Bilanz des Staatsbesuchs:Das Vermächtnis der Queen

  • Vier Tage war Elizabeth II. zu Besuch in Deutschland. Ihr fünfter Staatsbesuch war auch ihr vermutlich letzter. Damit geht eine Epoche zu Ende.
  • Zum Abschluss ihrer Deutschlandreise besucht die 89-Jährige zum ersten Mal in ihrem Leben ein ehemaliges Konzentrationslager.
  • Den Europäern hinterlässt die Queen noch eine Botschaft: Macht nicht kaputt, was mühsam aufgebaut wurde.

Von Verena Mayer und Constanze von Bullion, Berlin

Und plötzlich ist er da, fast mit Händen zu greifen, dieser Abschied nicht nur von einem alten Ehepaar, sondern auch von einer Epoche.

Freitagmittag im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen, die britische Königin Elizabeth II. ist mit ihrem Mann gekommen, um sich die Gedenkstätte zeigen zu lassen. 70 Jahre ist es her, dass britische Truppen das Lager befreiten und ihre Kameras fassungslos auf das richteten, was vielen später nicht mehr aus den Köpfen wollte. Zehntausende lagen hier tot oder sterbend, und der Name Anne Frank steht nur für eine Gefangene von 50 000, die das nationalsozialistische Deutschland hier ermorden ließ.

Ihr Lächeln ist legendär. Früher galt es als sperrig, heute als eisern und herzlich zugleich

Die Queen hat in ihrem langen Leben nie ein ehemaliges Konzentrationslager betreten, an diesem Freitag aber holt sie den Besuch nach. Es ist der letzte Tag ihres Staatsbesuchs in Deutschland, der ihr fünfter war und immer wieder auch ziemlich heiter.

In Berlin ist das königliche Paar Kahn gefahren mit den Gaucks und hat sich von den sonst eher ruppigen Hauptstadtbewohnern besingen lassen. Vor dem Frankfurter Römer haben die Menschen sich zu den Royals hingedrängt, als seien diese Popstars. Natürlich war Elizabeth II. auch bei der Bundeskanzlerin, die ihr auf dem Balkon des Kanzleramts die Sache mit Ost- und West-Berlin zu erklären versuchte. Da drüben sei sie aufgewachsen, sagt Angela Merkel, "hinter der Mauer, in East Germany."

Es wird auch mal gelacht bei diesem Besuch und mit Riesling oder Pimm's auf die britisch-deutsche Freundschaft angestoßen. Freitagmittag aber stehen die Hoheiten in Bergen-Belsen, am Abgrund jeder Völkerfreundschaft sozusagen. Ein leeres, fast gesichtsloses Feld breitet sich hier aus, auf dem nur einzelne Stelen und Gedenksteine vom Schrecken erzählen, der hier einst regierte. Die Königin und der Prinzgemahl tragen beide Schwarz, sie wirken ein wenig verloren in dieser Weite. Nur einen sehr kurzen Augenblick lang hält es die Königin vor einem Kranz und einer Gedenkwand mit Inschriften. Dann dreht sie ab, wendet sich Überlebenden zu, die weißhaarig und gebeugt in einer Reihe stehen. Sie will ihnen, das ist in ihrem Gesicht zu lesen, zuhören und warme Worte schenken.

Nun könnte man solche Gesten einfach im Kapitel "Gedenkroutine" einordnen, aber wer diesen dreitägigen Besuch begleitet hat, dem war spätestens am Mittwoch klar, dass die Monarchin bei ihrer vermutlich letzten Reise nach Deutschland eine Art Vermächtnis zu hinterlassen suchte für nachfolgende Generationen. Es lautet: Macht nicht kaputt, was wir so mühsam aufgebaut haben.

Mittwochabend vor Schloss Bellevue in Berlin, vor dem Sitz des Bundespräsidenten, haben sich Uniformierte aufgepflanzt wie Zinnsoldaten. Fast geräuschlos rollt der schwere Bentley heran, diesmal lädt er eine Dame in Weiß ab. Die Königin trägt ein Diadem im Haar und schwere Rubine an Hals und Ohren. Ihr Kleid glitzert, auch die Armbanduhr, die Schärpe, dazu trägt sie silberne Schuhe und eine ebensolche Handtasche. Ein Bild ist das, welches fast jedem vertraut ist, immer schon, so wie die Queen immer da war. Oder?

British Queen visits Germany

Elizabeth II. beim Besuch der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen.

(Foto: Fabian Bimmer/dpa)

Elizabeth II., 89 Jahre alt, hat Winston Churchill gekannt und den sowjetischen Präsidenten Chruschtschow. Sie hat Konrad Adenauer getroffen und sich Diktatoren wie den Rumänen Nicolae Ceausescu in die Kutsche geladen. Seit sie 1965 zum ersten Mal in der Bundesrepublik war, sind zehn Bundespräsidenten im Amt gewesen. Was könnte diese alte Dame nicht alles erzählen über Europa, die Welt, flegelhafte Staatsoberhäupter und ihre Wunderlichkeiten, während in Schloss Bellevue die Gäste an ihr vorbeidefilieren oder in einen Hofknicks sinken wie die Geigerin Anne-Sophie Mutter. Die Queen, das ist ein wandelndes Geschichtsbuch, nur eben eines, das nichts preisgibt. Wer sie wirklich ist, diese Ikone des 20. Jahrhunderts, hat Elizabeth II. früh zu verbergen gelernt. Schon als junge Frau legte sie sich diese Maske zu, auf die sie auch jetzt in Deutschland nie verzichtet. Zu sehen ist da eine kleine, immer noch geschäftig wirkende Dame, die in kurzen, aber festen Schritten rote Teppiche abläuft und Treppen erklimmt. Es kommt vor, dass sie ungerührt vorbeimarschiert an Kindern, die Blumen oder Krönchen dabei haben und sie erwartungsvoll anstrahlen. Aber dann knipst sie es doch schnell wieder an, dieses Lächeln. Als Elizabeth II. jung war, wurde es als "sperrig" kritisiert, schreibt ihr Biograf Thomas Kielinger. Heute wirkt es herzlich und eisern zugleich, eine undurchdringliche Fassade. Es wird erkannt in aller Welt wie die übrigen Insignien: der Hut, die Brosche, die Handtasche. Nun irrt sich aber, wer meint, dass diese entrückte Gestalt nicht mehr von dieser Welt sei. Im Schloss Bellevue setzt die Königin die Lesebrille auf, erhebt sich raschelnd, und dann erzählt sie den versammelten Weltenlenkern und Künstlern von Europa.

In Brüssel tagen gerade die Finanzminister, sie ringen mit den Griechen um die Schulden. An der Tafel der Königin sitzt der britische Premier David Cameron, eben ist er mit federndem Schritt die Schlosstreppen hochgeeilt wie ein junger Mann, der den Eltern erzählen wird, dass er jetzt ausziehen könnte. Cameron steht für die nachwachsende Generation, aber auch für die Drohung der Briten, der Europäischen Union den Rücken zu kehren.

Der Königin gefällt das nicht. Europa habe erst nach langen, blutigen Konflikten zusammengefunden. Doch, sagt sie, sie freue sich an dieser jungen Generation und ihrer "Unbefangenheit gegenüber sich selbst und ihren Mitmenschen in ganz Europa". Unbefangenheit? Klingt das nicht nach Unbedarftheit? "Herr Bundespräsident", sagt Elizabeth und wendet sich an Joachim Gauck. Er hat wie sie den Krieg noch erlebt, war gerade geboren, als Elizabeth für die Britische Armee Lastwagen fuhr. Sie beide hätten den Kontinent "von seiner schlechtesten, aber auch von seiner besten Seite kennengelernt", hätten erlebt, wie schnell Dinge sich zum Guten wenden könnten - oder verspielt werden. "Wir wissen, dass Spaltung in Europa gefährlich ist. Und dass wir uns davor in Acht nehmen müssen." In diesem Moment wirkt sie wie eine Großmutter, die ihre Enkelschar ins Gebet nimmt. Gütig, aber bestimmt. Reißt ihr Jungen nicht den Kontinent auseinander, den wir Alten euch zusammengeflickt haben, das ist die Botschaft. Die Königin wird noch angeregt plaudern an diesem Abend und aussehen, als verberge sich hinter all dem Gefunkel eine ziemlich handfeste und vergnügliche Person. Dann ein Ruck, die königlichen Hoheiten erheben sich.

Und sind fort.

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