Intention nur Hass gegen Frauen, zudem habe die Crew gegen Auflagen verstoßen, als sie im Gefängnis filmte.

Von Jannis Brühl

Die Debatte über Gewalt gegen Frauen lässt Indien nicht zur Ruhe kommen. Am Freitag wurden zwei Männer gelyncht, die jeweils der Vergewaltigung verdächtigt wurden. Einen von ihnen hängte ein Mob im Bundesstaat Nagaland, ein anderer wurde in Uttar Pradesh mit Stöcken totgeschlagen.

Die Lynchmorde ereignen sich, während ein Dokumentarfilm der BBC das Land aufwühlt, der sich mit der Gruppenvergewaltigung einer jungen Inderin vor zwei Jahren beschäftigt. Das Verbrechen, das sich 2012 in einem Bus in Neu-Delhi ereignete, hatte weltweit Aufmerksamkeit erregt. Die 23-Jährige war nach dem brutalen Angriff gestorben.

Vor seiner Ausstrahlung ließ die indische Regierung diese Woche den Film "India's Daughter" der britischen Regisseurin Leslee Udwin per Gerichtsbeschluss verbieten. Ein Kabinettsmitglied witterte gar eine "internationale Verschwörung" mit dem Ziel, Indien zu "entehren". Und die Polizei durchsuchte die Wohnungen indischer Mitglieder der Filmcrew nach Filmmaterial.

Im Film kommen Angehörige von Opfer und Tätern zu Wort, dazu Anwälte und Polizisten. In nachgestellten Szenen rekonstruieren die Filmemacher die Tatnacht, in der die Frau und ihr Begleiter überfallen wurden. Sie wurde von den Männern vergewaltigt, ihr Freund verprügelt. Nach der Tat warfen die Täter die Opfer nackt auf die Straße.

Was die indische Regierung an dem Film allerdings nervös macht, ist das Interview mit einem der Täter, Mukesh Singh.

Das Interview mit dem verurteilten

Singh fuhr den Bus, in dem das Verbrechen geschah. Wie drei andere Täter wurde er zum Tode verurteilt (ein Verdächtiger brachte sich in Haft um, der einzige minderjährige Täter erhielt eine Haftstrafe).

In "India's Daughter" beschreibt Singh nicht nur die Tat inklusive grausamer Details vor laufender Kamera. Er sagt auch: "Eine Frau sollte sich nicht wehren, wenn sie vergewaltigt wird. Sie sollte ruhig sein und die Vergewaltigung geschehen lassen." Zudem gibt er dem Opfer die Schuld an der Tat: "Ein Mädchen trägt weit mehr Verantwortung für eine Vergewaltigung als ein Junge." Und er sagt, bezogen auf die Vergewaltigung: "Man kann mit einer Hand nicht klatschen. Es braucht zwei Hände zum Klatschen."

Diese Aussagen könnten der Regierung zufolge zu mehr Gewalt gegen Frauen führen, deshalb verbot sie den Film. Doch diese Meinung wird bei weitem nicht von allen Indern geteilt. Manche Frauenrechtlerinnen glauben im Gegenteil, dass der Film die dringend nötige Debatte über die Ungleichheit der Geschlechter und die Gewalt gegen Frauen im Land weiterbringen könne.

Die stärkste Oppositionspartei, die Kongresspartei, sprach sich gegen das Verbot aus. Die linke Feministin Kavita Krishnan gab allerdings zu bedenken, dass der Film das Berufungsverfahren beeinflussen könnte, mit dem Mukesh Singh versucht, seine Hinrichtung zu verhindern.

Unter #indiasdaughter tobt die Netz-Debatte

In den sozialen Netzwerken tobt die Debatte (auf Twitter unter dem Hashtag #indiasdaughter): Viele finden, der Film müsse gezeigt werden, andere erklären es für problematisch, einem Vergewaltiger eine öffentliche Plattform für seine Gedanken zu geben.

Der Film wurde auch Thema im indischen Parlament. Innenminister Rajnath Singh berichtete den Abgeordneten, Udwins Crew habe gegen Auflagen verstoßen, als es den Gefangenen in der Zelle interviewte. Die BBC soll nach dem Willen der Regierung die Verbreitung des Films verhindern. Der Sender entgegnet, "India's Daughter" gehe verantwortungsvoll mit dem Thema um und entspreche den redaktionellen Standards.

Udwin selbst appellierte an Indiens Premierminister Narendra Modi, sich einzuschalten und das Verbot aufzuheben: "Indien sollte den Film mit offenen Armen begrüßen, statt ihn in reflexhafter Hysterie zu verbieten, ohne ihn gesehen zu haben."

Vorwürfe gegen Anwälte der Täter

Die Dokumentation könnte noch weitere Konsequenzen haben. Indiens Anwaltskammer prüft dem Guardian zufolge, ob sie Schritte gegen zwei Anwälte der Täter wegen ihrer frauenfeindlichen Äußerungen in dem Film ergreift.

Im Film gibt einer der Anwälte, ML Sharma, dem Opfer indirekt die Schuld: In der indischen Kultur sollten Frauen abends nicht ohne Familienmitglieder auf die Straße gehen. Sie seien "Diamanten" und müssten das Risiko tragen, wenn sie ausgingen: "Wenn du einen Diamanten auf die Straße legst, wird der Hund ihn mitnehmen. Das kannst du nicht verhindern."

Anwalt Sharma wirft der Regisseurin im Gegenzug vor, sie habe ihn an zehn Tagen interviewt und dann eine kurze Aussage von ihm ohne Kontext wiedergegeben. Zudem habe sie das erste Interview mit dem Täter Mukesh Singh während des Verfahrens ohne Zustimmung des Gerichts geführt - und das sei illegal.

Die Doku zeigt auch eine ältere Aussage, die ein anderer Anwalt der Täter, AP Singh, im Fernsehen gemacht hatte: Er würde nicht zögern, seine Tochter mit Benzin zu übergießen und anzuzünden, wenn sie sich "ungebührlich" verhalte. In der Dokumentation sagt Singh, er stehe zu diesem Satz (Singh ist einer der häufigsten Familiennamen in Indien).

Auch eine Frauenrechtsorganisation hat bei der Polizei einen Antrag auf strafrechtliche Verfolgung der Anwälte eingereicht.

Indien gegen die BBC

Das Innenministerium begründet seine Entscheidung, "India's Daughter" zu verbieten, auch damit, dass die Filmemacherinnen das Interview im Gefängnis drehten, den Behörden danach aber nur geschnittenes Filmmaterial statt die kompletten Aufnahmen vorlegten, wie es ursprünglich vereinbart worden war. In der Erklärung des Ministeriums an das Parlament heißt es auch, man werde nicht zulassen, dass Personen oder Organisationen - damit ist wohl die öffentlich-rechtliche BBC gemeint - "solche unglücklichen Vorfälle" wie die Vergewaltigung von Delhi für "kommerziellen Gewinn" nutzten.

Die BBC hat die Ausstrahlung auf Mittwoch vorgezogen, wegen des "intensiven" öffentlichen Interesses. Ursprünglich war sie für Sonntag geplant, den Weltfrauentag. Der Film ist auch auf der Webseite der BBC zu sehen - aber nur von britischen Internet-Anschlüssen aus. Die BBC hat Youtube aufgefordert, alle Kopien des Films zu entfernen, offiziell aus Lizenzgründen. Geschafft hat sie das bisher nicht.

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